Über die Machame-Route auf den Kilimanjaro

19:15 Uhr. Es ist kalt. Es ist dunkel. Ich liege mit Handschuhen und Wollmütze in meinem Daunenschlafsack und frage mich wieso ich freiwillig meine geheizte, warme, gut isolierte Wohnung gegen dieses flatterige Zelt getauscht habe. Draußen weht ein eiskalter mit winzigen Sandkörnern durchsetzter Wind, der alle aus unserer Gruppe nach einem hastig verzehrten Abendessen in die schützenden Zelte trieb. Eigentlich wollte ich lesen, aber nach fünf Minuten faellt meine Stirnlampe aus, die Birne ist kaputt. Als gut ausgerüstete Trekkerin habe natürlich an eine Ersatzbirne gedacht, aber im stockfinsteren Zelt die winzige 6 mm kleine Halogenbirne zu wechseln, traue ich mich dann doch nicht. Der Wind zerrt an den Zeltwänden, bestimmt hebt es gleich ab. Kalte Füße habe ich auch. Für diesen Fall sagt meine Mutter immer: „Kind, mach Dir warme Gedanken“. Okay.

Als wir vor 36 Stunden in Moshi aufbrachen war es heiß. Tropisch heiß. Wir, das ist eine bunt zusammen gewürfelte Truppe von acht Urlaubern aus ganz Deutschland, die sich in den Kopf gesetzt haben, den Kilimanjaro, mit 5.892 m Höhe der höchste Berg Afrikas, zu besteigen. Peter, unser Reiseleiter ist 26 Jahre alt und der Jüngste, doch war er schon drei Mal auf dem Kibo, dem höchsten der drei Gipfel des Kilimanjaro. Herbert und Ruth sind mit 57 Jahren die Ältesten und können von fast jedem Gipfel der Alpen eine eigene Geschichte erzählen. Leo, Achim und ich haben unsere Erfahrungen in Nepal und Südamerika gesammelt nur Frank und Martin (beide Anfang 30) waren noch nie in den Bergen. Sie sind gut durchtrainiert und wollen nach dem letzten Rafting-Urlaub mal etwas anderes machen. Da der Kilimanjaro ohne bergsteigerische Erfahrung zu besteigen ist, ist das sicher für die zwei Sportsfreunde kein Problem. Denken wir.

Blick auf den KilimanjaroFrüh morgens brechen wir auf. Mit zwei Fahrzeugen werden wir nach Machame gefahren, dem Ausgangspunkt unserer 6tägigen Wanderung. Das Dorf Machame liegt in etwa 1.800 m Höhe. Ein kleines Stück höher herrscht geschäftiges Treiben. Joseph, unser Trekkingführer, stellt die Mannschaft vor: Charles, der 2.Guide, Kabila, der Koch, Rasta der 2. Küchenschef und 14 Träger. Unser Gepäck, Zelte, Verpflegung, Kochtöpfe und sogar Klapphocker werden auf die Träger verteilt. Jeder der Träger erhält 15 Kg, wir tragen nur unseren Tagesrucksack.

Der Weg ist so breit wie eine Fahrstraße und führt durch dichten tropischen Bergregenwald. Moose und Flechten hängen von den Bäumen. Achim entdeckt ein etwa 7 cm großes Camälion, das sich mit den typischen schaukelnden Bewegungen eiligst in eine höhere Baumregionen verzieht. Peter ermahnt uns ständig: „Ihr müsst vor allem viel trinken und langsam gehen, damit sich euer Körper an die steigende Höhe anpassen kann“. Kein Problem, bei der Hitze habe ich ohnehin ständig Durst. Am späten Nachmittag lichtet sich der Wald, die üppige Vegetation ist in sparrige Baumheide übergegangen. Hier, in 3.000 m Höhe, schlagen unsere Träger das erste Lager auf. Nach einem köstlichen Mahl und frischen Mangos zum Nachtisch gehen wir schlafen. Die erste Nacht allein im Zelt, die Isomatte ist ungewohnt hart, doch ich bin viel zu müde um weiter darüber nachzudenken und schlafe sofort ein.

Am nächsten Tag wird der Weg schmaler und steiler. „Pole-pole“ ruft Joseph „langsam, langsam“ wir haben Zeit. Zeit die Blümchen am Wegrand zu fotografieren, Zeit die Landschaft zu genießen. Das erste Mal blicken wir auf die Shira, den spitzgezackten zweiten Gipfel des Kilimanjaro. Vor etwa 500.000 Jahren erlosch seine vulkanische Tätigkeit. Nachmittags erreichen wir unseren Lagerplatz das Shira Camp in 3.800 m Höhe. Die Sonne hat sich verzogen, es ist extrem windig und winzige Sandpartikel wehen mir in die Augen. So liege ich nun frierend in meinem Schlafsack und wäre doch lieber daheim im warmen, weichen Bett. Noch dazu hätte ich viel Geld gespart. Eine 6tägige Trekking-Tour kostet zwischen 1000-1300 USD.

