Massai Mara – fotografische Katzenjagd

Nach zweiwöchiger Kenia-Rundreise sind wir im letzten Nationalpark, der Massai Mara, angekommen und sind schockiert, traurig, wütend. Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang preschen wir mit Alfred, unserem Fahrer und Guide, über die schlammige Piste. Gestern Abend hat es heftig geregnet, der Boden ist aufgeweicht. Ein Mal bleiben wir in einem Schlammloch stecken, können uns aber dank des Allradantriebs selbst befreien. Mit Vollgas geht es durch die Dämmerung. Was soll das? Wir fahren doch kein Wettrennen! Doch, fahren wir.

Das Motto des Rennens heißt: Wer bekommt den besten Blick auf einen Löwen. Alfred macht eine Vollbremsung. Wir stehen quer zur Fahrspur. Tatsächlich kommt uns ein Löwenmännchen gemächlichen Schrittes frontal auf der Fahrspur entgegen, dicht gefolgt von fünf Safariwagen.

Wir fahren hektisch weiter, denn über Funk kommt die Info, es gäbe einen fressenden Löwen an einem Gnu. Ich bekomme Hörnchen – weil ich mir die Kamera an die Stirn schlage, denn ich nehme sie einfach zu langsam vom Auge, bevor wir weiterrasen. Wieder ergattern wir einen guten Fotoplatz, der Löwe ist innerhalb von zwei Minuten von zehn Fahrzeugen umzingelt. Wir stehen in der Pole-Position, das ist der Preis des Wettrennens.

Als er genug gefressen hat – oder des Lärms der Menschen in den Fahrzeugen überdrüssig ist – geht er seines Weges, direkt an unserem Auto vorbei. Ich könnte ihn streicheln. Mache ich aber nicht, denn sein Rücken ist dicht mit Fliegen besetzt.

Nun geht es weiter, full speed, zur Gepardin. Sie hat angeblich vier Jungtiere, aber im hohen Gras sind diese nicht auszumachen.

Gepard

Die Gepardin läuft ein Stück, steigt auf einen Termitenhügel, schaut in alle Richtungen. Sie sucht vielleicht einen Ausweg.

Gepard

Mehr als 40 (vierzig) Fahrzeuge haben mittlerweile die Mutter mit ihren Jungen eingekesselt. Eigentlich sollte sie jagen gehen, denn die vier Kleinen brauchen Nahrung. Die Autos stehen Stoßstange an Stoßstange. Doch einer hat eine Lücke gelassen. Diesen Spalt nutzt die Gepardenmutter und durchbricht die Wagenburg – mit den Kleinen im Schlepptau. Sie sind kaum größer als eine Hauskatze.

Dreiviertel der Fahrer werfen ihre Motoren an, rasen los, um der Gepardin den Weg abzuschneiden. Ein neuer Kessel bildet sich. Wir bitten unseren Fahrer zu den Gnus zu fahren. Ich hab’ keine Lust unter diesen Bedingungen zu fotografieren. Das ist reine Trophäenjagd für Menschen mit einer Abhakliste und überhaupt nicht mein Ding. Natürlich freue auch ich mich, die niedlichen kleinen Gepardenkinder gesehen und fotografiert zu haben, aber wie es dazu kam, gefällt mir überhaupt nicht.

Später erfahren wir, dass die Ranger die Wagenburg aufgelöst haben und da viele ohne Genehmigung (off-road-permit) außerhalb der Straße standen, müssen sie eine Strafe von umgerechnet 20 Euro zahlen. Viel Geld für kenianische Fahrer / Guides. Ach ja, ein Ballon mit 16 Passagieren im Korb schwebte auch noch über uns.

Massai Mara Landschaft mit Ballon

Am Nachmittag fahren wir in die andere Richtung und endlich sehe ich meinen Wunschvogel: den Sekretär. Er gehört zu den Greifvögeln, auch wenn er auf den ersten Blick nicht so aussieht. Er hält sich meist am Boden auf und schreitet mit seinen langen Beinen auf der Suche nach Großinsekten, kleinen Säugetieren und Schlangen erhaben durch die Savanne. Sein stattliches Nest baut der Sekretär auf einer Baumkrone – es ähnelt dem Nest eines Storches. Seine Bestände sind stark zurückgegangen, daher wurde der Sekretär von der IUCN als gefährdet eingestuft.

