Wuppertal: Zu Fuß entlang der Wupper

Warum lieben die Wuppertaler ihre Schwebebahn? Was macht dieses hässliche Stahlgestell mitten in der Stadt so attraktiv? Das habe ich mich gefragt, als ich vor gut 30 Jahren nach Wuppertal kam.

Schwebebahngerüst in Wuppertal Sonnborn
Schwebebahngerüst in Wuppertal Sonnborn

Es hat einige Jahre gedauert bis auch ich es verstanden habe – es kommt auf den Blickwinkel und den Bildausschnitt an. Wie jeder Ort, hat Wuppertal schöne und weniger schöne Ecken. Ich mache mich zu Fuß auf den Weg die Schwebebahn und die Wupper auf ihrem Kurs durch das Tal zu erkunden. Es ist ein perfekter Samstag: 20 Grad Celsius mit hübsch einheitlich grauem Himmel und kurzen Aufhellungen. Ich laufe gegen den Strom. Gut zehn Kilometer sollen es sein vom Stadtteil Sonnborn bis Oberbarmen. Keine 300 Meter vom viel befahren Autobahnkreuz Sonnborn entfernt führt ein Fußweg direkt am Fluss entlang. Ich steh’ im Wald. Idylle und Natur pur. Ein Graureiher fliegt, verärgert über die ungewohnte Störung, mit lautem Kreischen auf als ich ans Ufer trete.

Sonnborner Ufer
Sonnborner Ufer

Wenige Schritte weiter kündigt Graffiti an einer Stützmauer an, dass Wuppertal einen Fußballverein hat. Dieser Fußweg führt nämlich direkt zum Fußballstadion mit seiner stilvollen Fassade. Noch heute werden Geschichten erzählt von der glorreichen Zeit als der Wuppertaler SV in der 1. Bundesliga sogar die Bayern besiegte. Das war jedoch lange vor meiner Zeit in Wuppertal.

Stadion am Zoo, Wuppertal
Stadion am Zoo, Wuppertal

Ab dem Stadion ist die Wupper untrennbar mit der Schwebebahn verbunden. Das Transportmittel, das an einem Stahlgestell hängt, galt lange Zeit als das weltweit zuverlässigste und sicherste Verkehrsmittel. Auf der eingleisigen aber zweispurigen Strecke gibt es keinen Stau, gab es keine Verspätungen, selten Störungen. Erbaut wurde die Bahn aus der Not heraus. Das enge Tal der Wupper war mit Industriebetrieben zu beiden Seiten entweder zugebaut oder die Fläche wurde zum Bleichen von Garnen benötigt. Eine Verbreiterung der Straße wäre nur auf Kosten von Industrieanlagen und Wohnungen möglich gewesen. So entstand die Idee, den Fluss als Weg zu nutzen, besser gesagt den Raum über dem Fluss. 1901 wurde die Bahn für den öffentlichen Personennahverkehr freigegeben.

Schwebebahn mit Bayerwerk im Hintergrund
Schwebebahn mit Bayerwerk im Hintergrund

Direkt nach dem Stadion durchfährt die Schwebebahn die Industrieanlagen der Firma Bayer. In Wuppertal ist der Ursprung des Konzerns; erst als der Platz im Tal der Wupper zu klein wurde, wurde das Hauptwerk nach Leverkusen verlegt. Am Ufer wächst hohes Gebüsch. Den Straßenrand der Hauptverkehrsachse, der Bundesstraße 7, säumen Wohnhäuser mit ansprechenden historischen Fassaden aus den Anfängen der Schwebebahn.  

Schwebebahn vor Wohnhäusern
Schwebebahn vor Wohnhäusern

Doch viele der Häuser stehen komplett leer. Warum weiß ich nicht. Vielleicht müssten sie saniert werden. Wie so manche Brücke. Einige sind so marode, dass sie nur noch im Einbahnverkehr genutzt werden dürfen oder ganz gesperrt wurden. Schließungen betreffen in erster Linie Fußgängerstege. Wer kommt schon auf die Idee zu Fuß zu gehen? Wird ein Fußgängersteg geschlossen ist das Geschrei nicht ganz so laut; bei Brücken für den Autoverkehr sieht es anders aus.

Immer wieder säumen kleine Grünflächen meinen Weg entlang der Wupper und erlauben Blicke auf den Fluss.

Park am Wupperufer, Varresbeck
Park am Wupperufer, Varresbeck

Wuppertal ist die treppenreichste Stadt Deutschlands. Gut 500 gibt es im öffentlichen Raum, davon stehen 23 unter Denkmalschutz. Die Vogelsauer Treppe ist eine davon. Erbaut 1904 aus Bruchsteinen, ist sie mit 241 Stufen die längste Treppe der Stadt. Es ist jedoch keine durchgehende Treppe, sie wird durch die Vogelsauer Straße unterbrochen. Vor einigen Jahren wurde der imposante Aufgang aufwändig renoviert – und schnell beschmiert.