Irgendwann schlafe ich ein, doch nur um gegen 3 Uhr in der Früh mit einem äußerst dringendem Bedürfnis auf zu wachen. Im Schlafsack ist es jetzt mollig warm, aber was hilft das schon, mit so viel Druck auf der Blase kann ich unmöglich weiterschlafen! Ich ziehe rasch meine Fleasjacke an und schlüpfe widerwillig hinaus in die Kälte. Doch welch ein Anblick! Der Wind hat die Wolken vertrieben, die Nacht ist sternenklar. Es ist totenstill um mich herum. Direkt vor mir liegt in all seiner Mächtigkeit und Erhabenheit der Kibo. Die Schneemassen des höchsten Gipfels werden vom vollen Mond in ein diffuses Licht getaucht. Alle Unannehmlichkeiten sind vergessen, ich spurte zurück ins Zelt, hole meine Kamera und bin glücklich hier zu sein.

Aufstieg auf den KilimanjaroDer 3. Trekking-Tag beginnt mit wärmenden Sonnenstrahlen, einem lebhaft trällernden Finken, der sein Frühstück aus den Blüten einer Lobelie holt und dem Blick auf die glitzernden Eiskristalle des Kibogletschers. Der Pfad führt stetig bergauf. Wir sind jetzt mehr als 4.000 m hoch. Hier wachsen nur noch Moose und niedere Pflanzen. Wieder kommt Wind auf, die Sonne versteckt sich hinter dicken Wolken, es fällt ein leichter Nieselregen. Auf 4.500 m machen wir Rast im Schutze eines dicken Felsbrockens. Unser Koch ist uns, wie jeden Tag, vorausgeeilt. Der heiße Tee und ein Imbis aus Brot, frischen Tomaten, Paprika, Gurken, Eiern und Bananen wartet schon auf uns. Ich habe leichte Kopfschmerzen, Frank klagt über Übelkeit. „Ihr müsst viel Trinken“, erinnert uns Peter. Wir wandern wieder ein Stück bergab und erreichen nach siebeneinhalb Stunden das Baranco Camp auf 3.900 m. Frank legt sich sofort hin, er ist völlig fertig und will nichts essen, nur schlafen. Die anderen sind wohlauf.

Der nächste Tag wird gigantisch. Zunächst marschieren wir durch einen phantastischen Phönizienwald, dann klettern wir über einen schmalen Pfad an einer Felswand hoch. Vor uns liegt einer der Gletscher des Kibo in strahlendem Sonnenlicht. Grandios. Einmalig. Doch dann zieht der Himmel sich zu. Es wird grau. Fernsicht etwa 30 m. Der Weg ist öde und steinig. Hinter einem großen Stein liegt einer unserer Träger erschöpft. Er wimmert leise vor sich hin, aufstehen kann er nicht. Joseph und Peter laden sich einen Teil seiner Last auf den Rücken. Für den Träger werden wir im Camp Hilfe holen. Hoffentlich gibt es dort eine Trage. Wir marschieren weiter. Ich bin froh, dass ich vor der Reise doch noch Gehstöcke gekauft habe, auf diesem Geröllweg sind sie eine große Hilfe.

Nach neun Stunden erreichen wir müde und k.o. das Barafu Camp in 4.600 m Höhe. Nach einem Abendessen aus Suppe, Nudeln und Bohnen (wegen der Kohlehydrate) legen wir uns gegen 20:00 Uhr schlafen. Wieder ist es kalt; draußen pfeift ein eisiger Wind. Jetzt hole ich meine Rettungsdecke hervor und lege sie über meinen Schlafsack. Dadurch wird es wohlig warm, doch kaum bin ich zur Ruhe gekommen heißt es: „Mitternacht, Aufstehen – Aufbruch zum Endspurt“.

Nun ja, als Spurt kann ich meinen Gang wirklich nicht bezeichnen. Im Schneckentempo bewege ich mich vorwärts, selbst meine Oma mit ihren zwei Hüftoperationen geht daheim flotter. Die Höhe macht mir jetzt zu schaffen. Gehe ich auch nur einen Tick schneller beginnt mein Herz zu rasen, der Puls dröhnt in den Ohren, ich schnaufe wie eine Dampfmaschine. Also: „Pole – pole“. Frank torkelt vor mir her, bei jedem zweiten Schritt strauchelt er. Er will aufgeben. Umkehren. Weg von hier. Das wäre kein Problem, denn wir haben für je zwei Leute einen Einheimischen aus unserer Mannschaft dabei, so dass niemand allein am Berg zurück bleiben müsste. Doch Martin spornt seinen Freund an: „Du schaffst es Frank, Du bist doch schließlich kein Weichei“. Ein blöder Spruch, wie ich meine, denn falsch verstandener Ehrgeiz kann in dieser Höhe durch die Höhenkrankheit sogar zum Tod führen. Frank läuft tapfer weiter. Schritt für Schritt. Er hat einen eisernen Willen.

