Bumm! Mit einem lauten Donnerschlag eröffnet der Berg seine pyrotechnische Vorstellung. Ein Feuerwerk in Rot. Glühend heiße Lavabrocken prasseln den Feuerhang hinunter ins Meer. Das Schauspiel dauert nur knapp 20 Sekunden, dann verhüllt sich der Vulkan wieder mit der nächtlichen Dunkelheit. Wir müssen geduldig warten, dumm rumstehen bis der mächtige Herr des Vulkans wieder ein bisschen Feuer speit. Das dauert etwa 15 bis 20 Minuten, je nachdem welcher der drei aktiven Krater gerade ausbricht.
Wir sind auf Stromboli, der Insel mit dem gleichnamigen Feuerberg. Vulkane gibt es viele auf der Erde, aber es gibt weltweit nur wenige die so regelmäßig Lava, Schlacke und Asche spucken wie der Stromboli, daher nennt man diese Art der vulkanischen Aktivität auch strombolisch.
Der Weg hinauf auf den Berg bis zur Aussichtsterrasse in 290 Metern Höhe ist verhältnismäßig gut und breit. Eine Taschenlampe und feste Schuhe sind jedoch ein Muss, denn zwischendurch ist der Weg recht steinig. Es ist ein alter Fahrweg, der 1949 für ein Filmset mit Ingrid Bergmann angelegt wurde. Auf halber Strecke, nach etwa einer Stunde Gehzeit erreichen wir das Ristorante Osservatorio (leider zurzeit geschlossen). Von hier sehen wir zum ersten Mal die rauchenden Schlunde. Der Weg wird schmaler, wir laufen durch hohes Schilf hindurch; danach wird die Vegetation spärlicher, die Aussicht freier.
Seit 2000 Jahren spuckt der Vulkan Feuer, ja er wurde sogar von den antiken Seefahrern der Leuchtturm des Mittelmeers genannt. Bis auf 400 Meter Höhe dürfen Besucher:innen heute im Rahmen einer geführten Tour mit einem Guide wandern – ein Stück näher an den glühenden Krater heran.
Vor 20 Jahren konnten Wanderer noch bis zum 924 Meter hohen Gipfel steigen um von dort in den Krater zu schauen. Hier der Scan eines Dias vom März 1998.
Seit 2019 ist dies verboten. Niemand kann vorhersagen wie der nächste Ausbruch ausfällt und wie weit die glühenden Lavabrocken geschleudert werden. Im Juli 2019 kam es zu einem ungewöhnlich starken Ausbruch. Ein Mensch kam ums Leben, etliche wurden leicht verletzt. Doch auch aus relativ sicherer Entfernung ist das Schauspiel beeindruckend – besonders in der Dunkelheit. Zuerst siehst Du nichts, nur den dunklen von leichtem Mondschein beleuchteten Berg. Dann, plötzlich, das kurze Feuerwerk. Bumm!
Die Insel Stromboli ist mit 12,6 Quadratkilometern Fläche etwas kleiner als die Nordseeinsel Juist und gehört zur Gruppe der Äolischen Inseln. Alle sieben Inseln (Alicudi, Filicudi, Salina, Lipari, Vulcano, Panarea, Stromboli) sind vulkanischen Ursprungs. Etwa 14.700 Einwohner verteilen sich über die Eilande insgesamt, davon leben auf Stromboli etwa 570.
Etwa 600.000 Touristen bevölkern in der Hauptsaison zwischen Juni und August die Inseln. Wir sind im März hier. Es ist absolute Vorsaison, es ist noch kühl aber sonnig. Nur wenige Unterkünfte sind geöffnet und nur ein Restaurant, das Il Malandrino direkt am Hafen, bietet bis zum Spätnachmittag Speisen und Getränke an. Abends ist geschlossen, Verpflegung ist nur aus dem Supermarkt möglich.