Am nächsten Morgen sind wir wieder bei den Katzen. Meine Bitte nach Vögeln im Morgenlicht wird überhört. Großkatzen sind morgens am agilsten, also fahren wir zu den Katzen. Die Gepardin ist heute deutlich entspannter. Sie läuft gemütlich des Weges, die vier Jungtiere turnen um sie herum. Sie läuft ein Stück die Straße hinunter und macht es sich dann auf einem Schotterhügel (Rest vom Straßenbau) gemütlich. Die Kleinen springen ausgelassen auf und über der Mutter und spielen miteinander. Dieses Mal stehen nur etwa 20 Fahrzeuge im Halbkreis, die Gepardin hat zumindest zu einer Seite freie Sicht. Keiner der Wagen ist Off-Road.

In Zoologischen Gärten oder Safariparks müssen Besucher:innen auch auf den Wegen bleiben; in begehbaren Volieren dürfen sie auch nicht beliebig zu den Flamingos in den Teich steigen oder zu Papageien auf den Baum klettern. Jedes Gehege ist per gesetzlicher Vorgabe so gestaltet, dass die Tiere eine Rückzugsmöglichkeit haben, einen Ort an dem sie nicht gesehen und nicht gestört werden. Ganz klar, Tiere in Aktion sind interessanter als schlafende Tiere oder gar nicht sichtbare Tiere. Aber müssen wirklich alle Besucher:innen Portraitfotos oder Fotos von jagenden Löwen / Geparden / Leoparden mit nach Hause bringen? Diese Art der Fotografie hat nichts mit Tierbeobachtung und Safari (=Reise) zu tun, das ist reines Abschießen. Ganz klar: Jede:r Reisende hat viel Geld für seine / ihre Reise ausgegeben und möchte natürlich auch (alle) Tiere sehen. Wer keine oder nur wenige Tiere sieht, fährt vielleicht nicht nochmals hin. Weniger Touristen bringen weniger Einnahmen, nicht nur für die Betreiber von Unterkünften und den Staat, sondern auch und vor allem für die Parks. Parks mit weniger Geld können weniger Ranger beschäftigen, dann könnte die Zahl der Wilderer wieder zunehmen – wie in Zeiten des Covid-19 Lockdowns. Es muss einen Mittelweg geben. So könnten zum Beispiel Fahrer / Guides strikt darauf achten, auf den Wegen zu bleiben. Auch sollten die Besucher:innen eine Einweisung in die Verhaltensweisen einiger Tierarten bekommen – einfach nur um sie zu sensibilisieren. (Auf den Galapagos Inseln habe ich es in dieser Art erlebt) Geparden und Leoparden zum Beispiel zählen laut IUCN zu den gefährdeten (endangered) Säugetieren.

Später am Tag haben wir noch das Glück, ein 22-köpfiges Löwenrudel beim Mahl zu beobachten. Sie sind entspannt und scheinen schon gut gesättigt zu sein. Eher spielerisch nagen die Jungtiere am Kadaver.

Noch dazu ist außer uns nur ein weiteres Fahrzeug da, aber na ja, Löwen sind halt Allerweltstiere, in jedem Zoo gibt es sie. Löwen sind wohl nicht so interessant. Außerdem sehen wir zwei Mal täglich Löwen, so dass wir am fünften Morgen sagen: „Schon wieder Löwen, bitte weiterfahren.“

Löwen vor Sonnenaufgang

Doch auch Löwen gelten mittlerweile als gefährdet. Bei Wikipedia lese ich, dass der weltweite Bestand zwischen 1993 und 2014 um 43 Prozent zurückgegangen ist! „Hauptursachen für den Rückgang sind neben Lebensraumzerstörungen direkte Verfolgung, insbesondere durch Viehhalter, die giftkontaminierte Kadaver auslegen, sowie der Verlust der Nahrungsbasis aufgrund von Wilderei für den zunehmend kommerzialisierten Handel mit „Buschfleisch“. Eine weitere wachsende Bedrohung für Löwen ist die Gewinnung von Körperteilen für die traditionelle Medizin in Afrika und Asien. Hinzu kommt eine teilweise unzureichend reglementierte Trophäenjagd.“ Krankheiten wie Staupe und Rinder-Tuberkulose minimieren die Bestände ebenfalls.

