Wie immer sind wir, mein Mann und ich, in Argentinien mit öffentlichen Verkehrsmitteln, das heißt mit dem Bus unterwegs. Nach Puerto Desado fährt ein Bus, aber die Estancia La Maria wird von keinem Bus angefahren, sie liegt 150 Kilometer Schotterpiste vom nächsten Ort entfernt im Landesinneren. Was tun? Ein Auto für ein paar Tage zu mieten ist sehr teuer, also fahren wir kurz entschlossen mit dem Taxi. Den Taxifahrer kennen wir bereits von unserer ersten Argentinienreise. Juan war früher Polizist, konnte dann aber seinen Beruf nicht mehr ausüben. Seit beinahe 10 Jahren fährt er tagsüber Taxi und abends moderiert er eine Rundfunksendung.
Während Juan auf uns wartet trinkt er genüßlich seinen Matetee. Das Matetrinken. Wenn sich ein Argentinier länger als eine Stunde von zu Hause entfernt, hat er immer seine Mate Ausrüstung dabei. Dies gilt gleichermaßen für die alten wie die jungen Leute, für die Reichen wie die Armen, für die Gebildeten wie Ungebildeten – sprich: für alle. Die Mateausrüstung besteht aus einer Thermoskanne mit heißem Wasser, einem Behälter mit Mateblättern und einem Trinkgefäß, traditionell ein ausgehöhlter Kürbis. Hinzu kommt ein Metallstrohhalm, der am unteren Ende mit einem Sieb verschlossen ist. Die Mateblätter werden in den Kürbis gefüllt, es kommt 80 Grad heißes Wasser hinzu und durch den Strohhalm wird das heiße Getränk getrunken. Egal in welcher Lebenslage. Die Mateausrüstung steht in einem selbst gebauten Holzkistchen auf dem Beifahrersitz.
Im Morgengrauen fahren wir los, denn 450 km liegen vor uns, davon 150 km Schotterpiste, das sind allein drei Stunden Fahrzeit. Die Landschaft ist eintönig, wir sind froh, über diesen Luxus nicht selbst fahren zu müssen. Umgerechnet 200 Euro kostet die sechsstündige Fahrt. Juan war ebenfalls noch nie in dieser Gegend und bezweifelt schon, dass es die Estancia wirklich gibt, da kommt eine richtige Kreuzung in der Einöde. Es gibt sogar Hinweisschilder u.a. nach unserem Ziel: La Maria.
„Mal mir doch ein Schaf, sagte der kleine Prinz.“ Seine Inspiration für dieses Meisterwerk hat sich Antoine de Saint Exupery wohl geholt als er als Postflieger in Patagonien tätig war. Schafe sehen wir nämlich häufig, doch meist sind sie genauso schnell weg wie Nandus und Guanakos und hinterlassen nur eine Staubwolke.
Auch auf La Maria wurden früher Schafe gezüchtet, doch als 1991 in Chile der Vulkan Hudson ausbrach war es damit vorbei. Warum? Was hat ein chilenischer Vulkan mit argentinischen Schafen zu tun? Der Hudson schleuderte große Mengen Asche in die Luft die sich nicht nur über Chile, sondern auch über weite Teile Argentiniens bis hin zu den Malvinas (Falkland-Inseln) ausbreitete und die Landschaft mit einer dicken Pulverschicht belegte.
Die Schafe und andere Tiere hatten Hunger. Sie fraßen dieses Gras trotzdem und damit auch ein Gemisch aus Siliziumoxid und Flusssäure. Das Siliziumoxyd schmirgelte ihnen die Zähne in kürzester Zeit zu Stümpfen, so dass sie ihre Nahrung nicht mehr zerkleinern konnten. Sie verhungerten elendig. Die Farmer konnten nur hilflos zusehen. Der damalige Besitzer von La Maria verlor seine gesamte Herde und damit seine Existenzgrundlage. Notgedrungen verkaufte Haus und Land. Der neue Besitzer Fernando Behm und seine Familie setzten auf Tourismus und richteten ein paar Zimmer für Gäste her.
Tourismus? Drei Stunden Schotterpistenfahrt vom nächsten Ort entfernt? Wer sollte hierher kommen und vor allem warum? Allein wegen der Landschaft? Nein, nicht allein wegen der Landschaft, sondern vielmehr wegen der 84 Höhlen die von den Ureinwohnern vor 12000 Jahren als Wohnhöhlen benutzt wurden. Die Höhlen liegen geschützt und innen herrscht eine gleichbleibende Temperatur zwischen 12 und 17 Grad, egal ob es draußen schneit oder die Sonne mit 30 Grad vom Himmel brät.
Genau wie wir fanden die Bewohner kahle Wände wohl trist und bemalten diese. Die Luftfeuchtigkeit beträgt etwa 20% und so blieben die Malereien über Jahrtausende unversehrt. Die ältesten werden auf etwa 10.600 v. Chr. datiert und zählen damit zu den ältesten menschlichen Zeugnissen in Südamerika. Sie stammen von drei unterschiedlichen Kulturen aus der Zeit vor den Tehuelche und bei vielen wird über ihre Bedeutung noch spekuliert.
Häufig sind linke Hände abgebildet. Warum Hände? Die Hand der Mutter hält das Neugeborene. Die Hand ist ein Werkzeug – sie sammelt Essen, sie wirft den Speer der das Guanako erlegt. Wie entstanden die Malereien? Wahrscheinlich nahmen die Künstler die Farbe in den Mund, legten die Hand auf die Felswand und spuckten die Farbe darauf. Vielleicht wurde sie auch durch ein Knochenröhrchen aufgeblasen.
Neben den Händen und Symbolen wurden auch die Tiere der Umgebung dargestellt: Guanakos, Nandus, Pumas, ein Jäger. Die Farben wurden aus zermahlenen Gesteinen gewonnen die mit einem Bindemittel – wahrscheinlich Wasser, Fett oder Speichel – vermischt wurden. Rot wurde aus Eisenoxyd gewonnen, Gelb aus Natron; aus Kaolin entstand weiß und Magnesiumoxyd diente für schwarz.
Heute sind die Höhlen unbewohnt, jedenfalls am Tag. Des Nachts oder bei schlechtem Wetter werden sie von Tieren als Unterschlupf genutzt und manche kommen zum Sterben hierher. Davon zeugen die vielen Skelette in den Höhlen. Vielleicht sind es auch die Reste einer Pumamahlzeit.
Das allerschönste für uns aber ist: Wir sind allein hier; nur begleitet von Laurela Behm und zwei Hunden. Es gibt keine Absperrungen, wir fühlen uns wie die ersten Entdecker. Nirgendwo liegen Zeugnisse unser modernen Gesellschaft rum – keine Tempotaschentücher, keine Zigarettenkippen, keine rot-weißen Dosen eines weltweit vertretenen Limonadenherstellers – hier gibt es nur Natur pur!
Die Behms müssen mal wieder zum Einkaufen in den nächsten Ort fahren und nehmen uns mit. So kommen wir nach Puerto San Julian – doch das ist eine andere Geschichte!