Das große Fressen
Der Himmel ist schon leicht gerötet. Nichts wie raus aus den warmen Federn. Hinaus in die morgendliche Kälte. Ich habe mir gestern Abend vorgenommen Eselspinguine im Morgenlicht zu fotografieren. Sie stehen zu Hunderten direkt vor unserer Unterkunft auf Sea Lion Island, einer Insel im Süden der Falklandinseln. Natürlich ginge das auch nach dem Frühstück, aber vor meinem geistigen Auge habe ich die rötlichen Strahlen der aufgehenden Sonne, die mit ihrem warmen Licht die niedlichen Pinguinkinder punktuell anleuchten. Das gibt stimmungsvolle Fotos, die eine sanfte Idylle zeigen. Außerdem ist vor Sonnenaufgang das meiste los in der Kolonie. Im Morgengrauen verabschieden sich die Altpinguine von ihren beinahe erwachsenen Küken. Sie werden einige Stunden mit der Nahrungssuche im Meer verbringen, bevor sie nachmittags zurückkehren. Der Wind pfeift eiskalt direkt aus der Antarktis kommend um die Ecke. Ausgestattet mit Mütze, Handschuhen und Stativ marschiere ich los. Nur ein paar Schritte sind es bis zur Pinguinkolonie. Doch auf den Anblick bin ich nicht vorbereitet: Riesensturmvögel sind dabei tote Eselspinguine auszunehmen.
Ob die Vögel die Pinguinküken gerissen haben oder ob die Tiere in der Nacht verendet sind, vermag ich nicht zu sagen. Riesensturmvögel sind Aasfresser – auf Saunders beobachtete ich jedoch einen Sturmvogel der junge Kormorane jagte. Die Vögel verbringen die größte Zeit ihres Lebens auf dem Wasser, nur zur Brut kommen sie an Land. Ein großer Teil der weltweiten Population brütet auf den Falklandinseln, unter anderem auf Sea Lion Island. Die Tiere sind riesig. Mit einer Körperlänge von gut 80 cm sind sie etwas größer als ausgewachsene Eselspinguine. Hinzu kommt die Flügelspannweite von bis zu zwei Metern.
Die erwachsenen Sturmvögel haben eigentlich weiße Köpfe, jetzt sind sie rot vom blutigen Schmaus. Eindeutig dürfen die älteren Vögel zuerst fressen. Sie verscheuchen die Jüngeren mit weit ausgebreiteten Flügeln und lautem Kreischen. Jeweils zwei Riesensturmvögel teilen sich einen Pinguin. Einer bohrt seinen Schädel am Hals in den Kadaver, der andere geht durch den After an die begehrten Weichteile. Ein paar Meter weiter zeigt sich mir dieselbe Szene. Ein toter Pinguin, zwei Sturmvögel. Beim dritten Kadaver steht ein Truthahngeier peilend in kleinem Abstand in Warteposition. Sobald einer der Sturmvögel seine Vormachtstellung am Hals des Pinguins verlässt um einen Artgenossen zu vertreiben, ist der Geier zur Stelle und erhascht flink einige Bissen. Insgesamt zähle ich acht Riesensturmvögel. Das große Fressen. Vor meinem Frühstück. Etwa fünf Skuas (große Raubmöwen) liegen in etwas größerem Abstand in Warteposition. Sie sind wesentlich kleiner und machen keinerlei Versuche den Sturmvögeln das Futter streitig zu machen. Auch zwei gut einen halben Meter große Falklandkarakaras stehen im Schutz von Tussockgrasbüscheln auf der Lauer. Doch auch sie trauen sich nicht, die Riesensturmvögel zu vertreiben. Nach gut 20 Minuten geht das ohnehin spärliche Licht weg. Dicke Wolken haben sich vor die Lichtquelle geschoben. Es beginnt zu regnen. Ich bin fix und fertig. Durchgefroren und mental mitgenommen vom Schlachtfeld gehe ich zurück. Natürlich gönne ich den Riesensturmvögeln ihr Frühstück. Ich war nur nicht gefasst auf diese Schlachtplatte. Außerdem habe ich mich auf so kurze Distanz zwischen den riesigen hungrigen und sich streitenden Vögeln unwohl gefühlt. Wieder einmal komme ich mit ganz anderen Fotos zurück als ich sie im Sinn hatte. Jeder Naturfotograf kann sicher ein Lied davon singen: Die Rechnung muss immer mit dem Wetter und den Tieren gemacht werden und viele Situationen lassen sich weder wiederholen noch vorhersagen. Die Riesensturmvögel sind am nächsten Morgen allerdings wieder zur Stelle – an neuen verendeten Pinguinen und dieses Mal werden ihre Köpfe von den Sonnenstrahlen beleuchtet.