Vogelsauer Treppe
Vogelsauer Treppe

Die Wuppertaler sind einfallsreich: An einer Tankstelle fällt mir sofort der Hinweis auf das Theater auf. Auch die Tomatenzucht auf der Fensterbank hatte ich noch nie gesehen und wie man eine triste fensterlose Fassade als Hingucker gestaltet, zeigt ein Haus direkt an der B7.

Am Arrenberg hatte einst die Firma Elba ihren Sitz. Ich kenne die Firma als Hersteller von hochwertigen Aktenordnern. Nachdem das Unternehmen 1998 Insolvenz anmelden musste, wurde der Wuppertaler Standort geschlossen. (Die Geschäftsaktivitäten wurden von ELBA Bürosysteme Vertriebs-GmbH übernommen.) Nach einigen Jahren Leerstand entstanden in den alten Fabrikhallen Luxuswohnungen und ein Restaurant; ein Ableger der Bergischen Universität zog ein.

Ehemalige Elba-Werke
Ehemalige Elba-Werke

Auch die Wupper bekam ein neues Gewand. Ihr wurden Steine ins Bett gelegt. Inselchen entstanden, die begrünt wurden. Ein neu angelegter Weg führt direkt an der Wupper entlang zum Robert-Daum-Platz. Es gab den großartigen Versuch hier Kunst im öffentlichen Raum zu platzieren. Die freundlichen „Alltagsmenschen“ von Christel Lechner zierten das Ufer – leider nur kurze Zeit.

Alltagsmenschen, Christel Lechner
Alltagsmenschen, Christel Lechner

Immer wieder wurden die Plastiken umgestoßen und demoliert, so dass sie entfernt werden mussten. Dennoch ist der neue Uferweg ein Platz zum Verweilen und eine Einladung zum Picknick am Wupperufer geworden.

Bismarcksteg
Bismarcksteg

Als Fußgänger den Robert-Daum-Platz überqueren zu wollen erfordert dank der vielen zeitlich versetzt geschalteten Fußgängerampeln, einiges an Zeitaufwand. Da bleibe ich lieber an der Seite des Flusses. Der Weg führt über einen mit hohen Bäumen bestandenen Parkplatz entlang der Wupper zur Rialto-Brücke und über den Bismarcksteg. Diese schmucke Bogenbrücke für Fußgänger ist im Jugendstil gehalten; sie stammt aus dem Jahr 1905.

In einem der beiden Herzen der Stadt – im Zentrum von Elberfeld – ist die Wupper in ein enges Korsett gezwängt, mehr ein Kanal als ein Fluss. So trist floss das Gewässer noch vor wenigen Jahren durch die ganze Stadt. Kein Wunder, dass die Bewohner Wuppertals dem Fluss keine Beachtung schenkten.

Döppersberg
Döppersberg

Der Kanal und die viel befahrene Kreuzung am Doppersberg sind schnell überquert und nach der interessant verspiegelten Fassade eines Hotels geht’s direkt weiter zur nächsten Grünfläche mit einem Aussichtsbalkon und einem Weg direkt am Flussufer entlang an der Rückseite des Cinemaxx.

Was nun folgt ist ein Trauerspiel. Die Ästethik des Verfalls. Das Schauspielhaus, erbaut in den 70er Jahren von Gerhard Graubner, war einst die Spielstätte des Schauspiels und des Tanztheaters von Pina Bausch. Das Haus hätte saniert werden müssen, aber hierfür fehlte der Stadt das Geld. 2013 wurde das Gebäude geschlossen. Es soll das Pina Bausch Zentrum entstehen. Bund und Land haben Mittel für die Investitions- und Einrichtungskosten zugesagt; wann jedoch mit dem Umbau begonnen wird ist noch ungewiss. Die 2009 verstorbene Pina Bausch gilt als eine der einflussreichsten Choreografinnen des 20 Jhs.

Schauspielhaus
Schauspielhaus

Die Wupper verschwindet an dieser Stelle unter der Spannbetonbrücke der Friedrich-Engels-Allee/ Bundesallee.

Bundesallee/Friedrich-Engels-Allee
Bundesallee/Friedrich-Engels-Allee

Gleich dahinter stehe ich wieder in einer erholsamen Grünfläche mit knorrigen alten Bäumen. Auffällig ist die Ausrichtung der Sitzbänke: Mit dem Rücken zur Wupper. In den meisten anderen Städten mit einem Fluss sind die Bänke zum Fluss gewandt, doch in Wuppertal war es Usus, sich vom Fluss abzuwenden. Durch die zahlreichen Industrie- und Handwerksbetriebe, die ihre Abwässer in den Fluss leiteten, war der Geruch des Gewässers wohl unangenehm. Es stank. Die Fische waren schon vor 100 Jahren verstorben, die Vögel ausgewandert. Die Wupper glich einer Kloake, die niemand anschauen wollte. Das ist zum Glück im Laufe der Jahre anders geworden.

