Sylt im Winter

Du willst im Januar nach Sylt? Mach Dich auf einiges gefasst: Viele Lokale und Sehenswürdigkeiten sind geschlossen. Im Hauptort Westerland pulsiert das Leben an wohl 365 Tagen im Jahr, doch zum Beispiel in Hörnum, an der Südspitze, wo ich beinahe übernachtet hätte, stehe ich vor verschlossenen Türen. Die meisten Bekleidungs- und Souvenirläden sind in der Winterpause. Das ist für mich nicht weiter relevant, sprich, egal. Aber: Das bekannteste Fischrestaurant ist geschlossen, die Bäckerei und das Cafe – Fehlanzeige. Selbst der einzige Lebensmittelladen hat fünf Tage wegen Renovierung geschlossen. Nur der Fischkiosk am Hafen scheint ab 13 Uhr geöffnet zu haben. Wer mit dem Auto anreist hat kein Problem, wer aber mit Bahn und Bus kommt, ist versorgungstechnisch doch ziemlich eingeschränkt.

Hörnum

Übernachtungsort Westerland

Aus meiner Sicht ist Westerland als Übernachtungsort im Winter gut geeignet, auch für Ruhesuchende. Der Ort bietet nicht nur zahlreiche Übernachtungsmöglichkeiten aller Preisklassen, sondern auch die nötige Infrastruktur. Als Bahnreisende werde ich am Bahnhofsvorplatz von den „Reisenden Riesen im Wind“ begrüßt. Martin Wolke hat diese grüne Familie gestaltet und nicht alle Sylter waren glücklich über dieses Ensemble. Bei mir lösen sie direkt ein Lächeln aus, ich mag sie.

Meine kleine Ferienwohnung liegt am südlichen Ende von Westerland, gut einen Kilometer vom Zentrum und nur durch eine Düne vom Strand getrennt. Bahnhof und Busbahnhof sind fußläufig oder mit dem Stadtbus erreichbar und da mit der Kurtaxe von 1,95 Euro pro Tag auch das Busticket bezahlt ist, mache ich fast täglich einen Ausflug mit dem Bus. Da Westerland in der Inselmitte liegt, bin ich in maximal 40 Minuten an jedem Punkt der 38 Kilometer langen Insel.

Busbahnhof (ZOB) am Morgen
Busbahnhof (ZOB) am Morgen

Ausflug nach Wenningstedt

Doch Vorsicht bei der Tagesplanung: Das Steinzeitgrab in Wenningstedt, in das ich gleich am ersten Tag hinabsteigen will, hat von November bis März geschlossen. Dafür begeistern mich die so genannten Alltagsmenschen von Christel und Laura Lechner an der Promenade.

Ansonsten finde ich außer dem langem Sandstrand wenig in Wenningstedt. Oder doch: die Toiletten am Kursaal. Es sind die schicksten, modernsten, saubersten Toiletten, die ich auf der Insel in 10 Tagen finde! Absolut empfehlenswert und noch dazu kostenfrei. Ein öffentliches WC zu finden ist auf Sylt kein Problem, es gibt sie wirklich an jeder Ecke, aber mancherorts solltest Du Kleingeld in Münzen in der Tasche parat haben, zum Beispiel am Hafen in List. Hier bist Du im Winter mit 30 Cent dabei (im Sommer ist es teurer), im Bahnhof von Westerland zahlst Du einen satten Euro. Sauber und komplett ausgestattet mit Toilettenpapier und Seife sind alle. Einziges Manko: Im Winter sind nicht alle geöffnet! In den Hafen von Rantum kommt wohl zwischen November und März außer mir niemand mit einem Bedürfnis. Auch das hochmoderne Toilettenhäuschen hat Winterpause.

