Rügen – eine Winterreise

Der weiße Häuserblock scheint endlos. Über zweieinhalb Kilometer reiht sich, vier bis fünf Etagen hoch, Wohnung an Wohnung. Zwischendurch ein Stück schäbig braungrau, mit zerschlagenen Fenstern, eindeutig eine Ruine und dann geht es weiter, schick weiß getüncht. Das ist er also: Prora – der Koloss von Rügen.

Prora

Auf einer Länge von viereinhalb Kilometern sollten ursprünglich acht baugleiche Blöcke parallel zum Sandstrand 20.000 Menschen gleichzeitig eine Auszeit, sprich Urlaub ermöglichen. Kraft durch Freude. Der Baubeginn war 1936, dann kam der zweite Weltkrieg. Die Bauten wurden als Flüchtlingsunterkünfte und Kasernen genutzt. Nach dem Krieg wurden drei Blöcke zerstört, fünf Blöcke blieben stehen. Sommerfrischler kommen erst seit einigen Jahren hierher. Es gibt ein Hotel, kleine Geschäfte, Eisdiele, Bäckerei, Dönerwagen, Snackbar, Frisör. Doch, wer im Januar hier ist, steht vor verschlossenen Türen. Selbst die Bäckerei renoviert; einzig das Hotel scheint geöffnet zu sein. Trotzdem empfehle ich, diesen Baukomplex abzuwandern, nur um ein Gefühl für das monströse Bauwerk zu bekommen. Es lohnt sich.

Beim zweiten Anlauf finde ich doch eine Lokalität gegen Hunger, Durst und Kälte: „Kantine Prora“, in der zweiten Reihe in Prora Mitte. Ein schmuckloser Bau mit einem kantinenähnlichen Speiseraum ohne Schnickschnack mit Platz für etwa 40 Personen. Touristen verirren sich hierher nicht; hier sitzen Bauarbeiter, Maler, Monteure, Handwerker und ich. Die Auswahl an Mittagsgerichten ist überschaubar und dafür frisch gekocht. Das Essen wird aus einer kleinen Luke ausgegeben, die einen Blick in die Küche zulässt. Ich entscheide mich für Rinderroulade mit Rotkohl und Salzkartoffeln. Eine ordentliche Portion, schmackhaft, hausgemacht, heiß und sättigend für weniger als zehn Euro! Ich bin begeistert. Während ich mein letztes Stück Roulade genieße, wischt der Koch dieses Gericht bereits von der Schiefertafel. Glück gehabt! Da habe ich wohl eine der letzten Portionen bekommen.

Was machst Du sonst in Prora?

Zum einen empfehle ich das hochinteressante Dokumentationszentrum. Hier wird der Bau von Prora und seine Zeitgeschichte anschaulich erläutert. Du solltest bereit sein viel zu lesen. Da das Museum nur vorläufig hier angesiedelt ist, wird das meiste Wissen über Schautafeln vermittelt. Außerdem ist es im Winter eiskalt – der Bau ist nicht beheizt. Die Parkgebühren am Museum können denen in Köln oder Düsseldorf durchaus Konkurrenz machen: Die erste Stunde kostet zwei Euro, jede weitere 1,50 Euro, der Tageshöchstsatz beträgt 20 Euro. Gut, dass ich mit dem Bus unterwegs bin. Für mich, die ich in Binz übernachte, ist die Busfahrt bis Prora in der Kurtaxe enthalten. (Die Kurtaxe in Binz beträgt satte 2,80/Tag!)

Dokumentationszentrum Prora

Oldtimermuseum Prora

Du hast noch mehr Zeit? Dann geh auf jeden Fall in das Oldtimermuseum. Automobilgeschichte von 1949 bis 1989 und ein paar ältere Modelle. Ausgestellt werden mehr als 100 Fahrzeuge in einer Gegenüberstellung Ost und West. Was war 1949 im Osten aktuell, welches Modell wurde im Westen gefahren?

