Nachdem ich schon in vielen Teilen der Welt gewandert bin, möchte ich die heimischen Regionen zu Fuß erkunden. Doch was zum Beispiel in Großbritannien problemlos vielerorts möglich ist, erweist sich im Bergischen Land als schwierig bis unmöglich: Wandern ohne Gepäck. Ich möchte den durchaus bekannten Wupperwanderweg von der Quelle bis zur Mündung laufen, 125 Kilometer. Ohne Gepäck bitte, die Kameraausrüstung mit Stativ ist schwer genug. So entscheide ich mich für Wochenendtouren mit jeweils einer Übernachtung.
Von Marienheide zur Wupperquelle
Mein erstes Ziel ist Marienheide. Auf der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten die mit dem Bus gut zu erreichen sind, fällt mein Blick auf das Waldhotel. Es ist im Track eingezeichnet den ich von komoot runtergeladen habe. Das Hotel liegt beinahe direkt an der Brucher Talsperre. Genau was ich suche. Leider wird hier aus Personalmangel nur Übernachtung ohne Frühstück angeboten. Das möchte ich dann doch nicht. Frühstück ist mir wichtig und sonntags könnte es schwierig sein in diesem dünn besiedelten Gebiet ohne Auto einen Bäcker zu finden. Bleibt nur das Montana Hotel. Diese Entscheidung erweist sich als goldrichtig. Wenige Meter von der Bushaltstelle Marienheide-Rodt gelegen, zweckmäßig eingerichtete Zimmer und meins hat sogar einen Balkon! Den werde ich wohl kaum nutzen können, denke ich als ich nach mehr als zwei Stunden Fahrt mit Bahn und Bus aus Wuppertal kommend das Hotel erreiche.
Ich mache mich sofort auf den Weg nach Börlinghausen, einem etwa fünf Kilometer entfernten Ort.
Die Wupperquelle
Dort entspringt die Wupper und dort gibt es eine Einkehrmöglichkeit passend zur Mittagszeit. Das Lokal Zur Wupperquelle hat samstags geöffnet. So steht es in meinem Wanderführer und im Internet. Ich marschiere durch schönen, jungen Nadelwald und stehe um 13 Uhr hungrig und durstig vor dem Restaurant und der Wupperquelle. An dieser Stelle ist die offizielle Quelle, auf einem Findling wird darauf verwiesen. Der Fluss hat jedoch insgesamt 37 Quellen und entspringt in einem sumpfigen Naturschutzgebiet etwas oberhalb des Gasthauses. Ich möchte aber erst mal etwas Essen. Das Lokal ist geöffnet. Auf der Terrasse ist niemand. Ich betrete den Gastaraum. Im Gastraum ist niemand. An der Theke ist niemand. Ich rufe: „Hallo?“ Niemand. Ok. Ich habe für derartige Notfälle einen Müsliriegel dabei.
Nach diesem Snack folge ich dem Rinnsal. Es gibt sogar eine kleine Holzbrücke – für meinen Salamander. Lurchi heißt er und begleitet mich auf meinen Wupperwanderungen.
Ich schrieb bislang von der Wupper, das ist nicht ganz richtig: An ihrer Quelle heißt die Wupper noch Wipper. Die Legende berichtet von einem Zwergenkönig der seinen Wanderstab an dieser Stelle in die Erde rammte. Sogleich sprudelte Wasser aus der Erde und plätscherte wippend über die Steine den Berg hinunter.
Das eigentliche Quellgebiet sollte aus Naturschutzgründen nicht betreten werden; das ist aber auch nicht notwendig. Am Wegrand wachsen wilde Möhren deren Blüten/Samen Streifenwanzen als Nahrungsquelle dienen. Hier verlustiere ich mich fotografisch und stelle fest, dass die Insekten an der Unterseite gepunktet sind.
Von der Wupperquelle zur Brucher Talsperre
Durch eine herrlich bunte Wiese aus gelb blühendem Hahnenfuß und weißen Margeriten
wandere ich zurück ans Ufer der Brucher Talsperre. Diese Talsperre wurde 1913 aufgestaut und dient der Hochwasserregulierung. Gespeist wird der Stausee durch den Brucher Bach und durch einen unterirdischen Stollen auch mit dem Wasser der Wipper. Die Brucher ist Naherholungsgebiet; Baden und Wassersport sind erlaubt.
Mittlerweile ist es recht heiß geworden. In Gedanken stelle ich mir einen Eisbecher mit meinen Lieblingssorten Schokolade, Malaga, Straziatella zusammen während ich über die Staumauer wandere. Die Staumauer aus Bruchsteinen ist eine so genannte Gewichtsstaumauer mit einer Länge von 200 Metern und einer Höhe von 27,5 Metern. Die Talsperre hat ein Fassungsvermögen 3,38 Millionen m³. Auf beiden Seiten dieser Mauer stand im 2. Weltkrieg eine Flak, davon ist jedoch nur eine Ruine übrig.
