Mahé. Eine 155 km² große Insel im Indischen Ozean, etwas kleiner als Fehmarn. Steile, mit dichtem Grün bewaldete Granitberge und beinahe ringsherum Strände aus schneeweißem feinstem Sand. Mahé ist die größte Insel der Seychellengruppe und weitaus lebhafter als die kleineren Nachbarinseln Pralin und La Dique. Auf Mahé wohnen mehr als 90 Prozent der Seychelloise. Die Hauptstadt Victoria – von den Engländern zu Ehren ihrer damaligen Königin so benannt – besticht durch Tradition und Moderne. Vom zentralen Busbahnhof fahren die Busse in beinahe jeden Winkel der Insel. Meist stündlich, oder zweistündlich, manche auch halbstündlich.
Die meisten Tourist:innen kommen zum Sonnen, Baden, Schnorcheln auf die Seychellen – ich hingegen möchte Wandern. Der höchste Berg, der Morne Seychelloise, ist 905 Meter hoch. Will ich das? Nein. Er verhüllt sich ohnehin meist mit seinem dicken Wolkenmantel.
Anse Mayor
Ich fange gemütlich an. Ein Küstenwanderweg zu einem malerisch gelegenen Strand: Dem Anse Mayor. Er ist nur zu Fuß oder mit dem Boot zu erreichen. Wie die meisten offiziellen Wanderwege auf Mahé ist auch dieser gebührenpflichtig. Umgerechnet 10,50 Euro kostet der Eintritt. Bereits morgens um acht Uhr ist das Kassenhäuschen besetzt.
Dafür wird die üppige Vegetation vom Weg ferngehalten und es gibt etliche Infotafeln mit Hinweisen zur endemischen Fauna und Flora. Ich bin allein unterwegs und genieße die Ruhe und das morgendliche Trällern der Vögel. Eine andernorts scheue Paradies-Fruchttaube ist hier wohl an Menschen gewöhnt und lässt sich durch mich nicht bei ihrem Frühstück stören. Diese Fruchttaube ist endemisch – sie kommt nur auf den Seychellen vor.
Auch dieser blattlose grüne langweilige Stängel, der über den nackten Fels kriecht, ist eine Pflanze – eine epiphytische Orchidee, die nur auf den Seychellen vorkommt: Wilde Vanille (Vanilla phalanopsis). Sie ist blattlos, bis auf winzige Blättchen an den geraden Spitzen und soll eine der schönsten Blüten der Seychellen hervorbringen.
Ich marschiere weiter. Der Weg ist gut ausgebaut und bequem zu laufen. Jedenfalls die erste Hälfte. Da kommen mir tatsächlich drei bewaffnete Menschen entgegen. Alle drei tragen Macheten. Es ist der Gärtnertrupp. Amelie, Lizzi und Rainer haben gerade einen heruntergefallenen dicken Ast vom Weg geräumt. Wir kommen ins Gespräch: Rainers Sohn studiert in Frankfurt am Main. Die Welt ist manchmal wirklich klein.
Überall liegen dicke Steinbrocken in der Landschaft. Hin und wieder ragen große, kahle und glatte Glacis-Felsblöcke aus dem Grün hervor. Sie sind typisch für Mahe und es gibt sie in allen Höhen- und Hanglagen. Sonne und Regen haben hier über Jahrmillionen ganze Arbeit geleistet. Die Glacisblöcke sind abgerundet, Schichten blättern von der Oberfläche ab, zarte Rinnen bis tiefe Furchen laufen von oben nach unten. In diesen Furchen sammelt sich Regenwasser, Pflanzensamen keimen und wachsen.
Später führt der Weg durch dichten Wald und es wird mühsamer. Außerdem muss ich ein paar Hundert Meter absteigen. Zwischendurch nutze ich eine aussichtsreiche Bank zur Rast und am Ende des Wanderweges wartet ein wunderschöner, heimeliger sanft abfallender Sandstrand.
Als gegen 11 Uhr die ersten Jugendlichen mit einem lauten Ghettoblaster kommen, mache ich mich auf den Rückweg.
