Edge of Wales Walk – Reisebericht

Auf dem historischen Pilgerweg von Clynnog Fawr nach Bardsey

Ich wollte Wandern. Anfang Mai. Nicht zu weit weg, ohne großes Gepäck, ohne Rummel. Da fiel mir die Anzeige von „Edge-of-Wales-Walk“ ins Auge. Etwa 75 km in vier bis acht Tagen Wandern nur mit Tagesrucksack, das Gepäck wird mit dem Auto gebracht. Genau das Richtige!

Eine gute Stunde dauert der Flug von Düsseldorf nach Manchester, von dort geht es weiter in drei Stunden mit dem Zug nach Bangor auf der Halbinsel Llyn. Am Bahnhof wartet Peter von „Edge-of-Wales-Walk“ schon auf mich. Hier spricht zwar jeder Englisch, aber die Muttersprache ist walisisch und ich bekomme gleich auf der Fahrt zu meinem Ausgangsort eine kleine Einweisung. Doch nach wenigen Kilometern Ortsschilder-Studium kapituliere ich: Wie soll ich Pwllgwyngyll aussprechen? Aber es kommt noch elender: Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwillllantysiliogogogoch, das heißt so viel wie: „St. Marys Kirche bei dem weißen Haselnussstrauch und der Kirche des St. Tysilio nahe der roten Höhle“. Der Name wurde kreiert um die vielen St. Marys Kirchen voneinander zu unterscheiden und – um Touristen anzuziehen. Na ja, ganz so schlimm geht’s zum Glück nicht weiter und nach wenigen Tagen bin ich mit der Aussprache halbwegs vertraut.

Mein erster Übernachtungsort ist Clynnog Fawr. Hier treffe ich auf den alten Pilgerweg zur Insel Bardsey. Schon zu keltischen Zeiten wurde dieserSt. Beuno, Clynnog Fawr Küstenstreifen begangen, da es hier viele Quellen gibt, denen wundersame Heilkräfte unterschiedlichster Art nachgesagt wurden. Als dann im Mittelalter Pilgern groß in Mode kam und Pabst Sixtus I verkündete, dass drei Pilgerreisen nach Bardsey einer nach Rom gleichkämen, begann ein wahrer Run auf diesem Weg. Die wunderschöne alte Steinkirche des Heiligen St. Beuno, des bedeutendsten Heiligen in Wales, ist eine der ersten Stationen und – wegen Renovierung geschlossen! ‚Jetzt bin ich extra von Deutschland gekommen und gerade eine der wichtigsten Kirchen ist geschlossen, ich frag‘ einfach mal den Pfarrer, der bestimmt in dem kleinen Häuschen neben dem Friedhof wohnt, ob er mich vielleicht doch rein lässt‘. Ich klopfe also an der Tür und bekomme prompt eine gekrächste Antwort: „All gone out, all gone out“. Der Graupapagei in seinem Käfig hinter der Tür ist gut informiert, denn es rührt sich sonst nichts im Haus! Am nächsten Morgen bin ich schon um 5 Uhr hellwach – warum auch immer – also denke ich mir: Carpe diem. Was gibt es Spannenderes als mit Stativ und Kamera bewaffnet im Morgengrauen die Kirche und den alten Friedhof von St. Beuno zu fotografieren, wenn ich schon nicht in das Gotteshaus hinein kann. Es war leider nicht so nebelig wie ich erhofft hatte, aber trotz allem eine schöne Stimmung.

Clynnog Fawr nach Llithfaen

An meinem ersten Wandertag stiefele ich nun erstmalig mit GPS ausgestattet über Schafweiden und querfeldein, manchmal noch recht unsicher, ob das alles so richtig ist. Aber ich finde doch immer das Loch oder die Treppe in den Steinmauern, die die Felder abgrenzenden und komme am Spätnachmittag wirklich dort an, wo auch mein Gepäck auf mich wartet! Vorher musste ich aber noch einen Hügel erklimmen auf dem sich in 450 m Höhe die riesige, festungsartige Siedlung von Tre’r Ceiri befindet. Sie entstand etwa 100 v. Chr. und besteht aus 150 Rundhäusern die insgesamt von einer bis zu 3 m hohen Mauer umgeben ist. Hier begegnen mir sogar zwei weitere Touristen aus England, ansonsten habe ich den ganzen Tag über auf dem Wanderweg niemanden gesehen. Die Halbinsel Llyn gehört zu den am geringsten besiedelten Landstrichen Wales. Dafür gibt es jede Menge Schafe.