Vor 26 Jahren hatten wir beinahe nur Regen, Sturm und Kälte auf Stromboli. Dieses Mal haben wir ausgesprochenes Glück mit dem Wetter: Die Sonne scheint und bei knapp über 20 Grad Celsius sitzen wir mittags im Sonnenschein und genießen ein Risotto á la Stromboli – mit Fenchel und in Salz eingelegten Kapern. Frisch gefangener Fisch steht auch täglich auf der Speisekarte, meist Schwertfisch.
Jemand erwähnt auf Deutsch, dass ein Sonnenschirm nicht schlecht wäre. Keine fünf Minuten später werden mit einem Lastenroller zwei Sonnenschirme angeliefert. Großartig! Ich frage mich, ob so viel Aufmerksamkeit auch in Deutschland möglich wäre. Ein älterer Herr mit wettergegerbtem Gesicht und Wollpullover am Nebentisch schüttelt lachend seinen Kopf: „Diese Deutschen – kaum scheint die Sonne wollen sie Schatten.“
Stromboli ist übrigens autofrei. Eine Wohltat. Die Einheimischen nutzen Motorräder und für den Waren- und Gepäcktransport die knatternden schmalen Piaggio APE mit Zweitaktmotor sowie die leisen Elektro-Caddys.
Wir schlendern durch den beschaulichen Hauptort Stromboli. Die Souvenirläden sind noch in der Winterpause. An vielen Stellen wird gebaut und renoviert. Bald beginnt die Saison, dann bevölkern wieder Tagestouristen und Übernachtungsgäste die Gassen. Sie sind die Haupteinnahmequelle der Strombolianer. Die weißen Häuser strahlen im Sonnenlicht, nur wenige Menschen sind unterwegs. Besonders gut gefallen mir die individuell gestalteten Türschilder.
Auffällig sind die vielen Eingänge, die mit hohen Brettern verbarrikadiert wurden. Bei Häusern an einem Fluss würde ich das als Hochwasser- und Schlammschutz interpretieren. Müssen wir hier etwa mit Sintfluten rechnen?
Wir haben vier Tage lang nur gutes Wetter – doch der Wettergott kann auch ganz anders.
Beim letzten großen Vulkanausbruch im September 1930 starben durch einen pyroklastischen Strom aus Asche, Schlacke, Steinen und heißen Gasen drei Inselbewohner. Die zehn Meter hohe Glutlawine raste mit einer Geschwindigkeit von 70 Stundenkilometern durch die enge Schlucht bis ins Meer. Ein Tsunami entstand. Es ist also nicht ungefährlich auf Stromboli und die Hinweisschilder auf Tsunami-Gefahr und Evakuierungstreffpunkte sind in jedem Fall ernst zu nehmen.
Den größten Schaden in den letzten Jahrzehnten richtete jedoch der Mensch höchst persönlich an. Am 22.05.2022 fand ein Filmshooting auf Stromboli statt. Nicht das Erste. Die Filmgesellschaft drehte eine Serie über die Katastrophen- und Zivilschutzbehörde und deren Einsatzkräfte, wie sie nach Katastrophen zur Stelle sind. Das Drehbuch sah ein durch herabfallende glühende Lavabrocken entfachtes Feuer vor und so wurde oberhalb des Ortes ein Feuer entfacht – im Nationalpark! Die Feuerwehrleute waren ja zahlreich vor Ort, was sollte schon passieren. Die Rechnung hatten sie jedoch ohne den Schirokko gemacht, den starken Wind aus der Sahara. Dieser heizte das Feuer rasend schnell so richtig an. Es war nicht aufzuhalten. 24 Stunden brannte es und vernichtete die Vegetation der halben Insel. Doch nicht nur die Vegetation: Vögel und deren Nester, wilde Ziegen, Reptilien – alle verbrannt. Zum Glück drehte der Schirokko und der Ort blieb verschont. Alles noch mal passabel gut gegangen … und die Vegetation holt sich ihr Terrain langsam zurück.
