Die Königsetappe in Raumsau am Dachstein

Durch die Silberkarklamm über das Guttenberghaus zurück nach Kulm (Ramsau)

Der letzte Tag des österreichischen GEO-RC-Treffs beginnt mit strahlend blauem Himmel.  Mein Zug über Salzburg und München nach Wuppertal fährt erst um 18 Uhr, somit habe ich als einzige noch den ganzen Tag zur Verfügung. Das Wetter ist ideal für die so genannte Königsetappe. Die Kurzbeschreibung des Tourismusverband Ramsau am Dachstein zu diesem Wanderweg liest sich wie folgt: „Prachtvolle Berge, wildes Wasser, 14,2 Kilometer Länge, 1470 Höhenmeter, 25000 Schritte.“ Will ich das?! Ja. Die Gehzeit ist mit 6-8 Stunden angegeben. Das sollte ich schaffen. Das muss ich schaffen. Roland, der Bergführer von unserem Übernachtungshotel Annelies, rät mir, den Weg in umgekehrter Richtung zu laufen als offiziell beschrieben. Im Nachhinein betrachtet eine sehr gute Idee. Während die anderen Teilnehmer noch gemütlich frühstücken oder gar schlafen, fährt mich Niko – der Mann für beinahe alles des Hotels Annelies – zum Parkplatz an der Silberkarklamm (1040 m). Das spart drei Kilometer. Zum Glück haben wir die Wildwasserschlucht schon zu Beginn des Treffs durchwandert, so dass ich nur wenige Fotostopps einlegen muss. Ganz verzichten kann ich nicht, denn bei anderem Licht sieht es auch anders aus.

Der Weg ist über Treppen und Stege gut zu laufen. Nach 45 Minuten bin ich bereits an der Silberkarhütte, einer uralten Alm und Schutzhütte. Früher mussten alle Lebensmittel und Getränke durch die Klamm hier hinauf transportiert werden, doch seit 1973 gibt es eine Materialseilbahn. Schon morgens um 9 Uhr wird hier leckere Buttermilch vom eigenen Bauernhof serviert. Die Silberkarhütte liegt 210 Höhenmeter über meinem Ausgangsort – mir fehlen also „nur“ noch 1190 Höhenmeter. Von nun an führt ein Pfad, teils durch niedere Kiefern teils über freie, rutschige Fläche stetig bergan. An einigen Stellen ist der Weg ausgesetzt, es geht steil bergab. Nur nicht nachdenken. Wenn ich das Gleichgewicht verlöre und den Hang hinunterpurzelte, verlöre ich wertvolle Höhenmeter, meine Kamera, verpasste den Zug und vielleicht den Rest des Lebens; aber daran denke ich einfach nicht. Schwitzend und schnaufend wie eine Dampfmaschine kämpfe ich mich Meter für Meter höher. Die Silberkarhütte liegt nun tief unter mir.

Die Sonne brennt, die Hosenbeine verschwinden zum ersten Mal auf dieser Reise im Rucksack, den Hut setze ich auf. Früher wurde der Weg übrigens von Schmugglern benutzt. Wer jetzt an Alkohol oder andere Drogen denkt liegt falsch: Es wurden Bibeln, Gesang- und Andachtsbücher von Bayern nach Österreich geschmuggelt. Sächsische Knappen, die in den Schladminger Tauern arbeiteten, hatten bereits im frühen 16. Jahrhundert lutherische Bücher und Schriften in die Ramsau gebracht. Zum Ende des 16. Jahrhunderts griff die Gegenreformation des streng katholischen Habsburgerhauses mit aller Härte durch; die Bevölkerung wurde zum Katholizismus gezwungen. Es gelang den Habsburgern jedoch nicht, das protestantische Leben auszulöschen. Andachten wurden heimlich gehalten und Bücher wurden über die Berge geschmuggelt.

Königsetappe

Endlich, nach etwa zwei Stunden Aufstieg teilt sich der Weg. Hier treffen der Fernwanderweg 618 und 619 aufeinander. Unübersehbar steht ein Wegweiser in der Mitte der Gabelung. Die Beschilderung im gesamten Ramsaugebiet ist hervorragend. Eines der Schilder weist auf einen Abstecher zum Silberkarsee, nur 15 Minuten hinunter in die Hochebene (und mindestens 30 Minuten wieder hinauf), aber da ich nicht weiß, was mich sonst noch an Wegbeschaffenheit erwartet, hebe ich mir den See für das nächste Mal auf. Die Beschreibung spricht von einem „hochalpinen Weg“ – was das bedeutet weiß ich nicht, der Weg sieht jedoch so aus als ob er gut zu laufen wäre. Das Plateau ist leicht hügelig mit satt grünen Wiesen auf denen Schafe grasen, Latschenkiefern säumen die Ränder.