Llithfaen nach Morfa Nefin

Nant Gwrtheyrn, SteinbruchHeute habe von Anfang an Begleitung. Ein junger Staffordshire Bullterrier kommt von irgendwoher angelaufen und will mit mir spielen. Ich habe aber Angst vor dieser Hunderasse und ignoriere ihn. Das macht dem Vierbeiner aber nichts, er läuft fröhlich mal vor mir, mal hinter mir her und stößt mir seinen breiten Kopf ab und an in die Beine – vielleicht möchte ich ja doch spielen!? Nach drei bis vier Kilometern kommt meine Chance: Ein im Boden eingelassenes Tiergitter und rechts und links des Weges Zaun! Ich kann mühelos über das Gitter gehen, der Hund aber nicht! Macht ihm aber nichts – er läuft enthusiastisch parallel zum Weg hinter dem Zaun weiter. Dann sagt mir mein GPS, dass ich nach rechts abbiegen müsse, während der Hund hinter dem Zaun auf der linken Seite ist. Also: Tschüss Hund, ha! – Da steht er, die Nase durch den Zaun gesteckt, fiept bedauernswert und hat Tränen in den Augen (ganz bestimmt). Ich bringe es einfach nicht über’s Herz ihn da im Wald stehen zu lassen. Also gehe ich weiter geradeaus, es kommt nach kurzer Zeit ein neues Tiergitter, der Zaun hört auf und wir laufen wieder gemeinsam des Weges. Ich nenne ihn Charly und akzeptiere seine Adoption. Der Weg, den ich ja eigentlich nicht gehen soll, führt direkt an den Rand eines alten Steinbruchs. Bis 1940 lebten 300 Menschen hier in Nant Gwrtheyrn und bauten Steine für den Straßenbau ab. Doch Teer und Beton gewannen immer mehr an Bedeutung, der Steinbruch wurde aufgegeben und heute sind nur noch rot rostige Geräte zu sehen. Mich interessieren diese alten Teile aus fotografischer Sicht; Charly hingegen hat nur Augen für das Meer, direkt unter uns. So läuft er über Schafpfade zum Wasser und findet interessante Dinge am Strand während ich mit dem Blick auf meine Wanderkarte feststelle, dass ich einfach nur geradeaus weitergehen muss, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Das tue ich auch, und so trennen sich die Wege von Charly und mir. Ich hoffe, er hat den Weg zurück gefunden, aber wahrscheinlich suchte er nur Begleitung bis zum Meer!

Morfa Nefyn nach Porth Dinllaen

Heute habe ich „frei“. Ich nutze die Zeit um an der Steilküste hinter Porth Dinllaen gemütlich auf Matten von rosa Grasnelken zu sitzen, zu lesen, und diePorth Dinllaen bei Sonnenaufgang zwei Seelöwen, die ab und an in der Bucht ihren Kopf aus dem Wasser stecken, zu beobachten. Zum Abschluss gibt’s im landesweit bekannten Ty Coch Inn direkt am Sandstrand ein Pint. Ich entscheide mich für Pedigree-Bier (Übersetzt: Pilger), auch wenn ich kein richtiger Pilger sondern nur Wanderer bin. Porth Dinllaen und das Ty Coch Inn waren übrigens Drehort für den Film „Half Light“ (Licht und Schatten) mit Demi Moore. Heute stehen nur wenige Häuser hier, doch vor 200 Jahren war Porth Dinllaen ein bedeutender Hafen mit florierender Schiffbauindustrie und Fischerei. Gefangen und gesalzen in Fässern exportiert wurde hauptsächlich Hering. Heute leben die Menschen vom Tourismus und vom Fischfang.

Morfa Nefyn nach Llanwnnadl

Der Pfad führt direkt am Golfplatz entlang. Ich finde den Einstieg nicht richtig und wandere quer über den Platz, das GPS will es so! Ich war noch nie auf einem Golfplatz also tapse ich einfach los. Hier sind allerdings Menschen in ihr Spiel vertieft und ein Ball pfeift prompt an meinem Ohr vorbei. Der arme Golfspieler hatte mich nicht gesehen und entschuldigt sich sogar bei mir, normalerweise kämen Wanderer aus der anderen Richtung. Der Golfer weiß aber zum Glück wo der Wanderweg zu finden ist; ich muss den Marsch mitten über den Golfplatz fortsetzen und bekomme Anweisung in welche Richtung ich schauen soll, um möglichen Bällen auszuweichen. Ich hab’s überlebt, aber an dieser Stelle ist mein Adrenalinspiegel doch etwas angestiegen.
Der Rest des Weges führt gemütlich an der Steilküste entlang. Die Sonne scheint, es ist fast windstill und warm. Ich kann mir schwer vorstellen, dass das Meer stürmisch und gefährlich sein kann, doch an dieser Küste sind schon viele Schiffe bei rauer See verunglückt; die havarierten Schiffe wurden häufig auch geplündert. So hatte z.B. 1848 die Barkasse Cristian Rum und Zucker geladen als sie an die Felsen von Porth Gwylan kam. Die Besatzung konnte sich retten und die Einheimischen schafften es, sich 250 Gallonen Rum unter den Nagel zu reißen! Das kostbare Gut wurde an allen möglichen und unmöglichen Orten wie z.B. in Hasenbauten versteckt, denn erwischen lassen durften sich die Leute natürlich nicht.
Doch nicht alle Havarien waren Unfälle und liefen so glimpflich ab. Da wurden u.a. falsche Lichter gesetzt und Schiffe absichtlich auf die Felsen geleitet. Die Besatzung wurde in diesen Fällen massakriert und die Ladung verhökert.

