Sao Jorge ist ein Wanderparadies – so behauptet jedenfalls unser Azoren-Reiseführer. Warum, ist uns nicht ganz klar geworden, denn Du gehst entweder steil runter oder steil rauf, häufig ohne nennenswerte Aussichtsänderung. Die Insel könnte man beschreiben wie ein riesiges Frachtschiff mitten im Meer: Das Deck ist grasbewachsen, dort weiden Kühe, aus deren Milch der beste Käse überhaupt gemacht wird.
Die Hänge sind steil, felsig und teilweise bewaldet. Unten gibt es rings um das Frachtschiff herum ein paar Beiboote (aus Lavaströmen gebildete Landzungen genannt Fajas) auf denen sich Menschen in Dörfern niedergelassen haben.
Velas
Wir übernachten in einer dieser Fajas, dem Hauptort Velas. Unsere Ferienwohnung (Aldeia da Encosta) liegt nur 700 Meter vom Stadtzentrum entfernt. 700 Meter Fußweg sind für meinen Mann und mich keine Entfernung, das laufen wir vor dem Frühstück zum Brötchen holen. Dass jedoch knapp 90 Höhenmeter auf diesen 700 Metern zu bewältigen sind, vertagt die frischen Brötchen auf die nächste Insel. Da es auf den Azoren keinen Winter gibt, werden Straßen gebaut wie der Berg gewachsen ist, einfach geradeaus nach oben/unten. So wohnen wir wunderschön hoch oben mit Blick auf Velas, das Meer und die nächste Insel Pico.
Allabendlich stellen wir uns die Frage, ob wir in die Stadt zum Essen gehen oder doch lieber die restlichen Nudeln mit Pesto selbst kochen, eine Flasche Vinho Verde leeren und die Aussicht genießen.
Der Pico auf der gleichnamigen Insel zeigt sich meist nur am frühen Morgen in seiner ganzen Schönheit und Größe.
Allerdings kann die Aussicht vom selben Standort auch anders sein. Dieses Foto mit Blick auf Velas und den regenverhangenen Pico habe ich von unserer überdachten Terrasse gemacht.
Velas, der Hauptort Sao Jorges, hat etwa 1900 Einwohner und einen riesigen Supermarkt. Hier versorgen sich die Inselbewohner mit Lebensmitteln. Allerdings gibt es nicht immer alles, die besten Chancen auf volle Regale hast Du, wenn gerade das Containerschiff entladen wurde. Der Ortskern ist beschaulich mit hübscher Kirche, altem Stadttor, Restaurants, Banken und etlichen historischen Stadthäusern mit geschnitzten Dachgauben.
Auf dem Panoramaweg von Krater zu Krater
Wir sind auf dieser Insel tatsächlich faul geworden und nutzen eher das Auto als unsere Füße. Zwei Wanderungen haben wir dennoch gemacht weil sie passabel auf Höhe (800-1000 Meter) bleiben. Die schönste davon war die über den Kamm zum höchsten Berg der Insel. Wir stellen den Leihwagen in 900 Metern Höhe an der EN3, Abzweig Pico das Calderinhas ab. Ab hier verläuft ein breiter aussichtsreicher Wanderweg. Ein Vulkankegel reiht sich an den nächsten und zwischendrin gibt’s immer mal wieder einen blaugrün schimmernden Kratersee. In jedem Teich und in jeder Viehtränke sitzen und liegen Dutzende von Fröschen, die uns mit ihrem geräuschvollen Quaken begleiten.
Die Hügel sind mit sattgrünem Gras überzogen, es ist Weideland, zwischendurch gibt es kleine Waldparzellen.
Es ist eine Tour von Krater zu Krater. Zuerst passieren wir den Pico do Pedro, dann Pico Verde, Morro Pelado und Pico Montoso. Den Pico Esperanza, mit 1053 Meter die höchste Erhebung Sao Jorges, besteigen wir und umlaufen die Caldera.
Immer wieder ziehen Wolkenschwaden auf und an uns vorbei. Mal blicken wir weit hinüber bis zum Pico auf der gleichnamigen Insel und genießen wunderschöne Ausblicke auf die Südküste.
Dann wieder sehen wir nichts, da wir von kühlen Wolkennebelschwaden eingeschlossen sind. Der Wind weht sie zum Glück schnell wieder weg.
Am Morro Pelado bleiben wir an einer Gedenktafel stehen. Hier zerschellte im Dezember 1999 eine SATA-Linienmaschine von Ponta Delgada über Faial nach Flores. Der Pilot hatte im dichten Nebel die Orientierung verloren – keiner der 35 Passagiere überlebte.
Danach führt der Weg bergab um den Pico do Areiro und um den Pico Finheiro. Weiter runter bis an die Küste wollen wir nicht und so drehen wir um. Wir laufen den selben Weg zurück. Insgesamt sind wir sechs Stunden unterwegs – mit sehr vielen Fotopausen.
Wanderung zum Leuchtturm von Ponta dos Rosais
Unsere zweite Wanderung führt uns ans westliche Ende von Sao Jorge. Wir fahren sieben Kilometer mit dem Auto zum Wanderparkplatz Sete Fontes. Von hier starten wir zum alten Leuchtturm Ponta dos Rosais. Die Landschaft ist leicht hügelig und erinnert mich an Fair Isle (Shetlandinseln). Auf den Wiesen grasen Kühe. Auf dem breiten Wirtschaftsweg, der rechts und links von Steinmauern umzäunt ist, kommt uns eine kleine Herde Kühe entgegen. Es sieht aus, als ob sie einen Ausflug machen. Erstaunt schauen uns die Tiere an.
Obwohl wir uns ganz eng an die Mauer stellen, um den Tieren den Vortritt zu lassen, trauen sich nur zwei an uns vorbei, die anderen drehen wieder ab. Den ganzen Weg laufen sie vor uns her. Dann kommt endlich ein weiterer Weg und sie biegen ab.
Die Menschen leben im Wesentlichen von Milchwirtschaft. Da es zu umständlich und zu mühsam wäre die Kuhherden jeden Abend über eine weite Strecke zum Hof zu treiben, haben die Landwirte mobile Melkwagen. Damit fahren sie auf die jeweilige Wiese zur Herde. Die Kühe kommen freiwillig, lassen sich melken und gehen dann zurück auf ihre Wiese. Sie grasen das ganze Jahr über frei.
Schnurgerade führt der Weg direkt auf den Leuchtturm von Ponta dos Rosais zu. Für den besseren Überblick erklimmen wir einen Hügel mit einem ehemaligen Walbeobachtungsposten.
Die Gebäude um den Leuchtturm wurden zu Salazars Zeiten auch militärisch genutzt. Bei einem schweren Erdbeben 1980 wurde das Gelände stark in Mitleidenschaft gezogen, der Leuchtturm musste aufgegeben werden. Allerdings wurde er 1982 automatisiert und wieder in Betrieb genommen.
Der Pfad direkt an die Küste ist eigentlich gesperrt, da die Gefahr besteht, dass das Gelände ins Meer abrutscht. Wir wagen uns ein paar Schritte dort hin und genießen die Aussicht auf einen großen steinernen Bogen im Meer.
Über einen breiten Wirtschaftsweg aus roter Erde wandern wir zurück. Gut 20 Kilometer sind wir gelaufen. Wir hätten die Strecke auch mit dem Auto fahren können, aber das wäre lange nicht so eindrucksvoll gewesen.