Oldtimermuseum Prora

Spannend und informativ aufbereitet, selbst für mich, die ich Autos lediglich als Transportmittel betrachte. Ich lerne zum Beispiel, dass die Staatskarosse der DDR ein Volvo war, also das Auto eines westlichen Herstellers. Besonders hübsch anzusehen ist auch der knallrote Amphicar, ein mit acht Knoten schwimmfähiges Fahrzeug.

Amphicar

Das wohl ältestes Fahrzeug und der Stolz der Sammlung ist eine Tin Lizzie mit 20 PS von 1911. Sie sieht aus wie eine pferdelose Pferdekutsche.

Tin Lizzy

Und dann dieser niedlich anmutende Hanomag von 1920, der im Volksmund Kommissbrot genannt wurde. „Ein Kilo Blech, ein Kilo Lack, fertig ist der Hanomag.“ lese ich auf dem Infoschild.

Hanomag

Doch nicht nur historische Autos stehen hier; im Eisenbahnbereich beeindrucken alte Dampflokomotiven, ein Straßenroller und eine Windel-Wasserdampflokomotive. Was ist eine Wasserdampflokomotive?? Laut Wikipedia wurden „Dampfspeicherlokomotiven bevorzugt in Umgebungen mit Feuer- oder Explosionsgefahr eingesetzt. Sie besitzen keine eigene Feuerung, vielmehr wird der Dampf einer stationären Anlage entnommen. Ihr Betrieb ist vor allem dort sehr wirtschaftlich, wo ohnehin Dampf in genügender Menge zur Verfügung steht. Typische Einsatzgebiete sind deshalb Papierfabriken, chemische Industrie sowie der Kohlebergbau.“ Mehr zur Technik der Dampfspeicherlokomotive in Wikipedia.

Dampfspeicherlokomotive

Außerdem gibt es einen „Straßenroller“: Das ist ein LKW-Anhänger mit Schienen auf der Ladefläche so dass ein Eisenbahnwaggon mühelos aufgefahren werden konnte. Der Straßenroller sollte in ländlichen Bereichen Firmen ohne eigenen Gleisanschluss mit Waren beliefern.

Straßenroller

Baumwipfelpfad Prora

Natürlich ist auch der nahe Baumwipfelpfad ein Muss. Ich bin an einem grauen Januartag hier und überlege, ob ich 13,50 Euro für den Eintritt ausgeben soll. Bäume ohne Blätter, grauer Himmel verspricht mäßige Aussicht. Außerdem ist es kalt und nach oben wird es nicht besser. Doch schon allein der 1.250 Meter lange Walk, der sich final in einer weitläufigen Spirale um eine Buche bis zur Aussichtsplattform windet, lohnt sich. Für Kinder – und Erwachsene – gibt’s immer wieder kleine Schlenker in Form von Balancierseilen, Wackelplatten und Schwebebalken. Die Rutsche zum Schnellabstieg ist im Winter gesperrt, aber ich wollte ohnehin aufrechten Ganges den Weg nach unten ins Naturerbezentrum angehen. Im Cafe stärke ich mich und dann bin ich bereit für die Naturerbe-Ausstellung. Hier darf jede:r mitmachen. Schmetterlings-Memory spielen, Vogelstimmen nachahmen, lesen, hören, spielen, schauen. Augmented und Virtual Reality vom Feinsten.

Baumwipfelpfad

Binz

Einquartiert habe ich mich in Binz. Warum? Ganz einfach: Es gibt einen bequemen Direktzug ohne Umsteigen ab Düsseldorf / Essen. Die Busverbindungen in die umliegenden Orte sind gut, die Infrastruktur mit Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants ist perfekt und dann der lange, lange Sandstrand. Gut acht Kilometer kannst Du, fast ohne Unterbrechung, am Strand entlang laufen. Im Sommer natürlich auch baden, im Januar kommt das für mich eher nicht in Frage. Im Winter sind wesentlich weniger Menschen hier. Binz hat 5000 Einwohner und 15.000 Betten. Wie es im Sommer bei voller Belegung aussieht, kann ich mir kaum vorstellen.

