Ich habe eine neue Luftmatratze. Was liegt näher als diese im Rahmen einer Radtour mit anschließender Camping-Übernachtung im Ruhrgebiet zu testen?
Zur diesjährigen Emscherkunst hat der namhafte chinesische Künstler Ai Weiwei 1000 Zelte mit 10 verschiedenen Motiven kreiert und diese kann man für 12,- Euro/Nacht mieten. Ich werde somit Teil des Kunstwerks. Ich buche ein Zelt im so genannten Emscherdorf, einem Sportplatz (neben dem Stadion von Rot-Weiß-Oberhausen) direkt am Rhein-Herne-Kanal mit Grillplätzen, Platzwart und einem Emscherkunst-Infocenter. Alles geschützt und bewacht, fast wie auf einem richtigen Campingplatz.
Emscherdorf, Oberhausen
Als ich nachmittags ankomme ist der Platz fest in der Hand einer mehr als hundertköpfigen Gruppe fröhlicher Menschen mit dunkler Hautfarbe. Aus einem Festzelt ertönt ziemlich laute Musik, die nicht meinem Geschmack entspricht; dem Platzwart gefällt sie auch nicht; er diskutiert bereits mit dem DJ über die Lautstärke und droht mit der Polizei. Diese ist aber schon (oder immer noch wg. des Fußballspiels) mit einer Mannschaftsladung im Kampfanzug präsent und verhandelt mit einer anderen Gruppe.
Die Dame vom Zeltverleih legt mir nahe, doch besser im zwei Kilometer entfernten Naturgarten Ripshorst zu übernachten, das sei ruhiger und gewiss für eine allein reisende Frau sicherer, hier habe es am Nachmittag schon eine Messerstecherei mit Hooligans gegeben …
Zeltplatz Ripshorst, Oberhausen
Also schnür ich das Zelt auf mein Radl und fahre weiter. In Ripshost habe ich eine ganze Wiese für mich allein, Wald zur einen Seite, Rhein-Herne-Kanal und Emscher zur anderen Seite. Recht idyllisch, aber eben ganz allein auf weiter Flur. Wohl ist mir nicht und ich bin ziemlich glücklich, als sich noch zwei weitere Emscherkunstcamper dazugesellen.
Für den Zeltaufbau benötige ich eine gewisse Zeit, da ich das letzte Mal vor 20 Jahren ein Zelt aufgebaut habe, aber im Prinzip ist es ganz einfach. Das Zelt ist schwarz und hat auf allen vier Seiten jeweils einen Buchstaben in weißer Farbe. Find ich langweilig und mit K, F, U, C kann ich wenig anfangen. Ist halt chinesisch. Die neue Luftmatratze ist, dank des ebenfalls neuen Schnozzels, in einer Minute aufgeblasen. Ihr kennt keinen Schnozzel? Das ist ein leichter Sack mit dem der Wind eingefangen wird und über einen angedockten Rüssel in die Luftmatratze geblasen wird. (Anleitung Schnozzel bei youtube)
Nach getaner Arbeit gönne ich mir ein original Duisburger Königspilsener (hatte ich in weiser Voraussicht mitgebracht) und mache noch einen Abendspaziergang zum „Zauberlehrling“ und an den Kanal.
Um 22 Uhr liege ich auf der neuen Matratze. Trotz der idyllischen Lage höre ich die nahe Autobahn und ständig irgendwelche Zweiräder, die ihre Motoren mit höchster Umdrehung über die Piste jagen. Dann steht plötzlich ein solches Motorrad vor meinem Zelt und will darüber fahren! Zum Glück werde ich wach. Mutig ziehe ich, mit meinem Stativ bewaffnet, den Reißverschluss meiner Zeltpforte auf.
Da ist weit und breit niemand, weder Motorrad, noch Hase, noch Igel. Ich habe geträumt. Danach schlafe ich beruhigt, tief und fest bis ich vom sanften Geplätscher des Regens gegen 8 Uhr geweckt wurde.
Ich baue alles ab. Dabei umrunde ich das Zelt und sehe zum ersten Mal die Buchstaben in der richtigen Reihenfolge: F U C K steht da. Ich habe die ganze Nacht in einem Zelt geschlafen auf dem fuck steht?! Gut, dass mir das nicht vorher bewusst war!
Weiterfahrt nach Bottrop
Zum Frühstücken radele ich in den nahen Aquapark. Es hört auf zu regnen und ich bin ich fit für den Rest der Tour: die Ausstellung im Gasometer und weiter auf dem Emscher-Park-Radweg nach Bottrop zum Tetraeder und zur Installation im Nordsternpark in Gelsenkirchen.
Die nächste Nacht verbringe ich im Parkhotel. Wow. Denkt der Unwissende. Es ist ein Abwasser-Leitungsrohr mit Matratze in der ehemaligen Kläranlage Bottrop Berne. Auch die Kläranlage ist ein Kunstwerk, entstanden zur Emscherkunst 2010. Das Ruhrgebiet bietet wirklich einzigartige Übernachtungsmöglichkeiten.
Die Emscherkunst wurde 2010 im Rahmen der Kulturhauptstadt Europa zum ersten Mal ausgerichtet. Die Menschen sollten den Fluss mit dem Fahrrad erkunden und dabei Kunst erleben „umsonst und draußen“. 2013 und 2016 erfolgten weitere Ausstellungen die jeweils 100 Tage dauerten.
Leider wird es die Emscherkunst in dieser Form nicht mehr geben. Lesen Sie hierzu einen Artikel aus der Haltener Zeitung vom 22.05.2018. Zum Glück blieben einige Kunstwerke stehen und die Radwege sind natürlich auch noch vorhanden. Nur die Zelte können nicht mehr ausgeliehen werden.
Wer Lust bekommen hat, das Ruhrgebiet von seiner schönen Seite kennen zu lernen, findet hier eine fotografische Auswahl. Die Radtour kann von Dinslaken bis zur Quelle bei Holzwickede (oder umgedreht) gefahren werden. Wer die 82 Kilometer nicht an einem Tag fahren möchte, weil es unterwegs so viel zu sehen gibt, findet entlang der Strecke viele Übernachtungsmöglichkeiten – nicht nur im Parkhotel.
Weitere Fotos und Hinweise zu Radouren im Ruhrgebiet gibt’s auch in meinem Reisebericht: Abenteuer Ruhrgebiet – wo sich Fuchs und Taucher begrüßen
Lesen Sie dazu auch meine märchenhafte Erzählung über die Emscher – als der Fluss kein Fluss mehr sein durfte.