„Nein, einen Buchungscode bekommst du nicht, du reist mit deinem Namen“, erklärt mir der mit ausgeprägtem schottischen Akzent sprechende Mitarbeiter von Directflight am Telefon. Es ist Februar und ich habe gerade unseren Flug von Tingwall, dem Inlandsflughafen der Shetlandinseln, nach Fair Isle gebucht.
Ankunft auf Fair Isle
Sechs Monate später treffen mein Mann und ich etwas unsicher an diesem Airport ein. Airport ist aus unserer Sicht leicht übertrieben. Es handelt sich um ein eingeschossiges Gebäude mit einem wohnzimmergroßen Warteraum mit neun Sitzplätzen, einem Counter, einer Waage und einem Kaffeeautomaten. Eine Toilette gibt’s auch. Alles da also. Unsere Namen stehen auf der ausgedruckten Passagierliste und werden mit einem Häkchen versehen. Zehn Minuten vor Abflug landet das leuchtend gelbe Flugzeug mit der Aufschrift „Hebridean“. Das ist die falsche Inselgruppe! Da wollen wir nicht hin! Nein, alles gut, Fair Isle gehört zu den Shetlandinseln und der reguläre Flieger trägt die Aufschrift „Shetlands“; diese Maschine hatte vor ein paar Tagen einen Motorschaden, das Ersatzflugzeug wurde von den Hebriden geholt. Maximal neun Passagiere haben hier Platz wobei Nr. Neun schon neben dem Piloten sitzen muss … darf. Eine halbe Stunde dauert der Flug nach Fair Isle – dieses winzige Fleckchen Land zwischen Shetland und Orkney. Die Landebahn ist eine unbefestigte Piste, das Gepäck tragen wir selbst von Flugzeug zum Auto. Abgeholt werden wir von Viv, der Rangerin des Bird Observatory. Im Bird Observatory stehen Ornithologen und Touristen wie uns maximal 45 Gästebetten inklusive Vollverpflegung zur Verfügung. Wir bleiben vier Tage.
Was macht man auf einer Insel die mit 8 km² kaum größer ist als die Nordseeinsel Wangerooge? Baden? Nein. Fair Isle ist ein dicker Felsbrocken im Meer. Die Küste besteht in erster Linie aus steilen felsigen Klippen, nur an wenigen Stellen ist es möglich ohne Kletterausrüstung ans Wasser zu gelangen. Das Wasser ist noch dazu eisig; die Lufttemperatur erreicht durchschnittlich 15 Grad C – im Sommer. Wir wollen wandern, Vögel beobachten und die gute Luft genießen.
Im 19. Jahrhundert lebten etwa 400 Menschen auf Fair Isle, heute sind es nur noch 55. Es gibt einen Laden der an beinahe jedem Wochentag geöffnet hat und wirklich alles anbietet: Von frischem Obst und Gemüse über Whisky, Zahnpasta, Putzmittel, Autozubehör und Briefmarken. Nur fertige Gerichte fehlen – hier wird noch selbst gekocht. Fernab vom öffentlichen Stromnetz wurde bereits 1982 die erste 50 kW Windturbine errichtet. Das Problem mit diesen Windturbinen ist allerdings der Wind. Er weht meist zu heftig, so dass die Turbinen abgeschaltet werden müssen. Dann springt der Dieselgenerator ein. Zwischen 23 Uhr abends und 7 Uhr morgens gibt es keinen Strom. Um Rund-um-die Uhr Stromzufuhr zu garantieren wurde im Frühjahr 2017 beschlossen, drei neue Windmühlen aufzubauen, sowie ein 50 kW Solarpannel und einen Bleiakku zur Energiespeicherung einzurichten.
Die Leuchttürme
An Wasser gibt es keinen Mangel; es regnet gut 900 mm pro Jahr. Einen dieser Regentage haben wir erwischt. Trotzdem machen wir uns auf den Weg in den kleinen Ort. Bei solch einem Wetter können wir uns gut vorstellen, wie sehr die Seefahrer gerade vor Erfindung von Satellitennavigation auf Leuchtfeuer und Nebelhörner angewiesen waren. Auf Fair Isle gibt es gleich zwei Leuchttürme, einen im Norden und einen im Süden. Beide wurden von den renommiertesten Leuchtturmbauern des 19. Jahrhunderts gebaut – den Stevensons. Heute arbeiten sie voll automatisiert – wie alle schottischen Leuchttürme.
Geschichte der Insel
Gegenläufige Strömungen, Nebel und Starkwind macht es für Schiffe häufig schwierig die Insel anzulaufen. Auch heute noch. Flüge werden auf Grund von Nebel oder Wind aus der falschen Richtung storniert. Selbst das Passagier- und Versorgungsboot Good Shepherd IV kann nicht immer anlanden. Eine berühmte Havarie war das Schiff „El Gran Griffon“. Es war ein Versorgungsschiff der spanischen Armada und lief 1588 vor Fair Isle auf Grund. Alle etwa 300 Seeleute und Soldaten konnten sich auf die Insel retten, aber für die Bevölkerung wurde es eine Herausforderung. Sie hatten kaum selbst genug zu Essen. Als die Schiffbrüchigen nach sieben Wochen von der Insel geholt werden konnten, waren 50 von ihnen verhungert. Eine Anmerkung für Fans der Shetlandkrimis: DI Jimmy Perez ist ein Nachkömmling von einem dieser geretteten Seeleute – natürlich nur in der Fiktion.