Wanderung von Binz nach Göhren

Am ersten Tag möchte ich nur einen Spaziergang machen, von Binz entlang der Steilküste nach Sellin. Der Hochuferweg bietet schöne Ausblicke auf die Küste und zwischendurch werde ich daran erinnert, dass dies mal Feindesland war, das andere Deutschland. Mitten im Wald steht noch ein Beobachtungsturm.

Alter Wachturm

Recht schnell bin ich im nächsten Ort: Sellin. Über die Himmelstreppe steige ich hinab zur längsten und bebauten Seebrücke Rügens. Die erste Selliner Seebrücke wurde bereits 1904 erbaut, doch fiel sie im Lauf der Jahre mehrfach Sturm und Eis zum Opfer, das letzte Mal 1942. Erst in den 1990er Jahren wurde sie erneut wieder aufgebaut.

Weil das Wetter gut ist, laufe ich unbeschwert weiter über Baabe bis nach Göhren. Orte von denen ich früher nie gehört hatte. Der lange Strand von Baabe ist gesäumt von bunten Holzferienhäusern. Sie erinnern mich an finnische Sommerhäuser, nur stehen sie hier wesentlich enger zusammen.

Ferienhäuser in Baabe

Die Häuser von Göhren kann ich schon sehen und laufe am Sandstrand entlang immer weiter. Als ich in Göhren ankomme habe ich 15 Kilometer auf meinem GPS-Tacho. Und jetzt? Ich muss irgendwie zurück nach Binz. Alles zurücklaufen? Auf keinen Fall! Doch Abhilfe ist nah: Der Rasende Roland. Ich kann ich schon hören. Und riechen. Er pfeift, dampft und stampft gerade in den Bahnhof von Göhren ein. Es ist ein alter Dampfzug, der einerseits als Touristenattraktion betrieben wird, aber auch als öffentliches Nahverkehrsmittel. Einen Verkehrsverbund wie ich ihn aus Nordrhein-Westfalen kenne, gibt es auf Rügen nicht. Wer mit dem DB-Zug fährt, zahlt das Bahnticket, wer anschließend mit dem Bus oder eben dem Rasenden Roland fährt, zahlt erneut.

Bahnhof Göhren

Der Rasende Roland

Der Rasende Roland. Ich frage mich ob das ironisch oder liebevoll gemeint ist. Der Zug bringt eine Spitzengeschwindigkeit von 30 km/h auf die Schiene. Besser als zu Fuß gehen. Und gemütlicher. Und wärmer. Jeder Waggon ist mit zwei Kohleöfen ausgestattet, die eine wohlige Wärme verbreiten. Es ist Nebensaison und außer mir sitzt im Waggon nur noch Oma und Opa mit Enkelkind. Sie freuen sich über die Fahrt mit dieser echten Dampflok auf Schmalspur. Seit 1895 ist er auf der Schiene.

Feuersteinfelder und Proraner Heide

Für Natur- und Landschaftsliebherber:innen empfehle ich einen Ausflug in die Proraner Heide und zu den in Deutschland einmaligen Feuersteinfeldern. Auf einer Länge von mehr als zwei Kilometern erstrecken sich mehrere Wälle aus Feuerstein. Wie sie entstanden sind, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht wurden die Steine während schwerer Stürme auf bestehende Sandbänke aufgeworfen. Damit die Vegetation die Steinfelder nicht überwuchert, werden sie geplaggt, das heißt sie werden künstlich freigehalten.

