Wandern mit Esel

Er zieht. Er rupft Gras, mampft Eicheln, knabbert im Vorbeigehen Buchenzweige ab oder liest buntes Eichenlaub auf. Verwelkte Goldrute ist auch unwiderstehlich – für den Esel an meiner Leine. Ich möchte wandern, das Tier möchte fressen. Eine solche Wanderung ist harte Arbeit, aber doch wunderschön. Schon nach wenigen Kilometern habe ich Blasen an der Hand, weil ich ständig versuche den Esel vom Fressen abzuhalten. Er kann nichts dafür. Esel lebten ursprünglich in schroffem Ödland und Gebirge; dort ist der Bewuchs vereinzelt und spärlich, daher möchten Esel alles fressen was sie finden. Außerdem stehen am Wegrand andere Pflanzen als auf der heimischen Koppel.

Esel bei Nutzung eines Sportplatzes in der Bildungsstätte Heilsbach
Esel bei Nutzung eines Sportplatzes in der Bildungsstätte Heilsbach

Wer meint, mit einem Esel wandern sei Entspannung pur, irrt sich. Wer hofft, er käme auf andere Gedanken und bekomme den Kopf frei vom alltäglichen Arbeitskram, Corona und was es sonst noch geben mag – der ist goldrichtig! Ein Esel benötigt stets einhundertprozentige Aufmerksamkeit, jedenfalls wenn man, wie ich, unerfahren und allein unterwegs ist. Außerdem müssen sich Esel und Eselführer*in erst mal kennen lernen, das erfordert Aufmerksamkeit von beiden Seiten. Hat der Esel diese Aufmerksamkeit nicht, ist das nicht schlimm für das Tier, dann frisst es. Wer aber wandern möchte mit einem Etappenziel in 18 Kilometern Entfernung, der muss den Esel beständig gelassen ermuntern mitzukommen und nicht zu häufig ans Fressen zu denken. Für andere Gedanken bleibt keine Kapazität auf der Festplatte des eigenen Kopfes.

Ich starte meine Tour in Schönau-Heilsbach im südlichen Pfälzerwald nahe der französischen Grenze. Zuerst lerne ich Knoten zu binden, zu Striegeln, Hufe zu säubern, aufzusatteln und zu kraulen. Calisson, so heißt mein Esel, mag es besonders gern in den Ohren gekrault zu werden. Dann lässt er ganz entspannt seine Unterlippe hängen. Sechs Tage werden wir beide unterwegs sein. Eigentlich besteht die Tour nur aus vier Tagen mit dem Esel, aber da ich eine Woche Zeit habe und auch fotografieren möchte, habe ich jeweils zwei Nächte pro Übernachtungsort gebucht.

Ich schlafe meist in familiengeführten Landgasthöfen, der Esel ist direkt beim Gasthof untergebracht oder auf einer separaten Koppel in der Nähe. Und das Beste: Er trägt mein Gepäck! Mehr als 40 Kilo sollen es jedoch nicht sein! Ich habe zwei Taschen à vier Kilo gepackt, das schafft er locker. Ich selbst trage meinen Tagesrucksack mit Fotoausrüstung und Verpflegung und komme ebenfalls auf acht Kilo. Ein ausgewogenes Verhältnis.

Wir marschieren los. Von Schönau-Heilsbach laufen wir am ersten Tag nur gut zehn Kilometer ohne nennenswerte Steigungen immer nett am Saarbach entlang und durch lichten Mischwald Richtung Ludwigswinkel. Entspannend, wenn nicht das Tier dauernd fressen wollen würde. Calisson hört überhaupt nicht. Nur Leine Ziehen hilft. Und Aufmerksamkeit. Ich treffe eine Frau mit großem Rucksack; sie ist auf dem Pfälzer Jakobsweg unterwegs. Wir wollen ein bisschen plaudern, doch die kleine Unaufmerksamkeit nutzt Calisson um sich an den leckeren Gräsern am Wegrand zu laben. Wir sind schlau und wollen den Esel auf dem breiten Weg in der Wegmitte zwischen uns laufen lassen. Der Esel ist schlauer. Er läuft drei Schritte brav und zieht dann plötzlich hinter mir in die eine oder andere Richtung, wobei er einen von uns einfach wegdrängt. So unterhalte ich mich eben nicht, sondern ermuntere Calisson nicht zu fressen und gemütlich neben mir zu laufen. Das geht. Kurze Zeit jedenfalls, bis neue Unwiderstehlichkeiten am Wegrand wachsen.

