Unter Geiern – Zu Besuch im Kenya Bird of Prey Trust

Da stehe ich mitten in einer Voliere beäugt von fünf hochgradig interessierten Geiern und einem eher desinteressiertem Marabu namens Gollum. Jonathan Ewaton hat meinen Mann und mich am Eingang abgeholt, mit einem dicken Lederhandschuh für die rechte Hand ausgestattet und in diese Voliere gebracht. So gehen wir unerwartet auf Tuchfühlung.

Yusef, der junge Sperbergeier, freut sich über die Abwechslung und möchte sofort spielen. Seinen Schnabel wetzt der große Vogel zunächst an und in Jonathans behandschuhter Hand,

dann kommt er zu mir. Mit meiner freien linken Hand kraule ich seinen Nacken und streichle den langen weichen Hals. Was für ein ausgesprochen schönes Tier! Dabei ist es doch ein Geier. Der Name Yusef ist allerdings irreführend, wahrscheinlich handelt es sich um ein Weibchen.

Weißrückengeier
Weißrückengeier

Doch der Reihe nach. Wir haben uns im Kenya Bird of Prey Trust in Naivasha angemeldet. Täglich um 11 Uhr und um 15 Uhr sind Besichtigungen möglich. Jonathan führt uns außen an den Volieren vorbei und nennt jeden Vogel beim Namen. Jedes Tier hat seine eigene Geschichte. Im Kenya Bird of Prey Trust werden verletzte Geier, Greifvögel und Eulen medizinisch versorgt, aufgepäppelt und wenn möglich an dem Ort zurück in die Freiheit entlassen, wo sie gefunden wurden. Gerade leben 30 gefiederte Gäste hier, die meisten von ihnen können jedoch auf Grund der Schwere ihres Handicaps nicht mehr ausgewildert werden.

Kenya Bird of Prey Trust

Einer der Weißrückengeier in der Voliere bleibt sicherheitshalber in der oberen Etage sitzen und beäugt mich von oben herab. Er wurde bereits zwei Mal vergiftet, jetzt darf er hier bleiben. Wieso werden Geier überhaupt vergiftet? Häufig fallen Nutztiere großen Raubkatzen wie Löwen oder Leoparden zum Opfer. Der verärgerte Landwirt bringt dann ein (illegal) gekauftes Gift auf den Kadaver der Kuh oder des Schafes auf, um die Raubkatze zu töten. Doch Geier sind bei Aas ebenfalls schnell zur Stelle und schon geringe Mengen Gift können für die Vögel tödlich sein. Wilderer nutzen diese Methode ebenfalls. Der für’s Elfenbein erlegte Elefant wird vergiftet – viele kreisende Geier könnten den großen Kadaver verraten und die Wildhüter zu schnell zum Ort des Geschehens rufen. Zwischen 2012 und 2014 wurden in sieben afrikanischen Ländern elf Wildereivorfälle dokumentiert, bei denen insgesamt 155 Elefanten und 2044 Geier getötet wurden. Gegenwärtig sind weltweit 14 von 23 (61 Prozent) Geierarten vom Aussterben bedroht!

Tiere, die sich nicht zur Auswilderung eignen, können sich aber möglicherweise paaren und Jungtiere großziehen, die später ausgewildert werden können. Von denjenigen, die gerade mit der Brut beschäftigt sind, halten wir Abstand. Auch die Tiere, die ausgewildert werden sollen, sehen wir nur von weitem. Doch zu den Dauergästen dürfen wir in die Volieren, sofern sie nicht zu empfindlich auf Besucher:innen reagieren.

