Auf’m Darß- Reisebericht

Ein Stück deutsche Ostseeküste

Zum ersten Mal bin ich an der Ostsee! Kilometer lange feinsandige Strände, hin und wieder ein kleiner Ort, eine Seebrücke, Strandkörbe, Steilküste, Wald. Nett hier. Ich bin auf dem Darß – eine Halbinsel an der südlichen Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern. Einst waren die Kerne des parallel zur Küstenlinie verlaufenden Landstreifens Inseln. Sie entstanden vor circa 5000 Jahren – als in Ägpyten bereits die ersten Stufenpyramiden gebaut wurden. Durch natürliche Versandung und menschliche Nachhilfe in Form versenkter Schiffe wurden die Flutrinnen zwischen den Inseln Darß und Zingst geschlossen.

So kommen Reisende heute auf dem Landweg auf den Darß. Klingt einfach und schnell, ist es aber nicht. Mit dem Zug bin ich von meiner Heimatstadt Wuppertal schneller in London als in Prerow oder Zingst. Das liegt unter anderem daran, dass es auf den Darß keine Zugverbindung gibt. Nicht mehr. Die 1910 eingeweihte Darßbahn wurde 1996/97 endgültig stillgelegt. Heute endet die Bahnstrecke in Barth. Die Eisenbahnbrücke Meiningen ist gesperrt; für den Autoverkehr gibt es direkt daneben eine neue Brücke. Über diese fährt auch der zweistündlich getaktete Linienbus. Er pendelt zwischen den Festlandorten Ribnitz-Damgarten (West) und Barth über den Darß und verbindet so alle Dörfer auf dem Darß.

Die Region lebt in erster Linie vom Tourismus. Auf die knapp 7000 Einwohner kommen etwa drei Millionen Touristen jährlich von denen der größte Teil auch mindestens eine Woche bleibt. Das Gro kommt mit dem Auto. Davon zeugen die kilometerlangen Parkplätze, die den Deich zwischen Prerow und Zingst säumen. Jetzt, im Mai, sind sie noch relativ leer. Viele Dörfer scheinen nur von Touristen belebt zu werden. Einheimisches Dorfleben ist eher selten. In jedem Haus scheint mindestens ein Zimmer oder eine Wohnung wenn nicht gar das ganze Haus zu vermieten zu sein.

Auf dem Darß

Warum habe ich mir diese Gegend ausgesucht? So viele Touristen können sich nicht irren? Nein. Mich interessierte in erster Line der 1990 eingerichtete Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Mein erster Eindruck vom Nationalpark ist Ablehnung. Er beschränkt mich in meiner Freiheit! Ich sehe die deutsche Ostsee zum ersten Mal. Meer so weit das Auge reicht, gespickt mit ein paar Windrädern am fernen Horizont. Feiner weißer Sandstrand so weit ich schauen kann. Jedoch, in eine Richtung ist der Strand mit einem Holzzaun verbarrikadiert und eine Eule schaut mich mit ihren wachsamen Augen an:

Nationalpark Strand gesperrtHinter dem Eulenzaun ist Nationalparkkernzone 1. Betreten verboten. Hier brüten Sandregenpfeifer und die stark bedrohten Zwergseeschwalben. Die Nester dieser gut getarnten Bodenbrüter würden von den meisten Besuchern sicherlich übersehen und versehentlich niedergetreten. Na gut – 13 Kilometer frei zugänglicher Sandstrand in die andere Richtung bis Ahrenshoop sollten für mich reichen!

Der größte Teil des Darßes, genauer gesagt 5800 Hektar, ist mit Wald bedeckt. Dieser Wald wurde lange Zeit forstwirtschaftlich genutzt. Die dänischen und französischen Besatzer holten sich edle Hölzer wie Eiben für die Inneneinrichtung ihrer Schlösser. Die preußischen Forstleute pflanzten später auf die freien Flächen Fichten, Kiefern, Lärchen und Douglasien. HarzkieferDie Kiefern dienten als Harzlieferanten und wurden von Harzern „gemolken“. 2000 Bäume betreute ein Harzbauer und konnte damit bis in die 1980er Jahre gutes Geld verdienen. Harz wird hauptsächlich in der Kosmetikindustrie verwendet.