Besiedelt ist Fair Isle seit etwa 6000 Jahren. Das Leben war immer hart und entbehrungsreich auf der Insel, ganz besonders in den letzten Jahrhunderten: Mit mehr als 400 Einwohnern war die Insel übervölkert, es gab nicht genug zu essen. Die Menschen waren so verzweifelt, dass sie ihre Schafe zum Weiden auf den Sheep Rock brachten. Der Sheep Rock ist ein großer steiler Felsen mit einem abschüssigen Wiesenplateau. Er ist nur durch einen schmalen Grat mit dem Festland verbunden. Die Schafe wurden mit einem Boot bis an die Klippen gebracht und dann einzeln mit einem Flaschenzug hinauf auf die Weidefläche gehievt. Krankheiten und despotische Großgrundbesitzer erschwerten die Lebensbedingungen noch mehr. Auch der 2. Weltkrieg machte vor Fair Isle nicht Halt. Beide Leuchttürme wurden von deutschen Bombern angegriffen; Gebäude wurden teilweise zerstört. Auf dem höchsten Berg, dem Ward Hill, laufen wir über die Reste einer Radarstation. Auf dem Weg ins Dorf entdecken wir mitten in einem Feld die kläglichen Reste eines abgeschossenen Flugzeugs, einer Heinkel HE 111. Die Heinkel war ein zweimotoriger freitragender Tiefdecker in Ganzmetallbauweise mit einem Fahrwerk zum Einziehen. Es war der Standardbomber der Wehrmacht im 2. Weltkrieg.
Der Hauptort
Ab dem 19. Jahrhundert sank dann die Bevölkerungszahl, die Menschen wanderten aus. Erst als die Insel den Besitzer wechselte wurden die Lebensbedingungen wieder besser. Seit 1954 gehört Fair Isle dem National Trust for Scotland. Zwei Kirchen stehen im weitläufigen Dorf. Eine gehört der Church of Scotland die andere den Methodisten. Die heute 55 Einwohner nutzen das Angebot ganz pragmatisch – mal gehen sie in den einen mal in den anderen Gottesdienst oder gar in beide.
Leben auf Fair Isle heute
Wovon leben die Menschen heute? Beinahe wie früher: Von Landwirtschaft, Fischfang und vom Verkauf der Strickwaren. Früher fuhren die Einwohner mit ihren Holzbooten hinaus zu vorbeifahrenden Handelsschiffen um ihre bei den Seeleuten sehr geschätzten warmen Pullover gegen Waren zu tauschen, die sie nicht selbst herstellen konnten. Auch im 20. Jahrhundert war Stricken für die Frauen kein Winter-Hobby, sondern harte Arbeit; sie ließen die Nadeln klackern wo sie gingen und standen, bei jeder Gelegenheit, denn je mehr Strickwaren sie produzierten, desto mehr hatten sie zu essen. Heute ist das Leben etwas entspannter, zu Essen gibt es meist genug und das Gros der Abnehmer der Strickwaren sind zahlungskräftige Touristen. Um einen Fair Isle Pullover zu erstehen müssen diese nicht unbedingt die Insel besuchen, in den Läden der Hauptstadt Lerwick werden sie auch verkauft.
Vogelparadies Fair Isle
Fair Isle ist außerdem ein Vogelparadies und zieht beinahe das ganze Jahr hindurch Ornithologen an. Profis und Hobbyvogelkundler sammeln sich im Bird Observatory. Mehrmals täglich gehen die Vogelkundler raus um ihre Vogelfallen, so genannte Helgoland-Fallen, zu kontrollieren. Diese Fallen sind zu einer Seite komplett offen, so dass die Vögel durchaus wieder rausfliegen können. Sind sie jedoch innerhalb des Netzes wenn aus der Richtung dieser Einflugschneise Menschen kommen, flüchten sie weiter hinein ins Netz. Der Vogelkundler zieht dann an einer Leine; die Klappe zu einer kleinen Kiste öffnet sich. Der Vogel denkt, ‚oh, dort ist ein zweiter Ausgang‘ und fliegt hinein. Kaum ist er drin, fällt die Klappe zu. Gefangen. Schnell wird das Tier in ein Baumwollbeutelchen gesteckt und zum Bird Observatory gebracht. Hier wird es gewogen, vermessen, sein Geschlecht und sein Alter werden bestimmt und sein Fettpolster kontrolliert. Er bekommt einen Ring um den Fuß damit jeder, der ihn findet oder gar fängt weiß wo er herkommt. Dann darf der Vogel wieder fliegen. Bereits seit 1948 werden im Bird Observatory Vogeldaten gesammelt und archiviert. Nur so wissen wir heute wo welche Vögel herkommen, wo sie brüten, wo sie überwintern und wie viele auf der Strecke bleiben.
Besonders interessant ist die Zeit der Zugvögel, die hier eine Rast einlegen und natürlich die Brutsaison. Von April bis August sind die Klippen vollgepackt mit Seevögeln. Die Nistplätze sind dabei genau aufgeteilt: Basstölpel brüten im steilsten, unteren Bereich. Eine Etage höher sitzen Eissturmvögel und an der oberen Kante in Höhlen in der Grasnarbe brüten Papageitaucher. Als wir Mitte August ankommen sind die meisten Papageitaucher schon ausgeflogen. Ihre Jungen sind groß und sie verbringen den Rest des Jahres wieder auf dem offenen Meer. Wir sehen viele leere Höhlen und sind völlig aus dem Häuschen, als wir bemerken, dass doch noch ein paar bewohnt sind. Auf der Insel, im Moor- und Heideland, ist das Territorium der Skuas (bonxies). Das lernt der Besucher recht schnell. Skuas sind Bodenbrüter und wer sich einem Skuaküken nähert wird sofort angegriffen. Dann heißt es Kopf einziehen.
Weitere Fotos und Informationen über andere Shetlandinseln finden Sie unter Shetalndinseln
Für Nachahmer:
Übernachtung: Fair Isle Bird Observatory
Flug: DirectFlight / Airtask