Mittags sind wir am Pfälzerwoog mitten im Wald. Ich befreie Calisson von meinem Gepäck und binde ihn an die lange Leine. Hier kann er fressen und ich kann endlich mal etwas trinken und ebenfalls einen Snack zu mir nehmen. Plötzlich hört der Esel auf zu kauen, Kopf und Ohren hoch aufgerichtet. Dann ertönt sein markerschütternder Schrei. Iaaaah. Wenige Meter entfernt, aber noch außer Sichtweite, quietschen und kreischen ein paar Wanderer. Sie haben sich erschreckt. Ihr Jagdhund an der Leine schaut interessiert zu Calisson; dieser ist ebenso interessiert, aber dann frisst er entspannt weiter. Ein Hund an der Leine ist keine Gefahr. Am ersten Tag wird mein Esel jeden Hund mit seinem Ruf begrüßen. Zum Glück begegnen uns nur drei. Ob es Freude oder Angst ist, vermag ich nicht zu sagen.

Rast am Pfälzerwoog

Kurz bevor wir unser heutiges Ziel, das Örtchen Ludwigswinkel, erreichen wird Calisson närrisch. Er zerrt mit Macht an der Leine und greift alles Fressbare. Ich muss ihn richtig nerven indem ich nur an der Leine ziehe, loslasse, ziehe, um ihn einen Schritt weiterzubringen. Ich verspreche ihm, dass wir gleich da sind und er herrlichstes Futter bekommt. Man sollte jedoch nur versprechen, was man auch halten kann. Als ich die Koppel sehe, die für zwei Nächte sein Domizil sein wird, wird mir klar, warum sich Calisson so aufgeführt hat.

Im Gegensatz zu mir wollte er nicht ankommen! Er kennt dieses abgetrennte Stückchen Gartenrasenfläche, kaum größer als 40-50 Quadratmeter. Etwas Grünfläche, ein Wassertrog, Heu auf dem Boden und eine Wälzkuhle. Eigentlich alles da, aber wenig Auslauf. Ich kann ihn zwar verstehen, aber er kann sich frei bewegen, besser als eingesperrt in einer engen Box zu stehen. Außerdem hat er sich auf dem Weg schon den Bauch vollgeschlagen, er ist nur zum Schlafen hier. Ich bin im Hotel Rösselsquelle sehr gut untergebracht. Ein schönes, helles Zimmer mit Balkon. In der Nacht höre ich Calisson mehrfach rufen. Der Arme steht allein auf diesem Wiesenstückchen, er ist einsam, das mag er gar nicht.

Am nächsten Morgen ist bestes Fotowetter. Nebel! Bevor ich selbst frühstücke bringe ich Calisson frisches, duftendes Heu. Er schaut mich an. Mit seiner Nase streift er angewidert darüber und schaut mich wieder vorwurfsvoll an, so als wolle er sagen: Du schlägst Dir den Bauch mit leckeren Brötchen, Ei, Kuchen und Müsli voll und mir bietest Du dieses trockene Zeug in dieser traurigen Umgebung! Ok. Ich verstehe und bringe ihm nach meinem Frühstück einen Apfel, den ich eigentlich zu Mittag essen wollte. Wobei Esel einen großen Anteil an Trockenem wie verholzten Sträuchern und Heu fressen sollten – zu viel Grünfutter führt zu Stoffwechselerkrankungen und Übergewicht. Ich darf mich auch nicht nur von Schokolade ernähren. So versuche ich, ihn durch intensives Kraulen positiv zu stimmen. Nach nur einem Tag hat er mich schon voll im Griff.

Ich wandere los und ignoriere Calissons lauten Protest. Er muss dort bleiben, denn beim Fotografieren möchte ich mich voll auf das Foto konzentrieren; der Esel ist heute Nachmittag wieder an der Reihe.

Sägmühlweiher

Etwa zwei Kilometer von Ludwigswinkel entfernt, mitten im Wald, liegt ein verlassenes Munitionslager der Amerikaner. Im Kalten Krieg war es eines der größten Depots außerhalb der USA und ein Hotspot der Friedens/Protestbewegung, da hier auch Chemiewaffen vermutet wurden. Heute sind 17 Hektar frei zugänglich, und der Nebel unterstreicht die unwirtliche Atmosphäre.