Öffentliche Toiletten in Rantum Hafen

Das Rantumbecken

Dabei ist der etwa vier Kilometer lange Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf dem Deich um das Rantumbecken durchaus lohnenswert, auch im Winter. Das Becken wurde in den 1930er-Jahren angelegt um ein geschütztes Areal für Wasserflugzeuge zu haben. Doch schlechte Wasser- und Windbedingungen machten Starts und Landungen extrem schwierig; für den Flugbetrieb konnte es selten genutzt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte das Becken trockengelegt werden um es dann landwirtschaftlich zu nutzen. Doch dieser Plan wurde nicht umgesetzt. Eine weitere Idee, das Becken als Mülldeponie zu verwenden, wurde glücklicherweise auch verworfen. 1962 wurde das Rantumbecken zum Naturschutzgebiet erklärt und ist heute das größte und artenreichste Seevogelschutzgebiet an der deutschen Küste. Der Verein Jordsand macht hier regelmäßig, auch im Winter, vogelkundliche Führungen.

Harhoog – das Megalithgrab in Keitum

In Keitum komme ich doch noch zu meinem Steinzeitgrab. Es wird auf 4500 vor Christus datiert und wurde beim Bau den Hindenburgdamms entdeckt. Da der Damm nicht drum herum gebaut werden konnte, wurde das Megalithgrab an einen Ort zwischen Keitum und Tinnum versetzt. Hier stand es widerum in den 1950er-Jahren dem Flughafenausbau im Weg und wurde nochmals umgebettet: An die Küste nach Keitum.

Harhoog, Steinzeitgrab

Wanderung entlang der Watt-Küste von Keitum nach Kampen

In Keitum startet mein Lieblingswanderweg. Er führt an der Küste des Wattenmeeres entlang bis nach Kampen. Das sind etwa acht Kilometer auf gut angelegtem Weg. Beim ersten Mal erwische ich einen durch und durch grauen Tag und da selbst die Vögel in schwarzweiß gekleidet sind, entscheide ich mich, meine Fotos in schwarzweiß zu entwickeln. Wenn im August die Heide blüht ist dieser Weg durch die Braderuper Heide sicher ein Fest der Farbe, aber gewiss auch stärker begangen. Ich treffe in drei Stunden nur etwa zehn Menschen. Der Leuchtturm (ebenfalls schwarzweiß von Natur aus) ist das Wahrzeichen Kampens und für mich das Signal, den Küstenweg zu verlassen. Auf einer Wiese vor dem Leuchtturm sehe ich – zum ersten Mal in meinem Leben – Ringelgänse.

In Kampen möchte ich in dem bekanntesten Cafe/Restaurant Kupferkanne einkehren. Nicht nur der Kuchen ist legendär. Das Cafe ist in einem ehemaligen Wehrmachtsbunker untergebracht; der Garten ist um ein Hügelgrab angelegt. Ich bin hochgradig gespannt, doch werde bitter enttäuscht: Betriebsferien bis Mitte Februar! Wie gut, dass ich mein Mittagspicknick immer dabei habe.

Wanderung von Kampen nach Keitum

Einige Tage später gehe ich den selben Weg in umgekehrter Richtung und das bei Sonnenschein. Die großen Schilfwiesen regen mich zu fotografischen Spielereien an.

List und die Nordspitze von Sylt

Mit dem Bus fahre ich zum Hafen von List. Im Sommer ist hier sicher viel los, jetzt fährt lediglich die Fähre nach Rømø und hin und wieder ein Ausflugsboot zu den Robbenbänken. Die Rømø-Fähre ist übrigens eine gute Alternative zum Autozug über den Hindenburgdamm – nicht nur bei Bahnstreik und Bauarbeiten. Sie benötigt für die Überfahrt nur 40 Minuten.

Fähre nach Rømø
Fähre nach Rømø

Ich bin nach List gefahren, weil ich in das Erlebniszentrum Naturgewalten besuchen möchte, doch mein erster Versuch scheitert an geschlossenen Türen. Erst ab der letzten Januarwoche ist es geöffnet und so komme ich an meinem letzten Urlaubstag doch noch auf meine Kosten.

