Gefiederte Schönheiten

Modelshooting mit Zwergohreule und Rotfußfalke

Noch ist es stockfinster draußen, an diesem Samstagmorgen im September. Wir, vier Fotofreunde, haben uns in Zelezná Ruda (Tschechien) getroffen, um Eulen und Greifvögel hautnah zu fotografieren. Verabredet sind wir dazu mit dem tschechischen Fotografen Jan Broz. Wir fahren mit dem Auto durch die Dämmerung auf der Landstraße E53 für etwa 20 Minuten bis wir einen grauen Van am Straßenrand sehen sollen. So lautet jedenfalls die für uns als Städter unspezifische Wegbeschreibung. Wir sind etwas unsicher, doch tatsächlich steht da nach einigen Kilometern in für uns unbekanntem Gelände mit Ortsnamen die wir nicht richtig lesen geschweige denn aussprechen können, ein grauer Van an der Straße. Jan Broz begrüßt uns mit strahlendem Lächeln in sehr gutem Deutsch. Er hat einige Jahre in München studiert und ist heute mit Falkner Václav hierhergekommen um uns seine Topstars vorzustellen. Es wird ein Modelshooting der besonderen Art in der idyllischen spätsommerlichen böhmischen Landschaft.

Landschaft Böhmerwald
Böhmerwald

Zuerst wird der einheitlich dunkelbraune Steinadler aus dem Auto geholt. Bevor er auf dem Ast einer freistehenden Birke platziert wird, werden seine Schwanzfedern geputzt. Die Sonne ist gerade aufgegangen und taucht Landschaft und Adler in warmes Licht. Der majestätische Vogel war einst in ganz Mitteleuropa heimisch, wurde jedoch systematisch gejagt, so dass er heute in Deutschland nur noch in den Alpen vorkommt. Wir fotografieren das etwa einen Meter große Tier von allen Seiten, sogar mein Makroobjektiv hole ich hervor. Der Vogel sitzt ruhig aber wachsam und schaut jeweils in die Richtung in der ihm seine Belohnung für das Ende der Session gezeigt wird – ein totes Eintagsküken. Im Gegensatz zum Modelshooting mit Menschen kann ein Tier allenfalls dazu bewegt werden in eine bestimmte Richtung zu schauen, aber wann und wie lang es das tut, bestimmt das Tier.

Danach werden die Vögel kleiner. Ein Raufußkauz und eine Zwergohreule werden gebracht. Der Raufußkauz hat befiederte Zehen und gehört mit 21-28 cm Größe zu den kleinsten Eulen. Er ist Höhlenbrüter und nutzt gern alte Schwarzspechthöhlen als Ruhe- und Brutplatz. Er bewohnt Nadelwälder. Damit wir das Tier naturnah fotografieren können, setzt Václav es in eine Baumhöhle. Doch statt sitzen zu bleiben und herauszuschauen, verschwindet der Kauz im Baum. Es folgt ein kurzzeitiger Schweißausbruch seitens des Falkners und Staunen bei uns, doch dann schaut der kauzige Kauz einige Zentimeter höher aus der nächsten Höhle wieder heraus. Eine Höhle mit zwei Eingängen, wie praktisch.

Die Zwergohreule wird mein Favorit. Sie ist – nach dem Sperlingskauz – die kleinste Eule Europas. Mit knapp 30 Zentimetern Höhe ist sie kaum größer als eine Amsel. Jan sucht einen schattigen Zweig am Waldrand aus. Mit ihren gelb-orangen Augen schaut sie aufmerksam in unsere vier Fotolinsen. Dann wendet sie ihren Kopf um 180 Grad, denn hinter ihr ruft ein Vogel. Die kleinen befederten Ohren sind gerade aufgerichtet. Es fehlt nur noch der Knopf im Ohr. Ein fotogener Vogel mit Niedlichkeitsfaktor. Wunderschön ist der unterschiedliche Gesichtsausdruck, mal schaut sie erbost, mal interessiert, mal gelangweilt … wobei dies alles nur meine eigene persönliche Interpretation eines Vogels ist, den ich heute zum ersten Mal sehe. Was die Eule wirklich empfindet vermag ich nicht zu sagen. Die Zwergohreule ist wäremeliebend und kommt auf Friedhöfen und in Parkanlagen, aber auch in lichten Eichen- und Kiefernwäldern im südlichen Europa vor. Zum Überwintern fliegt sie in die Afrikanische Savanne. Sie brütet in Baumhöhlen.

Deutlich größer ist die Waldohreule; sie wird etwa 35-40 cm groß. Sie gehört zu den häufigsten Eulen in Mitteleuropa und doch habe ich sie bisher nur im Tierfreigehege in Neuschönau (Bayerischer Wald) gesehen. Zum Jagen nach Mäusen und Käfern benötigt die Waldohreule vor allem offenes Gelände, als Ruheplatz dient der Waldrand.