Verlassene US-Depotbunker

Ich laufe weiter durch den Wald nach Fischbach bei Dahn. Hier gibt es den einzigen Lebensmittelhändler weit und breit. Ich kaufe ein Kilo Möhren als Bestechungs- und Belohnungsfutter für den Esel. In Ludwigswinkel gibt es leider gar keinen Lebensmittelladen, nicht einmal einen Kiosk. Es gibt einen Friseur und drei Restaurants, von denen heute – an einem Dienstag – zwei geschlossen sind. In weiser Voraussicht rufe ich gegen Mittag bei diesem einen Restaurant an und bitte um eine Platzreservierung am Abend für eine Person. Es gibt leider nichts. Vielleicht gegen 20 Uhr, aber nur vielleicht. So disponiere ich um und kaufe im Supermarkt eine Brotzeit und eine Flasche Bier für mich. Mein Mittagessen in Form von hausgemachtem Zwetschgenkuchen nehme ich im Cafe des Biosphärenhauses ein. Eine exzellente Wahl!

Zwetschgenkuchen im Cafe des Biosphärenhauses

Zurück in Ludwigswinkel möchte ich einen Spaziergang mit Calisson machen, doch da steht ein zweiter Esel auf der Koppel. Aneth. Die zwei sind Freunde und sehen glücklich aus. Heute Nacht ruft keiner von den beiden.

Wie jeden Morgen füttere ich den Esel, heute die Esel, mit frischem Heu. Ich mache einen großen Haufen und denke, die beiden Freunde fressen zusammen. Denkste. Beim Futter hört die Freundschaft auf. Die kleine Aneth schubst den größeren Calisson einfach weg. Er steht da und schaut mich traurig an. Gut, verstanden. Ich hole eine weitere Fuhre Heu und mache einen zweiten Haufen nur für ihn. Jetzt ist er zufrieden und frisst sogar.

Als ich Calisson später wanderfertig mache und von der Koppel führe, protestiert Aneth. Esel sind gesellig, sie möchte nicht allein bleiben. Aber auch ihre Eselwanderer werden bald kommen. Calisson und ich laufen ein kurzes Stück die Straße entlang doch genau dort, wo wir laut Routenbeschreibung in den Wald gehen sollen, ist der Weg mit einem rot-weißen Band versperrt. Das Foto mit einem freundlich lächelnden Herrn mit Helm weist darauf hin, dass der Weg wegen Forstarbeiten nicht begehbar ist. Und nun? Ich kenn mich doch hier nicht aus!

Gesperrt wegen Waldarbeiten

Zum Glück habe ich eine ausgezeichnete Wanderkarte (Pfälzerwald 7, NaturNavi) und von Eselhalter Max die GPS-Tracks für mein Navigationsgerät bekommen. Ich laufe die Straße zurück und will an einer anderen Stelle in den Wald. Diesen Weg ist der achtjährige Calisson noch nicht gegangen, so scheint es. Er geht langsamer, den Kopf hochgereckt, Ohren aufgestellt, konzentriert, aufmerksam und bedächtig. Esel sind extrem vorsichtig. Ich ermuntere ihn, mir zu folgen und tue so als ob ich genau wüsste, wohin wir gehen. Er folgt mir tapfer, er steigt sogar ohne zu zögern über einen quer über dem Weg liegenden Ast. Er vertraut mir. Wir kommen an den Schöntalweiher. Dieser liegt idyllisch im Morgenlicht, ich möchte die paar Meter ans Ufer gehen, um ein Foto zu machen. Calisson binde ich an einem Zaun an.

Ich komme genau zwei Schritte weit, da schreit er aus Leibeskräften. Ich denke er hat Angst allein angebunden stehen gelassen zu werden und beeile mich mit dem Foto.