Morne Blanc
An einem sonnigen, prognostiziert regenfreien Tag nehme ich mir den 675 Meter hohen Morne Blanc vor. Der Wanderweg ist 800 Meter lang. Nein, es fehlt keine Null, hin und zurück 1,6 Kilometer. Lachhaft, oder? Das ist daheim mein Weg von der S-Bahn nach Hause. Also ein Spaziergang. Hier brauche ich 45 Minuten dafür, lege nicht einmal einen Fotostopp ein und schwitze mindestens einen Liter Wasser aus. Gefühlt jedenfalls. Ich will vor den Wolken auf dem Gipfel sein. Es geht über angelegte Stufen, Steinbrocken, Wurzeln steil berghoch. Nur berghoch. Zwei Mal muss ich meinen Rucksack und die Kamerabauchtasche ablegen, um besonders hohe Stufen oder enge Stellen zwischen Steinbrocken hochzuklettern. Die Temperaturen sind saunagleich, schon nach wenigen Metern läuft mir der Schweiß von der Stirn in die Augen. Gut, dass ich meinen Buff zur Hand habe, ein äußerst vielfältiges Kleidungsstück. Als Schweißtuch hatte ich dieses bisher noch nicht genutzt. Für die Aussicht lohnt die Anstrengung allemal.
Trois Frères Distillery
Am nächsten Tag mache ich Kontrastprogramm. Es gibt auf den Seychellen die Trois Frères Distillery, dort möchte ich Rum verkosten. Dazu fahre ich mit dem Bus von der Hauptstadt Victoria die Ostküste entlang bis zum Anse Aux Pins. Sonne, blauer Himmel, weiße Wölkchen und weißer Strand so weit das Auge reicht. Strandkörbe oder Sonnenschirme sind überflüssig – den Schatten spenden Palmen und Takamakabäume.
Doch Takamaka heißen nicht nur Bäume, es gibt auch Rum mit dieser Bezeichnung. Die beiden Brüder Richard und Bernard pachteten von der Regierung vor etlichen Jahren eine ehemalige Kokosplantage. Sie hatten die Idee, hier Rum zu destillieren, was ihnen nach zwei experimentierfreudigen Jahren auch gelang. Seit 2002 wird Takamaka-Rum produziert. Das dafür benötigte Zuckerrohr liefern Kleinbauern, große Plantagen gibt es auf den Seychellen nicht, dafür fehlt der Raum. Der größte Teil der Zutaten ist Melasse; sie wird aus der Karibik importiert. Wie kamen die Brüder auf den Namen Takamaka als Markenname? „Egal welche Sprache Du sprichst – Takamaka kannst Du aussprechen und es klingt spannend“, ist die Antwort. Ich kenne Rum bislang nur aus Schokoladenkugeln und buche um 11 Uhr morgens eine Führung mit anschließender Verkostung. Für mich gibt’s drei Sorten alten Rum (>40%), einen Schluck „Ladies best“ Zannannan (>20%, schmeckt so mild wie Fruchtsaft) und ein winziges Schlückchen 69 Prozentigen. Den kann man allenfalls zum Flambieren nehmen…
Danach laufe ich direkt, immer noch aufrechten Ganges, einen der Foodtrucks im Garten an, um den Alkohol mit einer Art Hamburger aufzusaugen. Es gibt auch einen verlockend aussehenden Cocktailtruck, aber das lasse ich für heute, ich muss schließlich noch in den richtigen Bus zurück in meinen Übernachtungsort Bel Ombre steigen.