Kreideküste

„Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ ist der Titel eines Bildes von Caspar David Friedrich. Als Schülerin musste ich das Gemälde interpretieren; seitdem verfolgt es mich. Es hat sich in mein Gedächtnis gebrannt, da ich nicht ganz die „richtige“ Interpretation gefunden hatte. Der Lehrer meinte es handle sich um eine Landschaft auf Rügen und so mache ich mich fünfzig Jahre später zu Fuß auf die Suche nach diesem Aussichtspunkt. Allerdings am Tag. Von Sassnitz nehme ich den Hochuferweg Richtung Königsstuhl. Immer an der Kreidefelsen entlang. Den herrlich krummen Baum von CDF finde ich nicht, wahrscheinlich ist er längst im Meer versunken. Die Ostsee nagt stark an der Kreideküste und häufig ist Dir der Zugang bis zur Abbruchkante verwehrt. Aus gutem Grund: Diese Kanten sind zum Teil schon unterspült und könnten jeden Moment abbrechen.

Kreideküste

Einen Eindruck von den Klippen bekommst Du am besten vom Strand aus. Dazu heißt es natürlich absteigen. Am Kieler Bach gibt es die Möglichkeit. Doch jede Treppe die Du runter gehst, musst Du natürlich wieder rauf. Mein innerer Schweinehund sagt „Nein, nicht runtergehen, zu anstrengend, Du hast heute insgesamt mehr als 20 Kilometer reine Wegstrecke ohne Abzweigungen zu wandern.“ Mein Fotografinnenherz sagt: „Geh runter, die Perspektive ist komplett anders.“ Also steige ich ab und bereue nichts. Über eine steile Rettungsleiter erreiche ich den Strand. Einhundert Meter gehen die Klippen fast senkrecht nach oben. Gut zu sehen ist die Bodenerosion anhand von abgerutschten Kreidefelsen und umgestürzten entwurzelten Bäumen. Hier wird sehr anschaulich deutlich warum im Wald große Warnschilder stehen: „Natur ist unberechenbar.“ Gefahr von Kliffabbrüchen. Nicht zu nah an die Kante gehen!

Kreideküste

Ich klettere die Treppe wieder hoch, zurück auf den Waldweg. Dieser ursprüngliche und naturbelassene Wald besteht im wesentlichen aus Buchen. Wegen ihrer unzugänglichen und damit unwirtschaftlichen Lage an der Steilküste, wurde der Wald nie forstwirtschaftlich genutzt. Welch ein Glück. Flora und Fauna konnten sich ungestört entwickeln und bieten eine Heimat für viele Tiere, die andernorts keinen Lebensraum mehr haben. Diese Buchen zählen gemeinsam mit Buchenwäldern in Thüringen, Hessen und Brandenburg zum UNESCO-Weltnaturerbe Buchenwälder. Ich bin im Nationalpark Jasmund, dem kleinsten deutschen Nationalpark.

Buchen im Nationalpark Jasmund

Mein Ziel ist der weltberühmte Königsstuhl. Doch zuerst erreiche ich die Victoriasicht. Hier treffe ich zum ersten Mal an diesem Tag andere Wanderer und Ausflügler, vorher hatte ich den Wald für mich allein. Von dem Ein-Personen-Balkon des Aussichtspunkts Victoriasicht blicke ich auf den weltweit bekannten Königstuhl.

Victoriasicht
Victoriasicht

Na ja. Die Klippen vorher waren eindrucksvoller. Finde ich. Einer Sage zufolge soll der Name daher kommen, dass in alter Zeit derjenige zum König gewählt wurde, dem es als Erstem gelang, von der Seeseite aus den Kreidefelsen zu erklimmen und sich auf den oben aufgestellten Stuhl zu setzen. Ich bleibe brav auf dem Hochuferweg und wandere Richtung Königsstuhl. Wenigstens möchte ich von dort nach unten schauen. Doch: Es kostet normalerweise 12 Euro Eintritt; im Moment ist Baustelle, da kostet es nur sechs Euro, aber ich komme auch nur ins Nationalparkzentrum. Aussicht is nich. Geschlossen.