Schöntalweiher, Ludwigstal
Schöntalweiher

Kaum ist der Esel losgebunden stürzt er sich auf die Pflanzen am Wegrand. Ich zerre ihn weg. Er rennt auf die andere Straßenseite und zupft am wilden Wein, der über der Mauer eines Privatgrundstücks hängt. Von wegen Angst allein zu bleiben: Der Esel ist stinksauer, dass ich ihn so angebunden habe, dass er nicht fressen konnte, das muss er jetzt nachholen. Oh Mann, bin ich herzlos! Ich tröste ihn und ermuntere das Tier mit einer großen verwelkten Goldrute im Maul weiterzulaufen. Ich bilde mir ein, er grinst beim Kauen.

Es geht steil den Berg hoch. Der Esel ist viel schneller als ich. Nassgeschwitzt und keuchend komme auch ich oben an. Eine Pause wäre nicht schlecht. Aber mitten im Wald ist kein dünner Baum zum Anbinden eines Esels in Sicht. Calisson wird wieder aufmüpfiger und mag gar nicht mehr laufen, sondern nur noch fressen. Das wird allmählich mühsam. Wir haben schließlich noch gut zehn Kilometer vor uns! In der Ruhe liegt die Kraft. Nur nicht ungeduldig werden, das hilft bei Eseln nicht.

Dann endlich ist unsere Rettung in Sicht. Eine Lichtung. Mit einer Bank und Aussicht für mich und einer Wiese für den Esel. Einst stand hier der Erlenkopfer Hof, heute ist nur noch ein großer Gedenkstein davon zu sehen. Ich nehme Calisson das Gepäck ab und binde ihn an die lange Leine. Fix und fertig nach drei Stunden Wanderung lasse ich mich auf die Bank fallen. Wandern mit einem Esel kann ganz schön anstrengend sein! Doch mit dem beruhigend mahlenden Kaugeräusch des Tieres im Hintergrund komme auch ich zur Ruhe und genieße meinen Mittagssnack.

Reste des Erlenkopfer Hofs

Hier begegnen uns zum ersten Mal heute zwei weitere Wanderer. Jetzt, Mitte Oktober, ist es schon still im Pfälzerwald, nur wenige Menschen sind noch unterwegs. Nach der Mittagspause geht es zügig weiter. Der Esel trottet lammfromm neben mir her. Er ist zufrieden, ich bin zufrieden. Dieser Zustand dauert nicht so arg lang. Zu verlockend sind die Pflanzen am Wegrand, egal was. Ich zerre beharrlich an der Leine; sobald sich sein Kopf dem Boden nähert mache ich die Andeutung einer Zugbewegung nach oben. Es geht. Dann kommt eine Pfütze. Calisson möchte trinken. Das darf er selbstverständlich! Der schlaue Kerl streift mit seiner Nase wenige Millimeter über dem Wasser und schwenkt dann blitzschnell den Kopf ins grüne Gras dahinter. Ich muss lachen. Kann ich diesem Schlingel böse sein? Wer hat eigentlich die Mär vom dummen Esel in die Welt gesetzt? Calisson ist jedenfalls schlau und gewitzt. Wenn ich ihn anbinde muss ich auch aufpassen. Ich binde ihn, wenn’s nur kurz ist, mit einem Knoten fest, der am losen Ende mit einem Ruck lösbar ist. Sehr praktisch. Doch Calisson ist praktisch veranlagt. Er nimmt das lose Ende zwischen die Zähne und zieht – voilá! Und schon ist die Leine los und der Esel kann seiner Lieblingstätigkeit nachgehen. Das hat er ein Mal geschafft, aber so dumm bin ich nun auch nicht und mache das Ende des Knotens anders. Diesen Knoten öffnet mein gewiefter Esel nicht.

Ich laufe heute nur in meinen Halbschuhen, das ist in Ordnung auf breiten, waldigen Wegen, auf schmalen verwurzelten Pfaden ist es keine gute Idee. Jedenfalls nicht für mich. In Nepal laufen die Sherpas in Badeschlappen auf 5000 Meter hoch, aber ich bin kein Sherpa. Ich habe natürlich meine hohen Wanderschuhe dabei, aber schon nach der ersten Wanderung schmerzte mein Fußknöchel. Daher heute mein Versuch mit den Halbschuhen. Nach beinahe fünf Stunden Wanderung und wenigen Kilometern vor dem Ziel geht es einen steilen Weg hinab. Ich rutsche aus, knicke um, stürze, reiße den Kopf des Esels runter, da ich das Führungsseil zunächst nicht loslasse. Der Esel erschrickt sich, schaut, aber es ist nichts passiert. So labt er sich an den Wegkräutern während ich mich wieder aufrichte und das Fußgelenk kreise. Alles in Ordnung. Nix passiert. Morgen wandere ich wieder in hohen Wanderschuhen!

