Artenschutz und Auffangstation
Ich reiste nach Kambodscha um die Tempelanlage von Angkor Wat zu sehen. Zugegeben, die Tempelanlage ist beeindruckend, aber mindestens genauso spannend fand ich den Besuch des Angkor Centre for Conservation of Biodiversity, kurz ACCB. 90 Minuten dauert die erfrischende Fahrt mit dem knatternden Tuk-Tuk (Motorradrikscha) von Siem Reap zum ACCB und wer möchte kann unterweg den Tempel von Banteay Srei und Kbal Spean besuchen.
Für die meisten der etwa 340 tierischen Bewohner ist der ACCB nur eine Zwischenstation. Von der Forstbehörde beschlagnahmt stammen sie größtenteils aus illegalem Wildtierhandel und illegaler Jagd. Im ACCB werden sie eingehend auf Krankheiten untersucht und je nach Art verbringen sie bis zu mehrere Monate in Quarantäne. Sind die Tiere in körperlich guter Verfassung, werden sie an geeigneten und sicheren Orten, unter Einhaltung internationaler Standards, wieder ausgewildert – inklusive Nachbetreuung und Monitoring.
Doch nicht alle Tiere, die ins ACCB gebracht werden, sind zur Auswilderung geeignet. Stammen sie aus Haustierhaltung oder haben sie ein Handicap, bleiben sie im Center. Da ist zum Beispiel der beinahe 180 cm große Saruskranich. Er kam als Jungvogel ins ACCB und ist derart an Menschen gewöhnt, dass er in freier Wildbahn keine Überlebenschance hätte. Ziemlich munter bis aufdringlich begrüßt er „tanzend“ meinen Guide. Oder der Nebelwaran, der ohne Fingernägel von einem Markt gebracht wurde, der Burma Sonnendachs, der als Baby einem Hund zum Opfer fiel und das Stachelschwein, das in eine Pension spazierte. Hornvogel George der manche Männer nicht mag, eine einbeinige Kappengibbondame, die laut rufend auf einem Baum ihres Geheges sitzt und so Besucher begrüßt (oder meint sie vielleicht ihren männlichen Artgenossen gegenüber?). Insgesamt leben sieben Kappengibbons im ACCB, die drei weiblichen Tiere bewohnen ein 1/2 ha großes Waldgebiet, das durch einen Elektrozaun gesichert ist. Um Besuchern und Tieren gerecht zu werden, sind langfristig einige Umbauten geplant. Für die Gibbons ist eine Affeninsel angedacht – wenn genügend Geld da ist. Die 23 Makaken (10 Nördliche Schweinsaffen und 13 Javaneraffen) sollen in ein großes Gehege im Eingangsbereich umziehen. Da sie aus Haustierhaltung stammen sind sie an Menschen gewöhnt und zur Auswilderung ungeeignet. Aber als „Vorzeigetiere“ für Besucher eigenen sie sich wunderbar, zumal sie keine Scheu vor Fremden haben, sondern vielmehr ihnen neugierig interessiert entgegen sehen.
Von Hand aufgezogene Tiere eignen sich ebenfalls meist nicht zur Auswilderung, aber möglicherweise zur Zucht. So zum Beispiel die Silberlanguren (Trachypithecus germanini). Die Babys der Silberlanguren mit ihrem wollig-wuscheligen organgefarbigen Fell sind als niedliche Haustiere sehr beliebt. Die Mütter landen mitunter im Kochtopf während das Baby als Haustier gehalten wird. Doch meist werden sie fehlerhaft ernährt. Der Magen von Silberlanguren besteht aus mehreren Kammern, die sie zum Verdauen ihrer rein pflanzlichen Blattkost benötigen. Zucker und säurehaltige Nahrung wie Obst bekommt ihnen hingegen gar nicht. In sehr schlechtem Gesundheitszustand kam ein solches Baby zum ACCB und wurde hier mit einer Mischung aus Eichenrindentee und H-Milch groß gezogen. Silberlanguren sind tagaktiv und leben in dichtem Urwald. Durch die Zerstörung dieses Lebensraumes sind sie in ihrer Existenz bedroht.
Zum Brut- und Zuchtprogramm gehören weiterhin 12 Wollhalsstörche (Ciconia episcopus) und zwei weibliche Riesenstörche (Ephippiorhynchus asiaticus). Der Bestand an Riesenstörchen in Asien gilt nach IUCN als potentiell gefährdet. Vermutlich in keinem Zoo Europas werden diese Vögel gehalten! Dann schreitet noch ein Riesenibis erhaben durch’s Gehege. Der Riesenibis ist der Nationalvogel Kambodschas und wahrscheinlich der einzige in Gefangenschaft gehaltene Vogel. Er wurde von einer Steinschleuder erwischt und ist seither flugunfähig.
