Wir stehen im Nebel. Der Wind pfeift mit Stärke sechs bis sieben und rüttelt an unserem kleinen Mietwagen. Um nicht seekrank zu werden, parken wir im Windschutz eines abgestellten Containers. Das hilft. Draußen ist es nass und kalt. Mit einem hart erkämpften Sieg über den inneren Schweinehund verlassen wir die wohlige trockene Wärme des Autos.
Eigentlich sollten wir von unserem Standort in 1021 Metern eine grandiose Aussicht über die Azoreninsel Terceira haben. Haben wir aber nicht. Wir können die Hand kaum vor Augen sehen, denn wir stehen in einer dicken Wolke. Die Wolke ist noch dazu nass – klar, das liegt an der Natur der Wolke. Bevor wir die sechs Kilometer hier hoch fuhren wussten wir, dass es Unsinn ist und wir wohl nichts sehen werden, aber irgendwie ist es doch witzig. Noch dazu sind wir ganz allein, der auf viele Besucher:innen ausgelegte Parkplatz ist verwaist.
Hier oben, auf dem höchsten Berg Terceiras, soll ein ganzer Wald aus Antennen, Satellitenschüsseln und Sendemasten sein, aber wir sehen allenfalls die Füße. Wir machen ein paar Alibifotos und setzen uns schnell wieder ins warme Auto. Nix wie weg.
Gruta do Natal
Die wenige Kilometer entfernte Gruta do Natal ist bei diesem Wetter die bessere Alternative. Die Gruta do Natal (übersetzt: Weihnachtsgrotte) ist eigentlich ein Lavatunnel. Lavatunnel entstehen, wenn schnell fließende Lava auf der Oberfläche erkaltet und erstarrt, im Inneren aber noch Lava strömt. Lässt die Aktivität des Vulkans nach, erlischt der Lavastrom und es bleibt ein Hohlraum übrig. Ein solcher Hohlraum ist die Gruta do Natal; sie ist auf einer Länge von 622 Metern zugänglich. An der Kasse werden wir mit einem Helm ausgestattet und dürfen dann die Höhle auf eigene Faust erkunden.
Der Boden ist uneben, natürlich, jeder Schritt muss mit Bedacht gemacht werden, laufen und dabei die Wände anschauen endet mit blauen Flecken oder Schlimmerem. Am Ende des ersten Ganges, der an den meisten Stellen so hoch ist, dass ein normal großer Homo Sapiens aufrecht gehen kann, befindet sich der so genannte Altar. Hier werden christliche Messen gelesen, die allererste an Weihnachten, daher die Namensgebung. Hochzeiten und Taufen sind auch möglich. In einem weißen Hochzeitskleid und einem Helm anstelle eines Schleiers zum Altar schreiten – das stelle ich mir sehr speziell vor. Auf den angenehm zu gehenden Teil folgt die Kür. Es gibt nämlich eine Art Annex, die Bonushöhle.
Dieser Gang ist über einige Stufen erreichbar. Ab hier müssen wir in gebückter Haltung beinahe auf allen Vieren krabbeln. Die Wände sind schroff, zerklüftet, einige Male stoße ich meinen Kopf – nein, meinen Helm. Guter Helm!
Algar do Carvao
Ebenfalls in der Nähe ist die Höhle Algar do Carvao. Wir stehen eine gute Stunde vor Öffnung der Höhle auf dem Parkplatz, da wir gerade nichts Besseres zu tun haben.
Um 14:30 Uhr öffnet die Höhle. Sie ist ein uralter Vulkanschlund. Als dieser im Jahr 1893 entdeckt wurde, seilten sich die Forscher in den 90 Meter tiefen Schlot hinab ab. Licht und Regen fallen durch den 45 Meter durchmessenden Kamin in die Höhle.
Zum Betreten müssen wir uns zum Glück nicht abseilen – nicht mal einen Helm bekommen wir. Durch einen ausbetonierten Tunnel gelangen wir bequem und rollstuhlgerecht zur Höhlenöffnung auf halber Höhe an der Seitenwand. Nach unten führen 338 Stufen vorbei an grün bewachsenen Felswänden.
Doch je tiefer wir kommen, desto kahler werden die Wände. Bald sind sie gelblichgrün, dunkel bis schwarz – das brachte der Höhle ihren Namen ein: übersetzt heißt Algar do Carvao nämlich Kohlegrube.
Die Algar do Carvao gehört zu den Highlights von Terceira und ist entsprechend für Besucher:innen ausgebaut. Die Stufen sind breit und bestehen aus glattem Beton, am VA-Stahlgeländer kann man sich festhalten.
Über mehrere Betonplattformen geht es hinab in die Tiefe. Hier muss ich nicht meinen Kopf einziehen, alle können aufrechten Ganges gehen. Da es von den Wänden tropft haben einige Besucherinnen sogar einen Schirm aufgespannt. Am Boden des Vulkankraters ist ein kristallklarer See aus Regenwasser entstanden. Hier ist auch eine endemische Spinne heimisch (Turinyphia cavernicola Wunderlich). Es gibt sie sonst nirgendwo auf der Welt. Gesehen habe ich sie nicht.
Als wir den Algar do Carvao wieder verlassen hat es beinahe aufgehört zu regnen. Wir wagen ein paar Meter zu Fuß auf dem ausgeschilderten Wanderweg. Rechts und links des Weges leuchtet Baumheide, wunderschön, doch nach fünf Minuten fängt es wieder an zu regnen. Auf dem nassen Holzsteg zu laufen ist nicht so lustig, es ist eher wie auf Glatteis gehen. Wir geben für heute auf und spurten zurück zum Auto.
Die Sonne scheint
Weil am nächsten Morgen der Himmel strahlend blau und wolkenlos ist, sitzen wir schon um sieben Uhr im Auto und fahren erneut zum Cerro Santa Barbara. Was für ein Kontrastprogramm!
Doch nur die frühen Vögel haben auf diesem Gipfel das Glück der Aussicht – um 9:30 Uhr stehen wir schon wieder in einer Wolke.
Diese ist zwar wärmer und nicht so dicht und nass wie die gestrige – die Sicht auf die Orte an der Küste verwehrt sie trotzdem. Wir fahren wieder zurück an die Küste und genießen dort die Sonne und die Wärme.