Tawny, ein Savannenadler, flog einen Strommasten an. Ein vermeintlich hervorragender Ansitz. Der einzige weit und breit. Durch die vielen Gewächshäuser rund um Naivasha finden Greife keinen geeigneten Ansitz mehr. Wo sich heute ein Gewächshaus an das nächste reiht – für frische Schnittblumen in Deutschland und Finnland – standen früher Akazien. Nun, ein Strommast geht doch auch, oder? Leider nicht. Die neuen Betonmasten sind gefährlich, da hier die Metallverstärkung durch die Spitze ragt. Landet ein Greifvogel auf diesem Mast, streift ein Flügel einen stromführenden Draht und ein Fuß wird an der Spitze des Mastes geerdet. Das führt zu einem Stromschlag. Manchmal stirbt das Tier sofort, manchmal wird es aufgrund der geringen Durchblutung in den Beinen innerlich gebraten. Es überlebt und fällt zu Boden oder fliegt eine kurze Strecke und stirbt. Tawny wurde von Passanten gefunden und hierher gebracht. Alle Flugfedern waren verbrannt und auf einem Auge ist er blind.

Savannenadler
Savannenadler
Schleiereule
Schleiereule

Drei Schleiereulen leben ebenfalls in der Station. Zwei Weibchen mit gebrochenen Flügeln und ein halbblindes Männchen. Doch schlechtes Sehvermögen und gebrochene Flügel halten nicht vom Brüten ab. Die drei haben schon etliche Küken großgezogen die in die Wildnis entlassen werden konnten. Eulen werden in Kenia als Todesboten gesehen; viele Menschen sind abergläubisch und haben Angst vor den nachtaktiven Vögeln mit dem umheimlichen Ruf. Dabei sind sie völlig harmlos. Schleiereulen zum Beispiel nisten gern in Scheunen (im Englischen heißen sie barn owl) und fressen pro Kopf zwei bis drei Mäuse täglich.

Woodstock, ein Afrika-Waldkauz, ist seit 2011 im Zentrum. Der nur etwa 30 Zentimenter große Kauz flog gegen eine Glasscheibe und ist seitdem ein bisschen meschugge im Kopf.

Afrika-Waldkauz
Afrika-Waldkauz

Der Kenia-Uhu (Bubo capensis mackinderi) ist nach dem Angriff eines Konkurrenten auf einem Auge blind, ein Auswildern ist nicht möglich. Aber vielleicht kommt irgendwann ein verletztes Weibchen ins Zentrum… Kenia-Uhus werden stark verfolgt. Sie brüten auf dem Boden und in felsigen, jedoch leicht zugänglichen Gebieten. Gegen Raubtiere können sie ihre Eier und ihre Jungen verteidigen, nicht aber gegen entschlossene Menschen.

Kenia- oder Kapuhu
Kenia- oder Kapuhu

Jonathan erzählt uns die Geschichte von chinesischen Touristen, die unbedingt die Eier eines Schreiseeadlers haben wollten. Als der Adler nicht koorperativ war, wurde mit Pfeilen auf ihn geschossen. Er konnte gerettet und ausgewildert werden.

Milchuhu
Milchuhu

Milchuhu Phil wurde als Baby gefunden und von einer Frau in Nairobi groß gezogen. Als der ausgewachsene Uhu zu groß für die Stadtwohnung war, fand er hier ein neues Zuhause. Phil ist an Menschen gewöhnt und kommt somit für eine Auswilderung nicht in Frage. Aber er ist ein hervorragender Botschafter für seine Art. Er mag Menschen. Eh ich mich versehe sitzt der mehr als einen halben Meter große Uhu mit seinen rosa Augenlidern auf meinem Arm und ich darf ihn am Bauch kraulen. Das hat er gern.

Der Kenya Bird of Prey Trust hat sich zum Ziel gesetzt, eine gesunde Population an Greifvögeln in Kenia zu sichern. Kritische Lebensräume sollen geschützt werden und die Menschen sollen über den Wert und die Bedeutung von Greifvögeln und Eulen aufgeklärt werden. Der Kenya Bird of Prey Trust arbeitet eng mit dem Kenya Wildlife Service zusammen.

Wer die Arbeit dieser Stiftung unterstützen möchte, kann zum Beispiel Phil, Yusef oder einen anderen Vogel adoptieren.