Auf der anderen Seite angekommen ist hier auch nichts, jedenfalls niemand der Ess- oder Trinkbares anböte. So laufe ich weiter Richtung Campingplatz. Dort gibt es bestimmt etwas Nahrhaftes. Nach einigen 100 Metern lese ich ein großes Schild: Waldhotel. Eis, Kaffee, Kuchen – Terrasse geöffnet.
Gerettet! In freudiger Erwartung marschiere ich den Hügel hinauf. Das Hotel ist von Weitem sichtbar, es ist ein großer Gebäudekomplex und erinnert ein wenig an die „Schwarzwaldklinik“. Vor dem Hotel ist eine große Freifläche mit einem Minigolfplatz – der allerdings schon lange nicht mehr als solcher genutzt wurde – die Gräser überwuchern die Anlage.
Auf der angeblich geöffneten Terrasse ist kein Mensch. Niemand. Tische und Stühle fehlen ebenfalls. Es ist Samstag. Es ist Juni. Die Sonne scheint. 27°C. Im Hotel ist auch niemand. An der Tür klebt ein Schild: „Wir öffnen nur nach Vereinbarung!“ Dafür bin ich also den Berg hinaufgelaufen! Die Zufahrt zum Hotel hätte mir schon zu denken geben sollen.
Unverrichteter Dinge laufe ich den Hügel wieder hinunter zurück ans Wasser. Von weitem erspähe ich eine Terrasse mit Sonnenschirmen. Darunter sitzen Menschen. Es ist das Rogers. Warme Küche gibt es erst wieder ab 18 Uhr, aber hausgemachter Apfelkuchen hört sich gut an! Ja, mit Sahne und Kaffee und einen Eimer Rhabarberschorle! Bitte. Es ist der erste richtig heiße Tag im Jahr und ich war nicht darauf vorbereit, unterwegs kein Getränk zukaufen zu können. Ich hatte natürlich meinen Liter Wasser dabei, aber der ist schon lange durchgelaufen.
Mit neuer Energie marschiere ich weiter. Ich erreiche das Alhambra. Dieses Restaurant wurde mir als Lokal für’s Abendessen empfohlen. Spanische Tapas, ein Glas Rotwein und alles direkt am See. Herrliche Aussichten. Ja, gewiss. Für Julia und Basti. Die Zwei heiraten heute und haben für ihre Feier das Lokal gemietet. Geschlossene Gesellschaft.
Ich wandere am See und am großen Platz für Dauercamper vorbei zurück zum Hotel Montana. Über mein GPS-Gerät sehe ich, dass in einem kleinen Industriegebiet, 500 Meter vom Hotel entfernt, einige Lebensmittelmärkte sind. Wunderbar. Dort kann ich zumindest Mineralwasser für den morgigen Wandertag kaufen. Es soll wieder heiß werden. Gedacht, getan. Doch dort verkauft man nicht nur Wasser, sondern auch Brötchen, Tomaten, gegrillte Hähnchenkeule, Erdbeeren. Genau das stelle ich mir als Abendessen zusammen; an der Hotelbar kaufe ich ein Bier dazu und setze mich mit dieser opulenten Mahlzeit auf den Balkon mit Blick auf Wald und Wiese. Herrlich.
Abendspaziergang an der Brucher Talsperre
Danach mache ich nochmals einen Spaziergang an die Brucher und fotografiere ein paar Wasservögel wie zum Beispiel eine wachsame Nilgansmutter. Nilgänse sind in Afrika heimisch, wie kommen sie ins Bergische Land? Sie wurden im 18. Jahrhundert als Ziergeflügel gehalten. Einige sind ausgebüchst und vermehren sich prächtig. Gegenüber anderen Wasservögeln sind sie äußerst angriffslustig, besonders gegenüber Stockenten.
Eine Blesshuhnfamilie ist auch zum Abendessen am Uferrand. Sie sind Allesfresser, wobei frische und faulende Pflanzenteile eine große Rolle spielen. Sie nehmen aber auch Insekten und kleine Fische zu sich.
Der Karpfen hat von diesen Rallen nichts zu befürchten.
Kurz vor Sonnenuntergang schwimmt ein einzelner Haubentaucher weg vom Ufer. Ein schöner Ausklang eines gelungenen Tages – auch wenn ich mir diesen kulinarisch anders vorgestellt hatte.
Kleines Fazit für alle Nachahmer: Nehmt Euch zu Essen und vor allem zu Trinken mit!