Um 6:30 Uhr geht die Sonne über dem Dritten Gipfel des Kilimanjaro auf, dem Mawensi. Die Dunkelheit hatte den Vorteil, dass ich mein Ziel nicht sehen konnte, jetzt liegt der Kibo in aller Mächtigkeit vor mir und scheint unerreichbar.
Der Weg geht steil, geradewegs den Hang hinauf und besteht nur aus Geröll. In der Paxis heißt das: jeder Schritt den ich vorwärts gehe, rutsche ich einen halben zurück. Sieben Stunden bin ich jetzt unterwegs. Ich mag nicht mehr! Was will ich eigentlich da oben? Ich bin müde, habe Hunger und der Gipfel ist mir egal! Joseph redet auf mich ein, es sei nicht mehr weit. Er nimmt mir hilfsbereit meinen Rucksack ab und stapft weiter! In dem Rucksack befindet sich das Heiligste meiner Utensilien: mein Fotoapparat. Wie ein Hund, der mit Hundekuchen gelockt wird, schleppe ich mich hinter meiner Kamera, nein, unserem Trekkingführer her. 8 Uhr. Der Kraterrand. Ich bin wirklich oben. Wie alle anderen lasse ich mich auf die Erde fallen, strecke alle Glieder von mir und möchte nur noch schlafen. Peter, Leo und Achim bringen wahrhaftig ihre Reserven auf und wandern am Kraterrand weiter zum höchsten Gipfel, dem 5.892 m hohen Uhuru-Peak.

Aufstieg auf den KilimanjaroNein, ich will nicht höher, ich bin glücklich hier am Stella Point auf 5.740 m. Die Sonnenstrahlen wärmen, es ist schön hier. Wenn ich nur nicht so unglaublich müde wäre! Mein Blick schweift durch den riesigen kahlen Krater hinüber zum großen Gletscher. Gern würde ich ,mal eben‘ dorthin gehen, allein mir fehlt die Kraft.

Martin möchte ein Gruppenfoto machen. Alle erheben sich im Zeitlupentempo, nur Frank bleibt liegen. Er schläft. Das macht den sonst so gelassenen Joseph regelrecht hektisch. Er zerrt an Franks Gliedern, und schimpft er solle sofort aufstehen. Frank brummt mürrisch, versucht aufzustehen, aber es geht nicht. Die Beine sacken unter seinem Körper weg. Er kann nicht stehen. Peter ist mittlerweile vom Gipfel zurückgekehrt und gemeinsam mit Joseph schleift er Frank hinab ins Camp. 1.500 Höhenmeter durch Geröll. Frank versucht seine Füße zu benutzen, aber ohne Erfolg. Im Camp angekommen, zückt Martin sein Handy und will einen Rettungshubschrauber anfordern. „Martin, tut mir leid, aber wir sind nicht in den deutschen Alpen, es gibt in ganz Tansania nur zwei Hubschrauber und die sind weit weg von hier. Wir werden Frank auf einer Trage ins nächst tiefer gelegene Camp schaffen.“

Glücklicherweise ist ein Arzt aus einer anderen Gruppe zur Stelle. Er erklärt uns: „Wenn ein Mensch schläft wird die Atmung flacher. Normalerweise nicht der Rede wert, aber in dieser Höhe ist die Luft extrem sauerstoffarm und durch die flache Atmung bekommt das Gehirn noch weniger Sauerstoff. Um lebenswichtige Organe zu versorgen, schaltet es sozusagen auf „Notstrom“ und unwichtige Extremitäten wie die Beine werden nicht mehr oder unzureichend versorgt. Deswegen kann Frank nicht mehr stehen. Aber das gibt sich wieder. Er muss nur schleunigst absteigen“. Das gilt für alle.

Nach drei Stunden Ruhe und einem Imbis steigen wir auf der steilen Mweka Route ab bis auf 3.000 m. Im letzen Abendlicht wird unser Camp aufgeschlagen. Ich schlafe wie ein Murmeltier und verpasse am nächsten Morgen zum ersten Mal den Sonnenaufgang. Bevor wir wieder in den Bergregenwald eintauchen, noch ein letzter Blick auf die Eiskappe des Kibo. Kaum vorstellbar, dass wir wirklich da oben waren.
Es war eine schöne Tour, eine anstrengende Tour, doch ich würde sie nochmals laufen – nur nicht sofort.

Organisation: Schulz Aktiv-Reisen und Zara-Tours

Weitere fotografische Impressionen finden Sie hier – es handelt sich um gescannte Dias.