Der Regen kam am 12. August desselben Jahres. Die Vegetation der Hänge war abgebrannt, tot; die Wurzeln, welche die Erde am Hang hielten – tot. Regen und Erde schossen die Hänge und Straßen hinunter. Im Nu füllten sie die unteren Geschosse der Häuser mit Wasser und Schlamm. Eine alte Müllkippe wurde ins Meer geschwemmt, der Strand musste gesperrt werden – zu giftig. Entschädigung hat die Filmgesellschaft auch zwei Jahre danach noch nicht gezahlt. Sie weisen vielmehr alle Verantwortung von sich und fragten sogar, ob sie nochmals kommen dürften um die Serie zu Ende zu drehen. Eine Filmcrew bringt natürlich Geld, Geld das die gebeutelten Bewohner:innen gut gebrauchen könnten, aber alle waren sich einig: Nein Danke!
Einen Besuch wert ist auch die Kirche San Vincenzo. Das Eingangsportal besteht aus einer großen Tür, die aus Glaseinlegearbeiten gefertigt wurde. Von außen wirkt sie eher unscheinbar, von innen fällt das Sonnenlicht durch die bunten Glasfiguren. In den Seitennischen des Kirchenschiffs entdecken wir sogar noch ein paar Krippen, die Kinder zu Weihnachten gebastelt haben.
Der Wanderweg für diejenigen, die mit Guide an den Vulkankraterrand gehen möchten, führt links vor der Kirche den Hang hoch. Wir laufen diesen ein Stück bis zum alten Friedhof. Dieser liegt oberhalb des Ortes mit wunderschönem Blick auf San Vincenzo und das Tyrrhenische Meer. Die Grabsteine sind zerbrochen, fette Mauereidechsen (Podarcis muralis) nutzen diese als Sonnenbank. Es blühen diverse Blumen wie Heide, Ginster, wilde Wicken, Fenchel, Ästiger Affodill (Asphodelus ramosus). Ein verwunschener Ort.
Der neue Friedhof ist schneller erreichbar, er liegt direkt oberhalb des Ortes. Es gibt Kolumbarien, wohnhäusergleichen Gruften und einfache Steingräber. Viele sind liebevoll verziert und erzählen die Geschichte des Verstorbenen.
Am Abend ist der Ort menschenleer. Die Straßen sind unbeleuchtet und verwaist. Wer abends unterwegs ist sollte eine Taschenlampe dabei haben. Die weißen Häuser strahlen eine herrlich gediegen-ruhige Schönheit aus. Ich werde wiederkommen, aber in jedem Fall in der Nebensaison, denn in der Hauptsaison sind wohl mehr Touristen als Einheimische auf der Insel.
Der Name Liparische Inseln geht auf den Ausonierkönig Liparis zurück. Die Griechen und danach die Römer nannten die Inseln Eolie, die Äolischen Inseln, nach dem Gott Aiolos, dem Herrn der Winde. Wegen der vulkanischen Phänomene und ihre Bedeutung für die Forschung einst und heute gehören die Inseln zum UNESCO Weltnaturerbe.
Wie erreicht man diese Inseln? Ganz einfach: Per Schiff ab Neapel oder mit dem Flugzeug über Catania und weiter mit Giuntabus (zwei Mal täglich ab Flughafen) direkt in zwei Stunden zum Fährhafen Milazzo. Für die Überfahrt auf die Äolischen Inseln gibt es zwei Möglichkeiten: Mit dem schnellen Tragflächenboot der Liberty Lines oder dem langsameren Fährschiff von Siremar.
Auf den Äolischen Inseln weht häufig ein stürmischer Wind. Da einige Häfen, wie zum Beispiel Stromboli, nur über einen ungeschützten Landesteg verfügen, müssen die Tragflächenboote bei Sturm häufig passen und Fahrten stornieren. Es ist daher ratsam, Puffertage in die Reiseplanung einzubauen.
Unterwegs waren wir übrigens mit Ulla Lohmann.