Zentrum Naturgewalten

Der Eintritt kostet stolze 19,- Euro. Doch es lohnt sich. Es gibt drei Bereiche: Klima, Wetter, Klimaforschung; Leben mit Naturgewalten; Kräfte der Nordsee. Allein im ersten Bereich bleibe ich fast zwei Stunden. Es wird so viel erklärt, auf unterschiedlichste Weise. Man darf zuhören, zuschauen, anfassen, drehen, schieben, lesen. Da wird zum Beispiel gezeigt wie sich eine Miesmuschel mit Fäden an Artgenossen heftet und wie ein Seestern Muscheln mit der puren Kraft der Muskeln seiner Saugnäpfe so lang auseinanderzieht bis sie ermattet und sich öffnet. Er stülpt dann seinen Magen auf ihr Fleisch und verdaut an Ort und Stelle. Zurück bleibt nur die Schale. Der Seestern kann alles knacken – nur die Pazifische Auster nicht. Sie wurde einst zur Zucht vor der niederländischen Küste ausgesetzt und vermehrt sich jetzt konkurrenzlos. Sie hat in der Nordsee keine natürlichen Feinde und könnte die heimischen Miesmuscheln und europäischen Austern verdrängen – dann hat der Seestern nichts mehr zu fressen. Und so geht es weiter. Du kannst Dich den ganzen Tag hier aufhalten.

Ausflug auf den Ellenbogen (Nordspitze)

Neben dem Zentrum Naturgewalten bietet sich ein Ausflug zur nördlichen Spitze auf den so genannten Ellenbogen an. Der Linienbus, der alle zwei Stunden fährt, bringt mich zum Parkplatz. Im Sommer sieht es gewiss anders aus.

Parkplatz Listland

Autofahrer können sogar bis ans äußerste Ende von Sylt fahren, allerdings müssen sie 6,- Euro berappen, das gesamte Gebiet ist seit dem Mittelalter in Privatbesitz. Der dänische König hatte das Land zwei Fischern als unteilbares Erblehen verliehen. So gehört es noch heute zwei Familien.

Mautstelle Listland

Auf diesem Ellenbogen aus Sanddünen und Gras werden Schafe gehalten. Außerdem gibt es zwei Leuchttürme und am Ende sogar eine Übernachtungsmöglichkeit. Von der Mautstelle bis zum nördlichsten Ende Sylts und damit Deutschlands sind es 5,8 Kilometer. Für Autofahrer kein Thema, die Straße ist gut befestigt und zweispurig.

Mautstraße Listland

Für Fahrradfahrer auch gut machbar, selbst ohne E-Motor, Steigungen gibt es nicht. Für Fußgänger wie mich ist es jedoch extrem langweilig. Einen Parallelweg zwischen den Dünen existiert nicht. Ich habe nach der Hälfte des Weges die Nase voll. Es reicht mir den ersten, kleinen Leuchtturm List West mein Ziel zu nennen und mal die wilde westliche Seite des Listlandes anzusehen. Der Strand ist hier mit Basaltsteinen „gepflastert“. Dann marschiere ich zurück zur Bushaltestelle.

Das südliche Ende – Hörnum und die Odde

Das südlichste Ende ist einfacher abzulaufen – aber nur bei Ebbe. Mit dem Bus fahre ich bis Hörnum. Ein sehr hübscher Ort, nur im Januar ziemlich geschlossen. Doch hier stehst Du sofort am Meer, zur einen Seite Wattengebiet zur anderen die wilde ungezähmte Nordsee. Die so genannte Odde (Dänisch für schlanke ins Meer ragende Landzunge) entstand erst in den 1920er-Jahren. Die im Nordwesten von der Nordsee abgenagten Sandmassen wurden hier angeschwemmt und fanden durch Treibholz und Dünenbewuchs Halt. Es entstanden neue bis zu zehn Meter hohe Dünen, doch seit den 1970er-Jahren schrumpft die Odde wieder. Der Leuchtturm thront über den Dünen. Er kann im Rahmen einer Führung bestiegen werden – zwischen April und Oktober.