Im Norden des Darßwaldes wechseln sich Reffs und Riegen ab, so werden die Sanddünen und Täler bezeichnet. Auf älteren Reffs wachsen Rotbuchen und Stieleichen. Buchen werden etwa 200 Jahre alt und fallen dann einfach um. So gibt es manch wunderschöne Stelle mit knorrigen alten Buchen. Die tiefer gelegenen Riegen sind mit Erlen bestanden – häufig mit den Wurzeln im Wasser. Dieses Gebiet ist ein ideales Brutgebiet für Amphibien, aber auch für Kraniche. Von den 60000 Kranichen, die jährlich auf dem Weg nach Norden über den Darß ziehen und eine kurze Rast bei Zingst einlegen, bleiben einige hier. Im Wald. Ein voll gedeckter Tisch direkt vor dem Nest. Schlaraffenland. Adlerfarn bedeckt einen großen Teil des Bodens und verhindert zusammen mit einer hohen Wilddichte eine naturgerechte Verjüngung des Baumbestandes. Mit etwas Glück können Wildschweine und Rothirsche beobachtet werden. Waldmarder und Ringelnatter kommen ebenfalls zahlreich vor.

Fotos vom Darßer Wald

Der Wald reicht an manchen Stellen direkt bis an den Strand. Bekannt und beliebt unter Fotografen ist der Weststrand; er kann nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden. An dieser Seite des Darß nagt die Ostsee und trägt ständig Sand ab. Jährlich einen halben Meter. Und die See arbeitet weiter.

Fotos vom Weststrand

Den Sand nimmt sie mit und spuckt ihn an der nördlichen Spitze am Darßer Ort wieder aus. Hier entsteht neues Land. Jährlich etwa 10 Meter. So entsteht Windwatt – Flachwasser, das je nach Windeinfluss trocken fällt. Durch Stürme im Winter entstehen so genannte Sandhaken, Strandwälle die ins Meer wachsen. Diese Strandwälle liegen ebenfalls in der Kernzone des Nationalparks. Ein Holzplankenweg mit zahlreichen Aussichtspunkten führt mitten hindurch. Die feinsandigen Dünen wurden zum Teil schon von Strandhafer und Krähenbeere besiedelt. Im älteren Teil stehen auch schon Kiefern. Diese Kiefern haben eine besondere Überlebensstrategie entwickelt: Ihre nach oben wachsenden Spitzen werden von Rotwild abgeknabbert und an einem hoch wachsenden Stamm rüttelt ständig der Wind. So wachsen diese Kiefern kriechend über den Sandboden. Das schützt vor dem Umfallen.

Darßer Ort

Am Darßer Ort steht ein Leuchtturm. Der 1849 in Betrieb genommene Turm ist das älteste noch aktive Leuchtfeuer an der Ostseeküste. Heute arbeitet er vollautomatisch. Wer die 126 Stufen hinauf geschnauft ist schaut zur einen Seite auf den Weststrand und zur anderen Seite auf das „neue Land“. Die Einwohner des nahen Ortes Prerow sahen diesen Leuchtturm das erste Mal 1989/90 nach der Wende aus der Nähe – vorher war diese Region komplett tabu. Auf DDR-Landkarten gab es diese Gegend nicht. Die Karte hörte einfach auf. Heute ist der Leuchtturm mit dem kleinen Museum für jeden erreichbar, allerdings nur zu Fuß, mit dem Rad oder mit der Pferdekutsche.