Dann drapiert Václav einen Steinkauz. Die dünne Fangleine wird immer so gelegt, dass sie auf dem Foto nicht zu sehen ist. Die sonst üblichen Lederbändchen tragen seine Vögel nicht. So sehen sie recht natürlich aus. Außerdem werden sie, wenn möglich, auf einen passenden Baum oder Pfosten gesetzt, also an einen Ort an dem das Tier in der freien Natur auch zu finden wäre. Jan achtet dabei mit dem Blick des Fotografen auf Lichteinfall und Hintergrund, Václav prüft mit kritischem Blick ob es für den Vogel in Ordnung ist. Bei den meisten dieser Vögel hätte ich in der Natur keine Chance. Selbst wenn ich weiß, dass ein Kauz im Baum sitzt, laufe ich zunächst daran vorbei. Die Tiere sind großartig getarnt und wenn sie sich nicht bewegen, sind für Laien nur Zufallssichtungen möglich.

Einige von Euch werden jetzt einwänden: „Es ist doch viel interessanter und aufregender die Vögel selbst zu entdecken und dann zu fotografieren.“ Stimmt, doch Tiere selbst zu entdecken, vielleicht mit Hilfe eines Försters, ist wesentlich mühsamer, aufwändiger und kostenintensiver. Du musst wissen wo sich das Tier vorzugsweise aufhält, Du benötigst viel Zeit und Geduld, ein Tarnzelt, eine Brennweite von mehr als 400 mm und ein lichtstarkes Objektiv. Ich würde diesen Fotoworkshop als Vorstufe für das Selbstentdecken sehen. Ich genieße hier die Möglichkeit, Tiere hautnah zu betrachten, die sonst hoch oben im Baum säßen oder gar nur in der Nacht aktiv sind. Ich habe Zeit zu überlegen welche Blende ich wähle, welchen Weißabgleich, welche ISO und so weiter. Wenn ich keine Ahnung habe was ich tun sollte oder wie ich einen fliegenden Vogel ablichte, steht Jan mit Tipps zur Seite. Manche Vögel lassen uns zum Greifen nah an sich heran. Wir können ihr Federkleid, ihre Mimik, ihre Tarnung studieren und lernen nebenbei etwas über das Verhalten der Tiere. Václav ist noch dazu ein sehr umsichtiger Falkner. Wenn er sieht, dass es einem Vogel zu viel wird, was dieser durch Schnabelklappern, Augenzwinkern oder Unruhe kundtut, ist seine Fotosession beendet und ein anderer Vogel wird geholt.

Gegen Mittag wird das Licht zu schlecht. Wobei der Ausdruck schlecht relativ ist. Es ist ein supersonniger Tag mit stahlblauem Himmel. Jeder Postkartenfotograf wäre hocherfreut – um Tiere zu fotografieren wäre jedoch ein mit Einheitsgrau bedeckter Himmel besser. Bei Sonne sind die Kontraste härter, die hellen Stellen sind zu hell während die dunklen Stellen zu dunkel sind. Was tun? Wir fahren zum Mittagessen! Unser leibliches Wohl ist schließlich auch wichtig. Wir fahren zur wenige Kilometer entfernten Penzion U Silnice. Die Bedienung schaut etwas miesepeterich, aber das ist normal, kein Grund zur Sorge, an uns liegt es nicht. Zum Essen gibt‘s leckere böhmische Hausmannskost mit Knödel, Sauerkraut und Schweinefleisch. Noch dazu ist es für uns Deutsche günstig. In Deutschland würden die Gerichte wohl das Doppelte kosten. Glücklicherweise können wir alles in Euro bezahlen, obwohl Tschechien nicht zur Eurozone gehört.

Nach dem Mittagessen machen wir noch eine ausgiebige Siesta auf einer sonnenbeschienenen Wiese. So geht Urlaub! Als das Licht aus Fotografensicht wieder besser wird, kommt der Vogel des Jahres 2017 an der Reihe: der Waldkauz. Seinen Ruf kenne ich von daheim – im Bergischen Land – aber gesehen habe ich ihn in freier Wildbahn noch nie. Er ist nacht- und dämmerungsaktiv. Diese mittelgroße Eule ist in ganz Europa heimisch und gilt als nicht gefährdet. Er ernährt sich in erster Linie von Mäusen. Mit seinen schwarzbraunen Augen peilt er uns an und lässt sich geduldig ablichten. Das Gefieder sieht aus wie Baumrinde, ein perfekt getarnter Vogel.

Zum Ende des Tages darf /muss die relativ kleine (etwa 35 cm) in ganz Mitteleuropa heimische Schleiereule für uns ein paar Runden fliegen. Sie ist extrem schnell und von 50 Fotos sind die meisten unscharf oder zeigen nur Körperteile des Vogels oder die Umgebung. Außerdem ist es für eine lange Brennweite und eine kurze Belichtungszeit (800-1000/sek) schon recht dunkel.

Am Ende des Tages bin ich komplett geschafft. Acht Stunden fotografieren ist höchste Konzentration und ziemlich anstrengend. Für die Tiere ist es jedoch auch anstrengend. Bei einer normalen Flugschau dauert ein Auftritt etwa 10 Minuten. Wir benötigen deutlich länger.