Ich gönne mir eine Apfel- und Trinkpause und wandere auf dem Weg Nr. 618 Richtung Guttenberghütte weiter. Ich bin jetzt auf 1900 m – von nun an geht es nur noch mäßig den Berg hoch, das ist nicht mehr so anstrengend. Denke ich. Doch es wird sehr felsig. Die Felsen sind alle paar Meter rot-weiß-rot markiert, ich erkenne gut wo ich herlaufen soll. Teilweise muss ich meine Hände zu Hilfe nehmen um die dicken Steine hinauf und wieder hinunter zu krabbeln. Es ist nicht absturz-gefährlich, aber doch anstrengend und vor allem komme ich langsamer voran als gedacht.

Dann liegt das erste kleine, überschaubare Schneefeld vor mir. Ein paar Wanderer sind hier schon gelaufen und die Spur ist deutlich erkennbar. Bisher ist mir nur ein Wandererpaar entgegen gekommen, doch jetzt traue ich meinen Augen kaum: Ein Vater und sein etwa 10-12 jähriger Sohn kommen mir joggend entgegen. Wenig später folgt eine sportliche junge Dame mit einem Hund. Der Hund könnte auch als hochbeiniges Meerscheinchen durchgehen, aber seinen kurzen Beinchen scheint das Terrain nichts auszumachen. Ich bin beeindruckt und stöhne jetzt nicht mehr über die Mühsal. Ich habe mich freiwillig zu dieser Tour entschlossen, der Hund wahrscheinlich nicht.

Die Landschaft ist gigantisch: graues Gestein, grüne Wiesenflecken, leuchtend blau blühender Enzian eng am Boden, weiße Schneefelder und über mirKönigsetappe blauer Himmel.

Nach dreieinhalb Stunden (ab Silberkarhütte) stehe ich unmittelbar oberhalb des Guttenberghauses. Das Haus liegt auf 2164 m und ist damit die höchst gelegene Alplenvereinshütte Österreichs.

Die Aussicht hinab ins Raumsauer Tal und hinüber zu den Niederen- und Schladminger Tauern ist atemberaubend. Ich liege gut in der Zeit, für den Abstieg sind knapp zwei Stunden angegeben und ich habe noch vier Stunden bis der Zug kommt. Ich könnte jetzt – wie offiziell vorgeschlagen – noch „geschwind“ den Hausberg des Guttenberghauses, den Sinabell, hinauf wandern, doch diese 200 Höhenmeter spare ich mir. Ich habe Hunger und nur noch einen von den mitgenommenen zweieinhalb Litern Wasser  – ich muss jetzt erst mal nachladen. Im Guttenberghaus gibt’s für mich einen großen Teller Linsensuppe mit Bratkartoffeleinlage und ½ l Schiwasser (Quell/Leitungswasser mit Himbeere oder Holunder). Am Nebentisch wird Bergsteigergröstl (Bratkartoffeln) serviert – die Spezialität des Hauses.

Der Fernwanderweg Nr. 616 führt in etlichen Kehren zurück ins Tal. Der Weg ist breit, neu angelegt und gut sichtbar. Allerdings ist er geschottert, jeder Tritt muss wohl ausbalanciert werden.

Ich lasse mir Zeit, fotografiere und trinke. Während meine Beinmuskeln langsam zu Pudding werden, halte ich meine Stimmung hoch mit dem Gedanken an Apfelstrudel mit Schlag (=Sahne), einem verlängerten Schwarzen (Kaffee) und einem „Eimer“ Schiwasser. Auch wenn ich die avisierten 1400 Höhenmeter auf nur 1200 reduziert habe, bleiben immer noch 1200 Höhenmeter, die ich hinunter steigen muss. So oder so. Nach 7 ½ Stunden einschließlich Pause habe ich es geschafft. Zurück im Hotel Annelies bleibt genug Zeit den Kuchen zu genießen. Die Tour war anstrengend, ich habe vier Liter Wasser vertilgt, aber ich bereue nichts. Empfehlen kann ich sie erfahrenen Wanderern und Bergziegen. Als Ausgangsort für Wanderungen und andere Aktivitäten auf dem Ramsauplateau ist das Hotel Annelies eine hervorragende Wahl. Nicht nur der Standort ist gut sondern auch das Essen ist ein kulinarisches Highlight und der Bring- und Abholservice von gestrandeten Wanderern ist kaum zu überbieten.

Für Nachahmer empfehle ich das Hotel Annelies: www.hotel-annelies.at

Zur Inspiration gibt’s hier noch ein paar Fotos von Wanderungen zum Dachstein, Jungfernstieg, Riesachsee, 5-Hütten-Weg.

Auf dem Höhenweg zur Silberkarklamm und weiter zur Königsetappe

Fotos einer Wanderung rund um Ramsau und den Kulmberg

Fotos vom 5-Hütten-Weg

Fotos vom Jungfrauenstieg

Fotos einer Tour zum Riesachsee