Auf einem breiten Wanderweg marschiere ich weiter Richtung Eppenbrunn. An einer leeren Koppel bleibt Calisson unvermittelt wie angewurzelt stehen. Was ist los? Da kommen plötzlich aus dem Wald drei Pferde angaloppiert, direkt auf uns zu. Calisson ist zunächst noch neugierig interessiert, dann gibt er Gas und rennt ein paar Meter weg von den Pferden. So ein Schisser. Ich lege meinen Arm schützend um seinen Hals. Alles gut.

Vor dem Haus Waldesruh in Eppenbrunn parke ich den Esel an einer Parkbank um ihn abzuladen. Er ruft laut. Das bringt den Besitzer des gegenüberliegenden Kleingartens auf den Plan. Er kommt mit einem Rettichblatt und fragt, ob er den Esel damit füttern dürfe. Calisson reißt ihm das Grünzeug aus der Hand. Esel machen wirklich Freude und sorgen bei jedem für ein Lächeln im Gesicht.

Das Gepäck und den Packsattel deponiere ich in der hauseigenen Garage und führe Calisson zur Koppel. Diese liegt gut 500 Meter entfernt am Waldrand. Nach 250 Metern steht ein Apfelbaum, der einige Äpfel verloren hat. Der Esel ist hoch erfreut. Ich gönne ihm einen Apfel, aber dann nerve ich ihn durch Gezerre an der Leine so lange bis er aufgibt und weiterläuft. Diese Koppel ist wesentlich größer als die gestrige. Außerdem gibt es auf der angrenzenden Weide ein paar interessierte Pferde.

Mein Fußknöchel ist geschwollen, rot und heiß. Das ist nicht gut. Ich schmiere eine Lage Schmerzgel drauf. Morgen geht’s sicher wieder. Doch die halbe Nacht schlafe ich nicht; am nächsten Morgen ist der Fuß immer noch leicht geschwollen. Ich kann ohne Weiteres auftreten und laufen, aber wenn ich die hohen Schuhe anziehe schmerzt es. Also wieder Halbschuhe. Wenn ich nochmals stürze und mir richtig den Fuß verdrehe? Ich bin schon einmal auf diese Weise in der Notaufnahme gelandet. Ich muss am nächsten Tag fast 20 Kilometer laufen, auf schmalen Wegen. Das sind viele tausend Schritte, das sollte ich nur tun wenn ich die restlichen Urlaubstage im Sitzen verbringen möchte. Was tun? Urlaub beenden? Auch blöd, ich habe die nächsten zwei Unterkünfte schon bezahlt, sogar mit Halbpension. Ich entscheide mich, die Reise ohne Esel fortzusetzen und die lange Wanderstrecke mit dem Bus zu fahren. Dann kann ich wenigstens noch ein paar Spaziergänge machen und die gute Luft genießen. Doch was mache ich mit dem Esel? Heute Morgen sind zwei weitere Familien mit je einem Esel unterwegs, aber keine von beiden möchte einen zweiten Esel mitnehmen – obwohl das Wandern mit zweien vielleicht einfacher wäre. So bleibt nichts anderes, als Calisson mit einem Hänger abholen zu lassen. Schade. Ich fing gerade an ihn und seine Bedürfnisse zu verstehen. Wir wären ein gutes Team geworden.