Afrikanischer Löwe

Am Nachmittag versucht unser Guide es nochmals mit Katzen. Ein Leopard sei auf Jagd und nur ein Auto sei vor Ort. Okay. Wir fliegen über die Piste zum Leoparden. Doch als wir als sechstes Auto eintreffen ist seine Beute umzingelt, der Leopard selbst hat sich in einen Graben verkrochen, da kommt kein Auto hin. Die Beute wird er wohl später holen, sofern Hyänen und Geier nicht schneller sind.

Hyänen und Geier sehen wir viele. An einem kaum noch erkennbaren Gnu-Kadaver zähle ich 48 Geier. Einige zerren und reißen an dem was noch vom Gnu übrig ist, andere scheinen gesättigt zu sein, vielleicht warten sie auch auf den Nachtisch.

Fünf Marabus umkreisen den Kadaver ebenfalls, jedoch zunächst mit gebührendem Abstand, die Geier dürfen zuerst fressen.

An einer anderen Stelle ist noch mehr von einem toten Gnu übrig. Hier sehen wir, wer zuallerst fressen darf: Hyänen. Erst wenn die Hyänen weg sind, stürzen sich die Geier auf den Kadaver.

Eine Hyäne hat sich einen Vorderbeinknochen geschnappt und entfernt sich vom toten Gnu.

Hyäne mit Fuß vom Gnu

Dann bleibt sie plötzlich stehen, scheint zu überlegen

Hyäne mit Fuß vom Gnu

und spurtet zurück zum Kadaver. Die Geier flüchten.

Hyäne mit Fuß vom Gnu

Ein Stück Wirbelsäule passt auch noch ins Maul, bevor es die Geier abnagen.

Hyäne mit Fuß vom Gnu

Zum Verdauen und zur Abkühlung nutzen ein paar Hyänen die Pfützen, die sich nach dem gestrigen Regen gebildet haben.

Sogar in den Fahrrillen unseres Weges liegt ein Tier. Zu dumm, dass wir gerade hierher fahren möchten. Widerwillig erhebt sich die Aasfresserin.

Am nächsten Morgen bekommt unserer Guide wieder einen Tipp: Ein Kumpel hat eine tote Antilope unter einem Busch entdeckt. Wir fahren sofort hin, mit dem Argument: da ist nur ein anderes Fahrzeug. Also wieder keine Vögel im Morgenlicht.

Antilpe unter Busch

Nur wenige Meter entfernt liegt er, entspannt im hohen Gras: Ein Leopard. Offensichtlich gerade erwacht beginnt das Tier mit der Morgentoilette.

Dann erhebt er sich und geht auf direktem Weg zum Busch. Es ist tatsächlich seine am Abend erlegte Beute.

Leopard

Er frisst eine Weile und geht dann zurück auf seinen Schlafplatz im hohen Gras. Niemand folgt ihm.

Am letzten Tag fahren wir endlich mit mehr Ruhe und Gelassenheit in den Nationalpark und können zum Sonnenaufgang noch ein Foto von zwei Geiern machen. Nur wenige Minuten dauert diese Stimmung an. Afrika pur.

Geier bei Sonnenaufgang

Das Massai Mara Naturschutzgebiet ist ein Teil der tansanischen Serengeti und ist etwa 1510 Quadratkilometer groß. Zum Vergleich: Das ist etwa eineinhalb Mal so groß wie Rügen. Das Massai Mara Reservat ist das tierreichste Schutzgebiet Kenias. Von September bis November ziehen große Herden Gnus, Zebras, Thomson-Gazellen und Elenantilopen durch die Massai Mara und wandern über den Mara River zurück in die Serengeti. Nicht nur Großkatzen leben in der Massai Mara!

So sehen wir jetzt, im September, tausende Weißbartgnus, die hier das frische Grün abzupfen. Doch das Gras hier hat einen schweren Phosphormangel, daher müssen die Gnus mit Beginn der Regenzeit im November in die Serengeti zurückkehren.

Auch Vogelfreunde kommen in der Massai Mara auf ihre Kosten. Besonders im Galeriewald entlang des Mara und des Talek Rivers werden wir fündig.

Zum guten Schluss noch einige Landschaftsaufnahmen. Wir sind fasziniert von den dicken, dunklen Regenwolken über der Weite der Steppe. Unser Guide hält für Landschaftsaufnahmen nur nach energischen „Stop“-Rufen an. Ist halt nur Landschaft und keine Großkatze.