Jardin du Roi
Der Jardin du Roi liegt gut einen Kilometer von der Bushaltestelle (Richtung Anse Lazar) entfernt. Es geht steil den Berg hoch. Wie meist auf dieser Insel. Ich schwitze wieder mal ordentlich. Hinter mir bemerke ich einen weißen Pick-Up, der sehr langsam den Berg hochfährt. Der Fahrer bläst kontinuierlich in ein Muschelhorn. Die Ladefläche des Pick-ups ist beinahe leer, nur eine Kühlbox steht verloren hinter dem Fahrerhaus. Ich frage mich was er wohl sammelt – wie ein Schrottsammler sieht er nicht aus. Wer fragt gewinnt, denke ich und halte ihn kurzerhand an. Louis ist Fischer und hat frischen Fisch zum Verkauf in der Kühlbox. Mit dem Muschelhorn macht er die Anwohner auf sich aufmerksam. Gerade hat er Fisch im Restaurant des Jardin du Roi abgeliefert. Wir unterhalten uns kurz und schon habe ich eine Einladung zum Fischessen bei ihm zu Hause. Leider fehlt mir dazu die Zeit, denn am nächsten Tag fliege ich gen Heimat. Wir vertagen das bis ich in zwei Jahren wiederkomme. Seine Telefonnummer bewahre ich in jedem Fall gut auf.
Manches Mal habe ich auf Mahé gedacht, dass ein Mietwagen praktisch wäre. Die Busse sind alt, laut und lang unterwegs, ein Auto wäre angenehmer. Es würde mir auch den beschwerlichen Weg auf den Berg ersparen – aber solche Begegnungen hast Du nur, wenn Du zu Fuß unterwegs bist.
Wer Gärten mag sollte sich den Jardin du Roi nicht entgehen lassen und den mit umgerechnet 18,- Euro teuren Botanischen Garten von Victoria links liegen lassen. Der gepflegte Jardin du Roi wurde von den Franzosen als Gewürzgarten angelegt. Die Franzosen hatten 1742 die bis dahin unbewohnten Inseln zu ihrem Besitz deklariert und betrieben von hieraus ziemlich erfolgreichen Sklavenhandel. Menschen aus Afrika wurden auf den Seychellen und asiatischen Ländern als unbezahlte Arbeitskräfte eingesetzt / gehalten. Knapp 80 Jahre später stellten die Engländer Besitzansprüche. Die Inselgruppe wurde übergeben und das lukrative Sklavengeschäft wurde nun von den Briten übernommen. 1836 erfolgte die Abschaffung des Sklavenhandels. Viele der ehemaligen Sklaven bleiben auf den Plantagen, wurden jetzt jedoch für ihre Arbeit bezahlt. In den nachfolgenden Generationen vermischten sich aus Afrika, Europa und Asien stammende Menschen – so entstand die heutige kreolische Gesellschaft.
Nach dieser Exkursion in die Geschichte der Seychellen zurück zum Jardin du Roi. Der Garten liegt malerisch hoch oben an einem Berghang. Im Eintrittspreis von 15,- Euro ist eine Broschüre und ein Faltblatt mit Nummern und Pflanzennamen enthalten. Im Garten selbst hat beinahe jede Pflanze ein Nummernschild. Ein überaus lehrreicher Garten; mit allerlei Gewürz- und Heilpflanzen wie Vanillle, Muskat, Zimt, Ingwer, Obstbäumen, Zierpflanzen, Stelzenbäumen und einem Gemüsegarten. Daneben gibt es einige Aldabra-Riesenschildkröten und Bülbüls. Beide sind auf den Seychellen endemisch. Das ehemalige Gutshaus kann ebenfalls besichtigt werden.
Daneben gibt es ein luftiges Restaurant / Cafe mit Blick auf’s tief unten liegende Meer. Das Essen ist hervorragend! Ich verspeise ein traditionelles Fish-Curry mit Banane und Kokosmilch. Allein dafür hat sich der Fußmarsch auf diesen Berg gelohnt.
Victoria
Was gibt es sonst noch auf Mahé? Die Hauptstadt natürlich. Die kleinste Hauptstadt der Welt, so heißt es in meinem Reiseführer. In jedem Fall einen Besuch wert ist der Fisch-, Obst- und Gemüsemarkt, der Sir Selwyn Selwyn-Clake Market. Morgens ist am meisten los. Am besten gefällt mir die Symbiose, welche die Fischverkäufer und die Kuhreiher offensichtlich eingegangen sind. Die Reiher stolzieren zwischen der Fischauslage umher, picken Fliegen und Fischgedärm und hin und wieder bekommen sie auch ein Fischchen.