Blick auf den Königsstuhl
Blick auf den Königsstuhl

Da ich mit dem Königsstuhl die Hälfte meines Weges erreicht habe und ich noch nach Sassnitz zurücklaufen möchte, spare ich mir den Eintritt und investiere das Geld später in ein Stück Kirschstreusel und einen Pott Kaffee in Sassnitz. Um an mein Stück Kuchen zu kommen, muss ich allerdings noch gut zehn Kilometer durch den Buchenwald laufen. Nicht nur die Küste ist interessant. Der Wald wird immer wieder von Tümpeln und kleinen Moorflächen durchzogen und unverhofft stehe ich vor einem Großsteingrab. Es ist das Pfennigsgrab. Eine Sage berichtet, dass der Priester der Göttin Hertha, deren Wagen, Gewand und sie selbst nach jeder Reise in dem nahegelegenen Herthasee gereinigt wurden, alle der Göttin gespendeten Opfergelder in diesem „Pfennigkasten“ verwahrte.

Pfennigsgrab (Dolmen)
Pfennigsgrab (Dolmen)

Auf dem Rückweg nach Sassnitz begegnet mir nur ein Mann auf seinem Fahrrad, ansonsten bin ich komplett allein unterwegs. Etwas mehr als 20 Kilometer ist diese Rundtour lang, mein Stück Kuchen habe ich redlich verdient. Den besten, preiswertesten und hausgemachten Kuchen gibt’s im Stadtcafe Sassnitz, Hauptstraße 68a. Das Cafe ist unscheinbar, eher wie ein Kiosk, aber ich bin bereit Neues auszuprobieren, nachdem ich in der großen Bäckerei, die ihre Filialen über die ganze Insel verteilt hat, nur Treibmittelkuchen bekommen habe. Was mache ich am nächsten Tag? Ich fahre nochmals hin, allerdings laufe ich nur ein kürzeres Stück und lasse die Küste auf mich wirken.

Dwasieden (Sassnitz)

Zurück in Sassnitz laufe ich nach Dwasieden. Das kleine Waldstück ist voller Ruinen: Ein Schloss, eine Kaserne, Kriegsgräber und ein Großdolmen. Aber der Reihe nach. Schloss Dwasieden wurde 1948 gesprengt.

Schloss Dwasieden
Schloss Dwasieden

Es ist ziemlich unheimlich im Wald, ein Hundeausführer ist mit einem Auto gekommen, ansonsten ist hier niemand. Ich klettere zwischen den Steinhaufen des alten Schlosses umher. Kreuz und quer liegen Säulen, eine sogar aus Marmor, wie es scheint.

Schloss Dwasieden
Schloss Dwasieden

Der angrenzende Marstall brannte 1997 aus. Das Gebäude soll zu Zeiten der Volksmarine Büros und auch Arrestzellen beherbergt haben. Es steht nur noch die aufwändig gestaltete Fassade.

Marstall
Marstall

Bis zur Schließung Anfang der 1990er Jahre war hier ein Marinepionierbataillon, ein Ingenieurbaubataillon und eine Kompanie chemische Abwehr stationiert. Die Funktion der Gebäude ist teilweise noch erkennbar. Waschräume, Unterkünfte, ein Heizhaus. Der Schornstein ist weithin sichtbar.

Ich verlasse diesen unheimlichen Ort und laufe – auf dem Jacobsweg – weiter zum Waldfriedhof. Hier fanden im zweiten Weltkrieg gefallene Soldaten ihre letzte Ruhe. Deutsche, Russen und unbekannte liegen hier; jeweils zwei bis drei in einem Grab.