Am ersten esellosen Tag mache ich einen Rundgang durch Eppenbrunn. Viel gibt es nicht hier. Ein Sportgeschäft, aber das hat geschlossen (es ist Donnerstag, 15 Uhr). Eigentlich eine perfekte Zeit um einen Kaffee zu trinken. Ich erspähe die Leuchtreklame „Cafe“ an einer Außenfassade. Bingo! Doch das war einmal. Heute ist hier die Touristeninfo untergebracht – Öffnungszeiten nach Vereinbarung. In der nächsten Straße ist eine Bäckerei. Sehr gut. Doch auf Grund eines Brandes in der Hauptbäckerei ist der Laden nur zwei Stunden täglich geöffnet; Backwaren gibt’s leider nicht. Meine letzte Chance: die Tankstelle … wegen Urlaubs geschlossen. Dann eben nicht. Zuviel Kaffee ist nicht gut für meine Gesundheit. Ich laufe in den sog. Freizeitpark. Andernorts würde man wahrscheinlich Kurpark dazu sagen. Der Kiosk wird gerade abgerissen, doch es gibt tatsächlich eine Art Zelt. In diesem unterhält Khalida ihren Kiosk. Sie hat Kaffee. Ich frage nach Kuchen oder Süßem? Der Kuchen sei bestellt, aber noch nicht geliefert. Ich bekomme einen Pott frisch gebrühten duftenden Kaffee und dazu drei Waffeln aus der Supermarktpackung. „1,50 Euro“, sagt Khalida. Mit drei Fragezeichen in den Augen schaue ich sie ungläubig an. Hab’ ich richtig gehört? Sie will nur Geld für den Kaffee, die Waffeln gehen auf’s Haus. Ich weiß nicht wo Khalidas Wurzeln sind, sie spricht mit Pfälzer Akzent, aber vielleicht ist Gastfreundschaft ja angeboren.

Mühlweiher

Am nächsten Tag werde ich von einer Angestellten aus meiner Unterkunft (Haus Waldesruh) im Auto mitgenommen nach Langmühle. Hier bleibe ich noch zwei Nächte im Hotel Grafenfels und fahre dann mit dem Zug von Pirmasens nach Hause.

Für Nachahmer

Mit und ohne Esel ist diese Gegend hervorragend zum Wandern geeignet. Die Böden sind sandig bis erdig und gut zu laufen. Es ist ein stetes Auf und Ab. Schön ist der Deutsch-Französische Grenzweg. Mal gehst Du auf der französischen Seite und mal auf der Deutschen. Die Bäume tragen hier meist weiße Streifen, die ich zuerst für Wegmarkierungen halte – es sind jedoch die Grenzmarkierungen. Wie schön ist es doch in der EU zu leben! Keine Grenzkontrolle, kein Stacheldraht, niemand schwer bewaffnet mit Schnellfeuergewehr.

Mit Calisson in Frankreich

Immer wieder gibt es spannende Steinformationen wie zum Beispiel den Schlossfelsen in Eppenbrunn.

Von Langmühle empfehle ich den Flößerpfad. Auch dieser ist gut zu laufen und geht am Storrbach entlang, der im 19. Jahrhundert kanalisiert und mit Wehren versehen wurde um Holz aus dem Wald in den nächst größeren Salzbach zu transportieren.

Melkerplätzer Weiher

Meine Unterkünfte waren allesamt sehr gut – ich empfehle sie uneingeschränkt weiter. Das Essen in den Landgasthöfen ist gute Hausmannskost, meist sind die Portionen riesig. Der Wein ist gut und günstig, die Deutsche Weinstraße ist schließlich um die Ecke.

Die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist möglich, aber schwierig. In den Rheinland-Pfälzischen Schulferien verkehren nur sehr wenige Busse, die Verbindungen zwischen den Orten gehen meist über Dahn oder Pirmasens. So musst Du für elf Kilometer zwei Stunden und mehr einplanen. Am Wochenende und an Feiertagen verkehren keine Busse. Aber in diesen Dörfern zählt Nachbarschaftshilfe und Gastfreundschaft. Wer ein Problem hat, muss es nur kundtun – es wird eine Lösung gefunden.

Wer hier mit einem Esel stunden- oder tageweise unterwegs sein möchte, bucht am besten über Anecdote und übernachtet die erste/letzte Nacht oder länger in der Bildungs- und Freizeitstätte Heilsbach.

Buchempfehlungen

  • Rohrbach, Carmen: Muscheln am Weg (Mit einem Esel auf dem Jakobsweg)
  • Schmidt, Judith: Warum Esel so gescheit sind

Ich habe diesen Bericht geschrieben, weil viele Freunde wissen wollten wie es war, mit einem Esel zu laufen, wo ich den Esel bekommen habe, wo ich übernachtet habe. So erwähnte ich, was ich für notwendig halte – ohne Auftrag der Genannten. Auf Deutsch: Unbezahlte Werbung ohne Auftrag.

Blick auf Fischbach bei Dahn