Songköl – der größte Gebirgssee Kirgisiens

Was mache ich nur hier? Ich sitze am Ufer eines 29 Kilometer langen Sees umgeben von einer spektakulären Landschaft. Sanft hügelige Graswiesen, dahinter grüne Hügel mit einigen Schneefeldern an den oberen Enden und dahinter, schroffe kahle Felswände. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm und windstill. Der Himmel ist passabel blau mit weißen, grauen und grauschwarzen Wolken.

Songköl
Songköl

Umgeben bin ich von Nutztieren aller Art. Durch das kleine Jurtencamp laufen Truthahn und –hennen,

Truthuhnfamilie
Truthuhnfamilie

am Rand stehen und liegen einige vor sich hin dösende und furzende Stuten mit ihren Fohlen.

Schlafende Stuten mit Fohlen
Schlafende Stuten mit Fohlen

Über die weiten saftigen Wiesen ziehen große Schafherden, zwei Esel und einige Kühe.

Grasende Kuh
Grasende Kuh

Hin und wieder kommt ein Reiter.

Reiter
Reiter

Und ich, was mache ich? Ich sitze am Seeufer und habe gerade einen fliegenden Graureiher fotografiert. Das könnte ich wirklich auch an der Wupper in meiner Heimatstadt Wuppertal. Aber es ist gerade so schön hier und ich bin im Vogelflugmodus, leider nur mit kleiner Telebrennweite.

Fliegender Graureiher
Fliegender Graureiher

Am Seeufer laufen Rotschenkel, einer hebt ab

Rotschenkel
Rotschenkel

eine Familie Haubentaucher schwimmt vorbei, eine rasant fliegende Möwe bemerke ich ebenfalls und verfolge sie mit der Kamera. Als ich das Foto kontrolliere und reinzoome sehe ich, dass es keine Möwe sondern eine Seeschwalbe ist. Eine Flussseeschwalbe!

Flussseeschwalbe
Flussseeschwalbe
Edelweiß
Edelweiß

Damit hatte ich nicht gerechnet – hier am kirgisischen Songköl in 3000 Metern Höhe. Das Gebiet am See gehört zu einem 1994 eingerichteten Naturschutzgebiet. Ursprünglich wurde es wegen der hier brütenden sehr seltenen Streifengans (Anser indicus) unter Naturschutz gestellt. Damals gab es noch einige  Brutpaare dieser Streifengans, doch in den letzten fünf Jahren wurde keine mehr gesichtet. Wie ich so dasitze und die Sonne genieße bemerke ich auch etliche Blümchen, darunter auch Edelweiß. Zeit, um das Makro rauszuholen.

Wie ich mich so den Blumen und Schmetterlingen widme, kommt eine einzelne Kuh daherspaziert und inspiziert mit langem Hals und größter Vorsicht meinen Fotorucksack. Er scheint einen schlechten oder uninteressanten Geruch zu verströmen – sie zieht weiter.

Neugier
Neugier

Ich bin so voll abgetaucht in Blümchen und Faltern,

Falter upside down
Falter upside down

dass ich die tiefschwarze Wolke nicht bemerkte, die sich lautlos anschlich. Erst als es blitzt und donnert sehe ich sie und mache sofort meinen Regencape startklar. Die ersten Tropfen fallen. Ich mache mich schnellen Schrittes keuchend auf den Weg ins Camp. Schnell gehen ist in 3000 Meter Höhe so eine Sache. Nach wenigen Schritten schnaufe ich wie nach einem 100 Meter Sprint. Doch die Wolke dreht ab, in die andere Richtung und mehr als drei Tropfen bekomme ich nicht ab. Dieses Mal. Glück gehabt.

Gewitterwolke am Songköl
Gewitterwolke am Songköl

Drei Nächte übernachten mein Mann und ich in einem kleinen, familiengeführten ursprünglichen Jurtencamp. Wir haben eine Jurte mit sechs Lagerstätten für uns allein.

Jurte
Jurte

Eine Lagerstätte heißt, eine Matratze liegt auf einem dicken Filzteppichboden und darauf eine dicke, schwere Wolldecke. Das einzige weitere Möbelstück ist ein schmiedeeiserner Ofen, der mit getrocknetem Dung betrieben wird. Die Matratze, die ich mir aussuche, ist eine Federkernmatratze, allerdings derartig durchgelegen, dass selbst ich mit meinen 50 Kilo mit dem Hinterteil schon auf dem Boden liege. In weiser Voraussicht oder ganz einfach weil ich sie habe und viel zu selten nutze, hole ich meine leichte Luftmatratze hervor. Darauf liege ich super und mein alter Rücken jubelt.