Kriegsgräber

Ein weiteres einzelnes Grab ist nur gut einen Kilometer entfernt, doch dies ist wesentlich älter: ein Großdolmen. Bei dieser 1970 von E. Schuldt ausgegraben Anlage handelt es sich um ein etwa 35 Meter langes trapezförmiges Hünenbett. Die Eingangsöffnung befindet sich an einer der Schmalseiten.

Großdolmen Dwasieden
Großdolmen Dwasieden

Putbus

Und was machst Du sonst noch auf Rügen im Winter ohne Auto? Einen Ausflug nach Putbus. Am besten mit dem Rasenden Roland. Etwa fünf Gehminuten vom hübschen Putbusser Bahnhof entfernt ist das bekannteste Gebäudeensemble: Der Circus. Der Circus gilt als der letzte einheitlich ausgeführte Rondellplatz in Deutschland. Er ist Teil des historischen Stadtkerns und wurde 1828 auf Weisung von Fürst Wilhelm Malte I. zu Putbus angelegt.

Circus von Putbus
Circus von Putbus

Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich der Putbusser Circus vom Spazierweg zu einem umbauten Platz mit acht sternförmig verlaufenden Wegen, acht Rasenflächen im Inneren der Kreisfläche und einem hohen Obelisken in der Mitte. Mit Hinblick auf diese baulichen Besonderheiten lohnt sich der Besuch des Circus also vor allem für Architektur-Liebhaber:innen.

Circus von Putbus
Circus von Putbus

Für Naturliebhaber:innen ist der 75 Hektar große Schlosspark zu jeder Jahreszeit sehenswert. Angelegt zunächst als Barockgarten ließ Fürst Wilhelm Malte I. zu Putbus diesen zu einem Landschaftspark umgestalten. Die Pflanzenvielfalt ist enorm: Platanen, Buchen, Mammutbäume, spanische Tannen, Edelkastanien und knorrige stattliche Eichen. Wie alt mögen die Eichen sein? Schon vor hundert Jahren waren sie eine Attraktion. Einige sind komplett hohl, ihre Äste werden gestützt, aber sie leben noch.

Schlosspark von Putbus
Schlosspark von Putbus

Wegen Baufälligkeit wurde das Schloss 1968 gesprengt, aber der Park, die Orangerie und ein acht Hektar großes Wildgehege blieben erhalten.

Schlosspark von Putbus
Schlosspark von Putbus

Stärken kannst Du Dich im Restaurant Jägerhütte (Wildspezialitäten) oder im Cafe Milchmädchen in der ehemaligen Orangerie. Neben herzhaften Kleinigkeiten, gibt es drei Sorten Kuchen. Alles frisch und selbstgemacht, keine Fabrikware.

Orangerie
Orangerie

Jagdschloss Granitz

Nicht weit von Binz liegt das Jagdschloss Granitz. Das 1837 errichtete Schloss wurde von den Russen nach dem zweiten Weltkrieg weitgehend geplündert, die Besitzer enteignet, vom eigentlichen Mobiliar ist nicht mehr viel erhalten. Somit erwarte ich wenig. Doch die Räume sind hübsch und modern aufbereitet, eine Kombination aus historischen und modernen, stilisierten Artefakten. Das Highlight ist ohne Zweifel der Schlossturm: 154 gusseiserne Treppenstufen sind freischwebend an der Innenwand des 38 Meter hohen Turmes angebracht. Fotogaf:innen seien an dieser Stelle gewarnt: Die Wendeltreppe auf den Turm wird nur als Einbahnweg betrieben. Wer sich auf der Treppe befindet darf zwar fotografieren, aber zackkig! Mehrfach werde ich angepfiffen – von der Aufsicht oben, von der Aufsicht unten, ich solle mal voran machen. Dabei habe ich gewiss nicht länger als fünf Minuten für die gesamte Strecke gebraucht. Die anderen drei Touristen oben, allesamt älter als Mitte sechzig, wollen wieder runter und zwar flott. Zeit hat wohl auch der gemeine Wintertourist nicht!