Dann gibt es noch den alten Friedhof von Bel Air. Es ist der erste Friedhof auf den Seychellen und ist Nationaldenkmal. Hier ruhen die ersten Siedler und sogar ein Freibeuter.
Aussichtsberg Copolia
Wer von oben auf Victoria schauen möchte, darf wieder arbeiten. Ich bin zum Wandern gekommen und mache das alles freiwillig. Der Bus bringt mich auf halbe Höhe, jetzt muss ich nur noch 242 Höhenmeter hinter mich bringen. Doch zuerst: Eintritt zahlen und in ein dickes Buch eintragen. Zuerst führt der Weg über Treppen den Berg runter … um dann durch dichten Wald stetig hinaufzuführen. Der Weg ist besser und leichter zu laufen als der auf den Morne Blanc, aber dennoch schweißtreibend. Oben angekommen wirst Du nicht nur mit der großartigen Aussicht belohnt, sondern auch mit einem ganzen Feld voller Kannenpflanzen. Alle endemisch, diese Art kommt nur auf den Seychellen vor.
Beau Valon
Für strandhungrige Urlauber empfehle ich den langen Strand von Beau Valon. Hier steht eine Hotelanlage neben der nächsten, aber das macht nichts. Selbst wer nicht in einer der Anlagen wohnt, kann am Strand entlang wandern, sich sonnen oder baden gehen. Alle Strände auf den Seychellen sind öffentlich zugänglich, es gibt keine Privatstrände. Selbst die Täubchen nutzen den Strand um ihre Flügel nach dem Regen zu trocknen.
Wer Lust auf eine Tour zum Schnorcheln hat oder eine der anderen kleinen Inseln besuchen möchte, findet auf der Touristenmeile etliche Touranbieter. Jimmy spricht sogar gut Deutsch, er hat drei Jahre in Marburg gelebt.
Der Strand von Beau Valon ist außerdem ein beliebter Ort zum Heiraten und für Feiern aller Art. Nicht nur für reiche und weniger reiche Touristen. Ich treffe auf eine Gruppe Seychelloise die sich gerade zu einem Gruppenfoto formieren. Alle sind festlich in weiß oder rot gekleidet. Sie sehen in meinen Augen so großartig aus, dass ich meine Scheu überwinde und frage, ob ich auch ein Foto machen darf. Sie können mein Anliegen kaum glauben und lachen sich halb schlapp. Ja klar, darf ich sie fotografieren. Sie feiern die Erstkommunion des Mädchens in der Mitte.
Bel Ombre
Während ich auf Pralin und La Dique in Ferienwohnungen übernachte, bin ich auf Mahé in einem Hotel (Casadani in Bel Ombre) und gehe jeden Abend essen. Meist ergattere ich meinen Lieblingsplatz und sauge den Blick auf’s Meer förmlich in mich hinein. Es ist sooo schön. Und dann sind da die Menschen, die dafür sorgen, dass es mir so gut geht:
Ravi, der Koch kommt aus Nepal; Abu, der Kellner und Concierge ist aus Bangladesch. Beide arbeiten nur hier auf Mahé, ihre Familien sind in den jeweiligen Heimatländern. Alle zwei Jahre fahren sie für zwei bis drei Monate nach Hause. Im Dienst sind sie immer, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. „Um die Mittagszeit haben wir frei“, erklärt mir Abu … Uns geht es ziemlich gut in Deutschland, oder?
Zum Schluss noch ein paar Impressionen aus Victoria, dem Botanischen Garten, den Ruinen von Venn’s Town und den Stränden bei Port Launay.
Gebucht hatte ich die Reise über Seyvillas; diese Organisation kann ich uneingeschränkt empfehlen, sowohl in der Vorbereitung als auch vor Ort habe ich nur gute Erfahrung gemacht.