Fotos vom Leutturm Darßer Ort

Am südlichen Ende geht der Darßer Wald in Wiesen über. In der Nähe von Born dann plötzlich das: Wasserbüffel. Bislang kenne ich diese friedlichen Hornträger nur aus Asien. Es gibt gut 230 Wasserbüffel auf dem Darß; sie gehören zum Gut Darß. Bereits vor 25 Jahren stellte dieser landwirtschaftliche Betrieb auf ökologische Haltung um. Ich lerne, dass ökologische Haltung nicht gleichzusetzen ist mit einem Kleinbauern der ein paar Kühe hält. Neben den Wasserbüffeln werden Schafe und 3500 Rinder für die Fleischzucht gehalten. Nur in den kalten, stürmischen Wintermonaten sind die Tiere im Stall, in den Sommermonaten grasen sie auf 4200 ha Weideland in gemischten Herden aus Kühen, Kälbchen und Bullen. Die Kühe kalben draußen auf der Weide; nur bei Komplikationen greift der Weidewart ein.  Gut Darß ist ein mittelständisches Unternehmen, das es geschafft hat nachhaltig zu wirtschaften und mit ökologischen Produkten Profit zu machen.  70 Festangestellte, davon 50 Landwirte verdienen hier ihren Lebensunterhalt. Neben der Landwirtschaft gibt es einen Hofladen, eine Hofküche mit hervorragenden Büffelburgern, einen Klettergarten, Minigolf, Eisstockschießen und Führungen über den Hof.

Fotos vom Hof Gut Darß

Ahrenshoop ist nicht nur ein Künstlerort sondern auch die Heimat eines gelernten Bootsbauers – Jens Lochmann. Er rekonstruiert und restauriert alte Boote aus Eichenholz. Er arbeitet sowohl für Liebhaber alter Boote als auch für Museen. 

Jens Lochmann liebt sein Handwerk und erzählt: „Es ist heute schwer gutes, langsam getrocknetes Holz für die Planken zu bekommen. Die Kupfernägel werden aus Großbritannien geliefert, das Harz kommt aus Schweden, der Hanf zum Abdichten aus den Niederlanden.“

Das beste Fortbewegungsmittel auf dem Darß ist das Fahrrad. Ich habe mir für 5,-Euro pro Tag ein gutes Tourenrad geliehen. Die Radwege sind größtenteils sehr gut und hervorragend beschildert. So erreiche ich Wustrow. Hier ist die Küste steil, bis zu 16 Meter hoch und schon wieder ist ein Teilstück gesperrt! Dieses Mal jedoch nicht durch die Nationalparkeule sondern aus Sicherheitsgründen, das Land rutscht ab. Das Meer macht nicht mal Halt vor tonnenschweren Betonklötzen. Es sind Reste von Batterien aus der Nazizeit und Bunkern des DDR-Regimes. Bis zur Wende war dies Sperrgebiet, die Bunker gehörten zum Überwachungssystem der DDR. In der Steilwand entdecke ich die Bruthöhlen von Uferseeschwalben.

Fotos von der Küste bei Wustrow

Im Bodden, dem flachen Gewässer das zwischen dem Darß und dem Festland liegt, ist der Wasseraustausch eingeschränkt, der Salzgehalt ist niedriger als in der Ostsee, der Nährstoffgehalt höher. Beinahe entlang der gesamten Boddenküste wächst Schilf. Das Schilf bietet vielen gefiederten Spezialisten wie Bartmeise, Rohrdommel und Rohrweihe Unterschlupf. Der Mensch nutzt das Schilf seit Jahrhunderten zum Decken seiner Häuser.

Fotos vom Bodden

Was gibt es sonst noch auf dem Darß? Wer gern Fisch isst sollte Hornhecht probieren – der mit den grünen Gräten. Hornhechte werden an dieser Küste Anfang Mai für maximal drei Wochen geangelt. In dieser Zeit kommt der Hecht zum Laichen in die Nähe des Strandes. Sein Fleisch schmeckt hervorragend, allerdings ist es auf Grund der Gräten etwas mühsam zu essen. Das ganze Jahr über gibt es frischen oder geräucherten Fisch wie Dorsch, Zander, Lachs, Hering. Jeder Ort an der Ostseeseite hat eine Seebrücke, besonders nett ist die von Prerow mit einem Spalier kleiner Verkaufshäuschen am Eingang.

Fotos von Wieck, Zingst und Prerow

Der Tourismus hat jedoch auch seine Schattenseiten. Im Hauptort Zingst wird zum Beispiel im Sommer das Trinkwasser knapp. Der Grundwasserspiegel sinkt bedenklich. Für ein Grundstück oder eine Eigentumswohnung muss man tief in die Tasche greifen: In Zingst kostet eine 77 m² große Eigentumswohnung eine halbe Millionen Euro.

Auf dem Darß, Deich in Zingst