Kap Arkona

Ein besonderer Tagesausflug führt mich mit dem Bus in gut 120 Minuten über Sassnitz nach Putgarten. Ich laufe die im Reiseführer angegebene 10 Kilometer lange Wanderstrecke. Sie startet auf dem Großparkplatz – auf dem gerade noch kein Auto steht. Die Toiletten sind frei zugänglich, kostenlos, sauber und beheizt. Diese Gelegenheit nutze ich. Dann geht der Weg zum Radarturm und ans Hochufer.

Radarturm
Radarturm

Eine Treppe führt an den Strand. Das will ich mir zunächst ersparen, aber ein Hinweisschild macht auf rastende Robben aufmerksam, zu welchen man 100 Meter Abstand halten solle. Die Aussicht auf Robben ist zu verlockenend – ich mache mich an den Abstieg. 129 Stufen. Der Strand ist schön mit guter Aussicht auf die hohen Klippen; Robben sehe ich keine. Also schnaufe ich 129 Stufen wieder nach oben.

Dabei wird mir wenigstens warm. Es ist knapp unter Null Grad, leichter Wind, leichter Schneegriesel, ziemlich unschön. Dabei sollte heute die Sonne scheinen. Der Hochuferweg ist mit jungem Baumbestand bewaldet. Wunderbar, das hält den Wind ab. Zwischendurch gibt’s schönen Blicke auf’s Meer. Dann stehe ich am Gellort, dem nördlichen Punkt von Rügen. Tief unten liegt der „Siebenschneiderstein“, ein auffällig großer Findling. Über die beiden alten geschlossenen Leuchttürme und den Bunker geht es zum Peilturm. Hier kann man über drei Etagen Souvenirs kaufen und Kaffee aus Peru. Von oben könnte man noch einen Blick auf den historischen Burgwall aus der Slawenzeit werfen – doch der Turm hat noch geschlossen. Schade. So marschiere ich weiter nach Vitt. Das Dorf steht unter Denkmalschutz, ist malerisch und es gibt Gaststätten und Cafes – laut Wanderführer. Ja, wahrscheinlich im Sommer. Jetzt ist Baustelle. Imbiss, Restaurant, Keramikatelier – alle geschlossen. Der ganze Ort ist geschlossen. Ich laufe zurück nach Kap Arkona. Auch hier: geschlossen. Selbst die Toiletten. Das nächste WC ist in Putgarten.

Geschlossen - Kap Arkona

Es ist wirklich schade, dass es nirgendwo eine Möglichkeit gibt, sich im Warmen hinzusetzen. Mein mitgenommenes Picknick esse ich im Buswartehäuschen und nehme den nächsten Bus zurück nach Sassnitz.

Der Wald

Was mich vom ersten Tag an auf Rügen fasziniert hat, ist der Wald. Damit hatte ich nicht gerechnet. Diese stattlichen alten Buchen und Eichenbestände sind einfach großartig. Die Wanderwege sind ebenfalls unglaublich vielseitig – mal sind es breite gepflasterte oder geschotterte Wege, mal sind es schmale Pfade. Plötzlich läufst Du auf einer breiten Allee aus Eichen, dann versperren Dir Eisenbahnschienen den Weg. Hier rauscht der ICE durch. Na ja, das ist leicht übertrieben – er fährt hier eher im S-Bahntempo. Hin und wieder entdecke ich Relikte, die an die einstige militärische Nutzung erinnern.

Im so genannten Hexenwald bei Lietzow stehen sieben oder acht Krüppelbuchen im Kreis. Sie haben derart verdrehte Stämme, dass es wirklich so aussieht, als ob Hexen oder Gnome einen Tanz aufführen.

Der Strand

Natürlich gibt es auch Strand – Rügen ist schließlich eine Insel. Strand ist leider gar nicht mein Ding: zu viel Sand. Aber manchmal ist es doch ganz schön, einen Strandspaziergang zu machen.