Grünfläche an der Gerichtsinsel
Grünfläche an der Gerichtsinsel

Mit der Gründung des Wupperverbandes 1930 entstanden Klärwerke, das Umweltbewusstsein wuchs, neue Umweltschutzverordnungen traten in Kraft. Etliche Betriebe verlegten ihren Standort oder verschwanden aus wirtschaftlichen Gründen ganz. Die Wasserqualität wurde langsam besser. Die Fische kamen zurück und mit ihnen Graureiher, Kormoran, Eisvogel, Wasseramsel und Nutria – um nur einige zu nennen. Mitten im Stadtgebiet, unter dem Lärm der fahrenden Schwebebahnwagen, haben sie sich niedergelassen.

Heute gibt es Aussichtsbalkone zur Wupper, Sitzbänke die zur Wupper ausgerichtet sind, an vielen Stellen wurde der Fluss zugänglich gemacht. Das ist vor allem auch ein Verdienst des Vereins Neue Ufer e.V. Dieser Verein möchte den Fluss in die Stadt zurückholen. Es wurden unter anderem Inseln in der Wupper angelegt und begrünt, Nisthilfen für Vögel aufgehängt, neue Wege eingerichtet und verschiedenste Kulturangebote sollen auch die Menschen an den Fluss holen. 

Vorbei am Uni-Campus Haspel, den Gebäuden der alten Bänderfabrik Büsgen und der Mühlenbrücke, die aus einem Stück historischem Schwebebahnschiene besteht, führt mein Weg direkt zur Junior Uni. Die Junior Uni Wuppertal ist eine bundesweit einmalige Lehr- und Forschungseinrichtung für Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrem Bildungshintergrund oder ihrer Herkunft. Finanziert wird die Junior Uni aus Spenden und Fördergeldern.

Junior Uni mit Plastik von Tony Cragg
Junior Uni mit Plastik von Tony Cragg

Das letzte Stück bis zum Zentrum von Wuppertal-Barmen ist gesäumt von Marodem, restaurierten typisch bergischen Häusern, Vorbauten von eigentümlichem Geschmack und Graffiti an der Wupperkanalmauer.

Natürlich darf in Wuppertal ein Königspinguin nicht fehlen. Warum? Er ist das Wahrzeichen des Grünen Zoo Wuppertal. Und dann ist da noch die Geschichte vom Elefantensprung. Ein vierjähriges Elefantenkalb namens Tuffi vom Zirkus Althoff durfte Schwebebahn fahren. Zu Werbezwecken. Da Elefanten sich normalerweise nicht mit der Schwebebahn fortbewegen, geriet Tuffi in Panik; sie durchbrach mit etwas Anlauf eine Seitenwand und fiel in die Wupper. Zum Glück erlitt das Tier nur ein paar Schrammen am Hinterteil. Ein Gericht stellte später fest, dass die Schwebebahn als Transportmittel für Elefanten ungeeignet ist und verdonnerte den Zirkusdirektor und den Leiter der Verkehrsabteilung der Wuppertaler Stadtwerke zu einer Geldstrafe. Das alles geschah am 21. Juli 1950. Die Marketing-Strategie  war jedoch noch bis heute nachhaltig: Ein Milchwerk vertrieb seine Produkte unter dem Namen Tuffi, im Wuppertaler Souvenirshop gibt es allerlei Tuffis zu kaufen und das 10. Elefantenkalb, das im Grünen Zoo Wuppertal geboren wurde, heißt ebenfalls Tuffi.

Königspinguin und Elefantensprung
Königspinguin und Elefantensprung

Am Verkehrsknotenpunkt Alter Markt verschwindet die Wupper wieder mal unter Spannbeton.

Alter Markt
Alter Markt

Doch sie taucht schnell wieder auf, begleitet von üppigem Gebüsch, Störsteinen und Graffiti.

Da wir uns im Jahr Null Corona, Monat zwei nach Öffnung des Lockdowns befinden, herrscht in allen öffentlichen Verkehrsmitteln Maskenpflicht. Die Betreiber der Schwebebahn, die Wuppertaler Stadtwerke, nehmen es mit Humor: Ein Wagen trägt ebenfalls Maske.

Schwebebahn mit Corona-Schutzmaske
Schwebebahn mit Corona-Schutzmaske

Als ich am Bahnhof Oberbarmen ankomme zeigt mein Kilometerzähler 20,3 Kilometer an! Ich bin wohl etwas im Zickzack gelaufen. Es hat Spaß gemacht, die Stadt auf diesem Weg neu zu entdecken. Zurück fahre ich natürlich mit der Schwebebahn. Wer an der Endhaltestelle in Oberbarmen (oder Vohwinkel) einsteigt hat die Chance auf einen der wenigen begehrten Panoramaplätze ganz hinten mit freiem Blick auf den Fluss. Wieder fasziniert und überrascht mich wie grün der Fluss (geworden) ist.