Matratzenlager
Matratzenlager

Als Waschgelegenheit dient ein Waschtisch mit einem einzelnen Wasserhahn mit eiskaltem Wasser. Dieses Möbelstück steht mitten auf dem Platz, die sieben Jurten gruppieren sich drum herum. Ach ja, dahinter gibt es noch eine Hollywoodschaukel. Dass es kein fließend warmes Wasser und keine Dusche gibt, war mir klar und zum Händewaschen und Zähneputzen ist das öffentliche Waschbecken unter freiem Himmel sogar komfortabel, aber ich habe neben meinen Händen durchaus andere Körperstellen die ich reinige – hin und wieder jedenfalls. Etwas mehr Privatsphäre hätte ich mir hier schon gewünscht. Nun, ich greife auf die 42-Blatt-Packung feuchtes Toilettenpapier zurück, die ich für derartige Notfälle dabei habe.

Einzige Waschgelegenheit im Camp - der öffentliche Waschtisch
Einzige Waschgelegenheit im Camp – der öffentliche Waschtisch

Die beiden Toiletten befinden sich gut 100 Meter vom Camp entfernt. Es sind zwei Blechverschläge von der Größe einer altmodischen Telefonzelle. Eine ist mit einer westlichen Sitztoilettenschüssel ausgestattet, die zweite ist ein Hockklo. Ich ziehe das Hockklo stets der Sitztoilette vor.

Toiletten
Toiletten

Die Familie hat eine Schlafjurte für sich und eine Kochjurte. Für Gäste steht eine Essjurte sowie insgesamt vier Jurten mit Schlafstätten zur Verfügung. Wir sind gerade die einzigen Gäste. Die Verständigung geht passabel gut, denn eine der Töchter, Mirin, spricht etwas Englisch. Sie hat gerade die Schule beendet und möchte Lehrerin werden. Gegen 19 Uhr bekommen wir Abendessen, hausgemacht und lecker. Ab 20 Uhr gibt es elektrisches Licht, das zentral ein und um 21:15 Uhr zentral wieder ausgeschaltet wird.

So liegen wir zeitig auf unserem Lager im eigenen leichten Daunen-Schlafsack in der finsteren Jurte. Hier ist es wenigstens warm, während es draußen und in der Jurte selbst bitterkalt ist. Nachts regnet es heftig. Ich werde vom krachenden Donner wach. Ob die Jurten Blitzableiter haben? Bloß nicht über solche Kleinigkeiten nachdenken! Später werde ich wieder wach: Der Tee vom Abend möchte meinen Körper wieder verlassen. Sofort. Dringend. So schäle ich mich aus meinem warmen Schlafsack und mache mich auf den Weg zum WC. Wenigstens regnet es nicht mehr. Was ich zunächst mit Unmut wahrgenommen habe, wird draußen belohnt.

Sternenhimmel über dem Songköl
Sternenhimmel über dem Songköl

Am nächsten Tag sehe ich wie Mirin eine der 20 Stuten einfängt und einen Eimer in die Hand nimmt. Mit leisem Gesang fängt sie an die Stute zu melken. Das ist nur zwischen Mai und August/September möglich, wenn die Stuten junge Fohlen haben. Aus der Milch wird Kymys gemacht – vergorene Stutenmilch, das Nationalgetränk der Kirgisen. Aufgrund der antibakteriellen und entzündungshemmenden Bestandteile weist Stutenmilch weniger Keime auf als Kuhmilch und enthält weniger allergieauslösende Stoffe, lese ich in Wikipedia. Trotzdem: Mein Favorit wird es nicht.

Eine Stute wird gemolken
Eine Stute wird gemolken

Wir schlendern über die Wiesen. Plötzlich kommt eine riesige Herde Schafe auf uns zu gewandert. Die Tiere sind emsig mit Fressen beschäftigt und eh wir uns versehen sitzen wir mitten in der Herde. Was ich beim ersten Anblick für eine Missgeburt halte, entpuppt sich als Rasse: Kirgisischen Schafe sind so genannte Fettsteißschafe. Das Fett am Hinterteil dient als Fettreserve für futterarme Zeiten. Es sind robuste Tiere die mit dieser rauen Gebirgsgegend gut zurecht kommen.

Ein etwa 9-10 Jahre alter Junge jagt auf einem Pferd hinter einer Kuh her – in atemberaubendem Tempo. Ich nehme ihn mit der Kamera ins Visier und er ist sich seiner reiterischen Fähigkeiten voll bewusst. Die Kinder können scheinbar reiten, bevor sie laufen lernen!

Junger Reiter
Junger Reiter

Fazit nach drei Tagen am Songköl: drei leere Kamera-Akkus, ein Satz leere Taschenlampen-Akkus, zwei Satz leere GPS- Akkus und das Handy – das am Songköl ohnehin nutzlos war – ist bei 14%. Hoffentlich gibt es in der nächsten Unterkunft genügend Steckdosen – und eine heiße Dusche.