Nebenan sitzt eine Sunda-Marabudame (Leptoptilos javanicus) auf ihrem Nest – durch ein winziges Loch im grünen Sichtschutzzaun erhascht der Besucher einen Blick. Von den 23 adulten Sundamarabus gibt es gerade zwei Paare mit Küken und Eiern. Der Sunda-Marabu steht ebenfalls auf der Roten Liste und wird von der IUCN als gefährdet eingestuft.
Daneben bietet das ACCB ein Zuhause für vier Große Marabus auch Große Adjutanten (Leptoptilos dubius) genannt. Dieser einst so häufig vorkommende „asiatische Vetter“ des Afrikanischen Marabus wurde durch den Verlust von Brut- und Lebensraum an den Rand der Ausrottung gebracht; er brütet nur noch in Assam und Kambodscha.
Außerdem leben gut 230 Schildkröten im ACCB. Ein weiträumiges Gehege wird von Gelbkopfschildkröten (Indotestudo elongata) bewohnt. Die durchschnittlich 3,5 kg schwere Gelbkopfschildkröte ist die einzige Landschildkröte Kambodschas. Obwohl ihre Art auf der CITES-Liste Anhang II geführt wird, wird sie gehandelt – für die Suppe. 34 Jungtiere aus Gelegen von mehreren Paaren schlüpften 2015 in den Gehegen. Für die Gelkopfschildkröten wurde eigens ein neues Gehege gebaut. „Zum Glück“, sagt Michael Meyerhoff der derzeitige Kurator, „sind Schildkrötenanlagen nicht so kostspielig wie Vogelvolieren. Mit 500 Ziegelsteinen sind schnell in Eigenarbeit einige Mauern zu dachlosen Kammern und Gängen gezogen. Es ist ganzjährig warm in Kambodscha, Dächer oder Hütten sind nicht notwendig. So können die Jungtiere mit viel Platz groß gezogen werden; wenn sie mit fünf Jahren erwachsen sind, sollen sie ausgewildert werden.
Doch was sind eine handvoll ausgewilderte Schildkröten, wenn sie doch nur wieder für die Suppe gefangen werden? Eine wesentliche Aufgabe sieht das ACCB daher in der Aufklärung und Sensibilisierung der kambodschanischen Bevölkerung. Drei fest angestellte, einheimische Lehrer des ACCB geben mehrmals pro Woche an Schulen in der Umgebung Unterricht, aber vor allem ist Erwachsenenbildung notwendig. Dem Argument „das war schon immer so, das hat mein Großvater schon so gemacht“ ist schwer beizukommen. Viele Tiere, wie beispielsweise das Schuppentier (Manis javanica) oder der Plumplori (Nycticebus bengalensis), werden in Kambodscha wegen ihrer Haut bzw. ihrer Sekrete für die traditionelle Medizin für viel Geld gehandelt. Beide Tiere stehen auf der Roten Liste.
Tempelschildkröten (Heosemys annandalii) werden von Einheimischen gern gefangen und den Mönchen als Opfergeschenk dargebracht. Die meisten Kambodschaner sind gläubige Buddhisten; das Beschenken von Mönchen gehört zum täglichen Leben und das damit verbundene „Sammeln von Pluspunkten“ für’s nächste Leben ist in ihrem Glauben tief verankert. So setzen die Mitarbeiter des ACCB verstärkt auf die Aufklärung von Mönchen, zumal diese großen Einfluss und Ansehen in der Bevölkerung haben.
Getragen wird das ACCB durch den Allwetterzoo Münster und Dr. Stephan Götz über die Stiftung Artenschutz. Hinzu kommen viele große und kleine Einzelspender wie die ZGAP (Zoologische Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz), die Welttierschutzgesellschaft und die vielen Besucher mit ihren Eintrittsspenden.
Das Angkor Centre for Conservation of Biodiversity (ACCB) wurde 2002 nach einer Idee des 1999 verstorbenen kambodschanischen Biologen Sam Veasna gegründet. Es liegt am Rande des Archäologischen Parks Angkor, etwa 42 km nördlich von Siem Reap. Das Areal ist insgesamt 25 ha groß wobei nur 14 ha innerhalb des Zauns liegen. Täglich, außer sonntags, werden zwei Führungen gegen eine obligatorische Spende von mindestens 3 $ pro Besucher angeboten. Außerhalb der Führung ist das Center nicht zugänglich, für Gruppen gibt es Sondervereinbarungen.
Weitere Informationen: www.accb-cambodia.org