Llanwnnadl nach Aberdaron

Nachdem ich noch am Nachmittag auf dem Weg zu meiner Unterkunft die Pilgerkirche von Gwynhoedl besichtigte und auch einen der mysteriösen „Standing Stones“ auf einem Feld fotografierte, mache ich noch einen Abendspaziergang ins nahe Waldstück. Wald ist in dieser Gegend selten und gerade deshalb ziehen mich die Bäume an. Ein Teppich aus blau blühenden Glockenblumen empfängt mich, ich kann mich kaum vom Anblick losreisen!
Es geht wieder an der Küste entlang. Die Wiesen sind, wie schon an den Tagen vorher, voller Schafe, meist Muttertiere mit ein bis zwei kleinen Wollknäulen im Schlepptau. Die Kleinen sind wirklich niedlich und ich muss mich bewusst zurückhalten um nicht jedes einzelne zu portraitieren. Die Schafe werden wegen ihres Fleisches gehalten und das Leben vieler Lämmer endet bereits nach drei Monaten auf dem Grill.

Interessiertes Lamm

Gegen Mittag erklimme ich Mynydd Mawr (übersetzt heißt das so viel wie „großer Berg“). Im 2. Weltkrieg gehörte der Beobachtungsposten auf diesem Berg zu einer Signallichterkette, die an der gesamten Küste entlang lief. Das gerade dieser Platz ausgewählt wurde ist nicht verwunderlich: Nach Westen blicke ich auf Bardsey – mein Ziel und das „gelobte Land“ der mittelalterlichen Pilger – und zur anderen Seite mache ich in der Ferne den Golfplatz oberhalb von Porth Dinllaen aus! Eine gute Stunde sitze ich hier in der Sonne und genieße die Aussicht, aber es hilft alles nichts, ich muss noch gut zwei Stunden weiterwandern bis ich in Aberdaron ankomme.
In Aberdaron übernachte ich wieder in einem B&B. Die Kinder sind erwachsen und wohnen in der Stadt; ihre beiden Zimmer wurden zu wunderschönen, gemütlichen Gästezimmern umgewandelt. Meine Wirtin Mrs Williams erzählt, dass sie 1100 Schafe und 300 Rinder halten. Von BSE waren sie nicht betroffen, wohl aber von der Maul- und Klauenseuche, die zum Preisverfall von Schafsfleisch führte.

Bardsey

Heute geht’s auf die Insel. Früher dauerte die Überfahrt mit dem Ruderboot gut 2 Stunden und mehr – je nach Wetterlage. Heute sind wir in knapp 30 Minuten drüben, doch ganz so einfach wie ich dachte ist es nicht. Von Aberdaron laufe ich erst mal 30 Minuten bis zum Hafen – nein, dieses Wort ist wahrlich übertrieben. Es handelt sich um eine Bucht in der Fischerboote anlanden, aber es gibt nichts was auf einen Hafen hindeutet – nicht mal ein Schild. Mit mir finden sich zum von Peter genannten Zeitpunkt noch vier weitere Touristen ein. Wir werden zunächst in ein Schlauchboot „verladen“ damit geht es wenige Meter hinaus auf’s Meer. Hier liegt ein Fischerboot vor Anker in das wir über eine Leiter umsteigen. Glenn, der Kapitän, erklärt uns, dass er eigentlich vom Fischfang lebt und hin und wieder Touristen für 25 Pfund auf die Insel fährt. Die Überfahrt wird für meine Begriffe recht schaukelig als wir das offene Meer erreichen. Ich greife schnell zum Reisekaugummi.
Bardsey ist zwei Meilen lang und eineinhalb Meilen breit. Der Boden ist fruchtbar und um 1798 lebten 60 Menschen hier. Heute ist es nur noch eine Familie mit zwei Kindern. Im Mittelalter war Bardsey Endstation der Pilgerreise. Wer dann noch das Glück hatte und auf Bardsey verstarb, musste nicht so lange im Fegefeuer schmoren, so der Glaube. Das hatte zur Folge, dass viele Alte und Kranke alle Bindungen an ihr Zuhause abbrachen, nach Bardsey pilgerten, den ansässigen Mönchen ihre Habseligkeiten vermachten und dafür bis zum Tod bleiben durften. So wird das Eiland heute die Insel der 10.000 Heiligen genannt; auch St. Beuno wurde hier beigesetzt.
Nach knapp vier Stunden auf der Insel fahren wir zurück. Ich mache am nächsten Tag noch eine weitere Wanderung an der Küste entlang und esse am Abend vorzüglich im „The Ship Hotel“. Nur gut, dass ich mit Kreditkarte bezahlen kann, denn den letzten Geldautomaten habe ich in Nefyn gesehen, in Aberdaron gibt es keinen!

Es war eine herrliche, sonnige Woche und es wird gewiss nicht mein letzter Besuch gewesen sein!

Wanderungen mit GepäcktransportKüste zwischen Carrog Farm und Bryn Swynog

Organisiert von Peter Hewlett: Edge-of-Wales-Walk

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