Die Odde ist nur bei Ebbe zugänglich. Natürlich lohnt sich auch der Weg an den Hörnumer Weststrand bei Flut. Die Nordsee ist wild, die Vögel sind emsig mit der Futtersuche beschäftigt und ich hole mir nasse Füße, da ich mich zu nah an die Tetrapoden wage. Bei Ebbe habe ich sie durchlaufen, bei Flut ist daran nicht zu denken.

Am Strand von Westerland

Zurück in Westerland möchte ich auch hier mal an den Strand der wilden Nordsee. Das ist nicht so leicht. Meist versperrt eine hohe mit Gräsern und Büschen bewachsene Sanddüne meinen Blick und der Weg zum Meer ist nur über lange, steile Treppen möglich.

Himmelstreppe, Westerland

Beim ersten Versuch schaffe ich es jedoch nur bis auf die Düne hinauf. Warum? Der Wind bläst mir mit vollen 36 Knoten (Stärke 8) entgegen. Von Land her kommend kann ich zwar die Dünentreppe hinauf gehen, aber hinunter zum Strand hält der Wind mit voller Wucht dagegen. Den Fotoapparat kann ich auch nicht richtig still halten und eiskalt ist es ohnehin, also gebe ich mich den Naturgewalten geschlagen und ziehe mich in meine warme FeWo zurück.

Treppe zum Strand, Westerland

Alternativprogramm bei Regen

Am nächsten Tag regnet es. Macht nichts, ich gehe ins Aquarium. Wunderschön angelegt, viele Becken reichen bis auf den Boden. In großen Becken schwimmen jede Menge in der Nordsee heimische Fische, aber auch Hummer, Langusten und ein Gemeiner Krake der mich komplett in seinen Bann zieht. Seine Vorstellung dauert etwa 20 Sekunden, dann zieht er sich wieder in seine dunkelbraune Felshöhle zurück und stellt gleichzeitig die Hautfarbe auf dunkelbraun um.

Am Nachmittag haben sich Regen und Sturm gelegt. Die Flut ist auch dabei sich zurückzuziehen – endlich kann ich an den Strand vor Westerland gehen.

Strand vor Westerland

Die Flut hat unglaublich viel Schaum angespült. Es handelt sich dabei um die Reste von Algen! Algen geben Stoffe an ihre Umgebung ab: Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße. Mit der Bewegung im Wasser und durch Wind entstehen kleine Luftbläschen, die mit den Algenrückständen reagieren. Die Algenreste umhüllen die kleinen Bläschen im Wasser. Diese werden dadurch stabiler und zugleich sichtbar. Wie bei aufgeschäumter Milch: Die Eiweiße und Fette umschließen die kleinen Luftbläschen. Die sogenannte Schaumalge Phaeocystis wird durch den Seegang aufgeschlagen. (aus: WeltderWunder.de)

Schaumalge Phaeocystis

Außerdem finde ich die Reste von Laichballen der großen Wellhornschnecke. Auf den ersten Blick dachte ich es sei Styropor, auf den zweiten kommt es mir vor wie ein Wespennest und erst im Zentrum Naturgewalten löst sich das Rätsel.

Reste des Laichballens einer Wellhornschnecke

Von nun an gehe ich jeden Nachmittag an diesen Strand und jedes Mal sieht der Strand anders aus. Mal nur Sand soweit das Auge reicht, mal gibt es Stellen mit unglaublich vielen Muscheln, toten Seesternen, Schulp, Kelp und Plastik.

Die Seevögel sind mal agil – wenn die Flut kommt – und mal warten sie einfach ab.

Himmel, Meer und Stimmung sind stets anders. Wenn nur der kalte Wind nicht wäre, aber ja, allein dafür lohnt sich Sylt im Winter.