Zurück in unserer Unterkunft in Zelezná Ruda, Penzion Havelka, genieße ich die heiße Dusche. Havelka ist eine gute Adresse. Wir bewohnen zu zweit ein kleines Appartement mit gut ausgestatteter Küchenzeile und Balkon. Die Zimmer sind frisch renoviert, die Möbel sind neu. Das Zentrum von Zelezná Ruda ist fünf Fußminuten entfernt. Im kleinen Restaurant U Jelena haben wir einen Tisch reserviert. Dieses Restaurant ist auf Wildgerichte spezialisiert. Die Bedienung spricht weder Deutsch noch Englisch, aber Bier versteht sie und die Speisekarte ist zweisprachig verfasst – so bekommen wir, was wir möchten und noch dazu ist es extrem lecker.

Wir haben ein komplettes Wochenende gebucht und so stehen wir am Sonntagmorgen um sieben Uhr wieder im Wald. Ein Schwarzmilan erwartet uns. Der wunderschöne Vogel ist in Mitteleuropa weit verbreitet und gilt als nicht gefährdet.

Der Mäusebussard. Ein Exemplar seiner Art sehe ich daheim häufig am Morgen, wenn ich durch den Wald laufe. Sobald ich jedoch stehen bleibe und ihm in die Augen schaue, ergreift er die Flucht. In Mitteleuropa kommt der Mäusebussard häufig vor, vor allem in offenen Landschaften wie Wiesen und Äckern mit angrenzenden Waldstücken. Dort findet er seine Hauptnahrung – Mäuse und andere Kleinsäuger.

Jetzt bringt Václav mein persönliches Highlight des Tages: einen Habichtskauz. Die etwa einen halben Meter große Eule war im bayerischen/böhmischen Wald heimisch. Leider wurde sie bis zum Aussterben verfolgt; der letzte Nachweis im Bayerischen Wald stammt von 1923. Laut Wikipedia laufen im „Nationalpark Bayerischer Wald, im Böhmerwald sowie im Naturschutzgebiet Šumava Wiedereinbürgerungsversuche, die auf deutscher und tschechischer Seite wahrscheinlich zu einer sich selbst erhaltenden Population von je etwa zehn Brutpaaren geführt haben.“ Seine tiefschwarzen Augen umgeben von einem großen runden Gesichtsschleier ziehen mich in seinen Bann.

Dann kommt noch ein ganz besonderer Vogel, den ich noch nie gesehen habe: ein Rotfußfalke. Sein schwarzes Gefieder kontrastiert herrlich mit seinen roten Füßen. Der Rotfußfalke kommt hauptsächlich in Südrussland vor, wurde aber durchaus schon in Tschechien gesichtet. Er fühlt sich in kleinen Nadelwäldern wohl, die einen ausreichenden Bestand an Großinsekten bieten. Aber auch Reptilien und Kleinsäuger verschmäht er nicht. Was ich nicht beachte ist: Ein dunkler Vogel im dunklen Wald lässt meine automatische ISO-Einstellung in die Höhe schnellen. In der Theorie weiß ich, dass ich in diesem Fall etwas unterbelichten oder tatsächlich alles manuell einstellen sollte, aber ich bin so fasziniert von dem Vogel, dass ich diese Regel vergesse. Erst zu Hause sehe ich, dass ich mit ISO-Werten zwischen 6000-8000 fotografiert habe. Da werden die filigranen Federn leider „matschig“ abgebildet (rauschig).

Den Abschluss bildet der Wüstenbussard. Es ist zwar kein heimischer Vogel, aber das ist für uns egal. Das junge Tier soll für uns ein paar Mal fliegen. Er wird dafür auf den unteren Ast einer frei stehenden Birke gesetzt. Mit dem 400 mm Objektiv können wir ihn dort unten gut einfangen, da keine Blätter stören. Der Vogel ist jedoch nicht dumm. Er denkt wahrscheinlich „wieso werde ich auf einen so tiefen Ast gesetzt, das können sich auch nur Wesen ausdenken, die nicht selbst fliegen können.“ Er hüpft ein paar Äste höher, dann benötigt er weniger Energie und Kraft zum Fliegen. Nur unser Kamerasucher hat Probleme ihn zwischen dem dichten Blätterwerk ausfindig zu machen und so wird es richtig schwer, den Vogel im Flug einzufangen.

Nachahmer kontaktieren am Besten direkt Jan Broz. Noch etwas: Ich bin von diesem Wochenende mit mehr als 2000 Fotos nach Hause gekommen, was Ihr hier seht, ist nur eine winzige Auswahl.

Zum Schluss noch die Fangfrage: Wer kennt den Unterschied zwischen Eule, Kauz und Uhu? Ich kannte ihn nicht. Kurz gesagt, Eulen (Strigiformes) sind sie alle. Es gibt weltweit etwa 200 Arten, die in zwei Familien eingeteilt sind: die Schleiereulen (Tytonidae) und die Eigentlichen Eulen (Strigidae). Beide Familien splitten sich weiter auf in etliche Unterfamilien. Wer’s noch genauer wissen möchte schaut bei Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Eigentliche_Eulen