Wie aus 15 Kilometern 27 wurden
Puerto San Julian, ist ein leicht verschlafener Küstenort, aber gut erreichbar von der Ruta 3. Alle namhaften Entdecker wie Drake, Darwin und Magellan gingen hier vor Anker. So wundert es nicht, dass im Hafen ein Nachbau der Victoria liegt, des Schiffes mit dem die erste Weltumseglung gelang. Kapitän war der Portugiese Fernão de Magalhães (zu Deutsch Ferdinand Magellan); er fiel jedoch einem Mordanschlag auf den Philippinen zum Opfer und kehrte selbst nicht nach Europa zurück.Sein Chronist, der Italiener Antonio Pigafetta, überlebte und aus seinen Aufzeichnungen wissen wir, dass dort an Land in Puerto San Julian Menschen mit relativ großen Füßen unterwegs waren. Pigafetta schreibt von Großfüßern – pata gones. Durch ihn kam diese Region zu ihrem heutigen Namen Patagonien.
Zum Einstieg machen wir nachmittags einen zweistündigen Ausflug zur Isla Cormoran. Wer jetzt Kormorane vermutet irrt – die sind auf einer anderen Insel. Hier brütet eine große Kolonie Magellanpinguine und wir dürfen an Land gehen. Die jugendlichen Pinguine stehen schon ungeduldig am Strand; sie erwarten ihre Eltern, die den ganzen Tag im Meer und der Lagune auf Futtersuche waren.Neben dem Besuch der Isla Cormoran kann man einen 27 Kilometer langen Küstenrundweg abfahren. Jedenfalls steht es so in dem von uns meist hoch gelobten Lonely Planet Reiseführer. Da wir lieber wandern als Auto fahren, lassen wir uns von einem Taxi die geteerte Straße bis zum Endpunkt des Rundweges an die Playa La Mina bringen. Von hier wollen wir dann gemütlich den Panorama-Weg an der Küste entlang zurück gehen. Der handgezeichneten Karte aus dem Touristeninfozentrum nach zu urteilen sollten das etwa 15 km sein. Das laufen wir locker! Die Sonne strahlt vom Himmel bei etwa 25 Grad C – einen bessern Tag für eine solche Wanderung können wir uns kaum vorstellen.Der Strand Playa La Mina ist kieselig und fällt extrem steil zum Wasser ab. Als Badestrand sicher ungeeignet, außer uns ist auch niemand hier. Kein Mensch jedenfalls. Im ruhigen Wasser fischt allerdings ein Delfin und zwei junge Füchse pirschen sich interessiert an uns heran – oder umgedreht. Wir hocken uns hinter einen dicken Felsblock und beobachten die beiden. Der Wind steht gut, sie bemerken uns zunächst nicht. Neugierig wird diverser Müll inspiziert; dann ein zu lautes Bewegen meines eingeschlafenen Beines und die zwei treten doch lieber den Rückzug an.Die Steilküste ist ein geologisches Buch, unterschiedlichste Gesteinsschichten haben sich hier aufeinander gelegt. Direkt an der Wasserkante können wir nicht weiterlaufen, denn dicke Gesteinsbrocken versperren den Weg. Außerdem ist Ebbe und wir wissen nicht wie hoch das Wasser bei Flut steht. So laufen wir auf dem breiten Fahrweg an der Steilküste entlang. Die Kante sollte nicht betreten werden, denn die Hänge sind zum Teil abbruchgefährdet.
Doch wir hören das Gekreische von Seevögeln und gehen vorsichtig doch bis zur Abbruchkante vor. Unter uns brühten einige Felsenkormorane. Darunter sonnt sich eine Großfamilie Mähnenrobben auf einem Felsen.
Etwas raschelt hinter uns. Ein Gürteltier. Es ist so mit der Futtersuche beschäftigt, dass es uns überhaupt nicht bemerkt. Eifrig stochert es mit der Schnauze im Erdreich, auf der Suche nach Leckereien wie Insekten und anderen Wirbellosen. Der bestens entwickelte Geruchssinn kann die Beute bis zu 20 cm tief im Erdboden aufspüren. Dann wird das Futter ausgegraben, wobei die Tiere bis zu sechs Minuten lang die Luft anzuhalten können, damit die Atemwege frei bleiben.Bei Gefahr rollt sich das Gürteltier, auf Spanisch Armadillo, zusammen und bildet so eine rundum geschützte Kugel. Der Panzer ist dabei so lückenlos verzahnt und der Muskelschluss so fest, dass kein Fressfeind, ausgenommen der Puma, diese Schale knacken könnte. Als dieses Armadillo uns entdeckt verharrt es zunächst stocksteif in seiner Position und entschließt sich dann doch zur Flucht. Wir hätten nie gedacht, dass in dieser vermeintlichen Einöde so viel los ist.
Zur Mittagszeit lassen wir uns gemütlich im Windschatten des alten Leuchtturmes nieder um zu picknicken. Der Leuchtturm wurde 1922 in Betrieb genommen; er ist unbewohnt aber mittels Solarenergie immer noch in Betrieb mit einer optischen Reichweite von 13,7 Seemeilen (ca. 25 km). Laut Touristenkarte haben wir Halbzeit.
In weiter Ferne, drei Buchten weiter am Horizont kaum zu erkennen, sehen wir einen Ort. Wir wundern uns; die nächste Siedlung nach Puerto San Julian ist mehr als 100 Kilometer entfernt, so weit können wir sicher nicht schauen und Puerto San Julian müsste wesentlich näher sein. Wofür habe ich wohl mein GPS mitgenommen? Der Blick auf das Satellitennavigationsgerät schockiert uns: Bis Puerto San Julian sollen es noch 25 Kilometer sein. Wie ist das möglich wenn der gesamte Rundweg nur 27 Kilometer beträgt und wir eine Strecke davon mit dem Taxi gefahren sind? Wir grübeln. Die einzige Lösung ist die: Die Kilometerangabe bezieht sich nur auf den reinen Küstenweg und nicht den gesamten Rundweg. Außerdem ist die Karte nicht annähernd maßstabgetreu – es sind einfach nur alle namhaften Buchten hintereinander gelistet.
Aber wir sind ja gut zu Fuß. Wir wandern weiter, jetzt nicht mehr so trödelig aber nicht ohne zu fotografieren. Während das Küstengestein bisher ockerfarbig war, ist es am Playa de las Caracoles weiß. Hier, noch weit oberhalb der Wasserkante, ist der Boden übersät mit riesigen Muscheln. Sie scheinen aus einer anderen Welt zu kommen. Wahrscheinlich hat sich in grauer Vorzeit der Meeresspiegel gehoben.
Der Weg zieht sich, die Sonne brät. Ich habe mir vorgenommen, das nächste vorbeifahrende Auto anzuhalten – aber es kommt keines! Wir sind allein unterwegs. So weit die Füße tragen. Das Trinkwasser wird knapp. Es sollten doch nur 15 km sein, für Kaffee und Kuchen hatte ich schon ein Cafe in Puerto San Julian ausgelotet.
Doch wären wir mitgenommen worden, hätten wir nicht bei der alten Fischkonservenfabrik Frigorifico Swift fotografieren können. Solche Fleischverarbeitungsfabriken gab es entlang der gesamten patagonischen Küste. Hier entstand die erste Fabrik Anfang des 20. Jahrhunderts. Bis zu 2500 Schafe wurden zu Spitzenzeiten pro Tag geschlachtet, Fleisch und Wolle verarbeitet. Der Ort Puerto San Julian wurde dabei nicht beliefert – das Fleisch ging in den Export, hauptsächlich nach Großbritannien.1967 wurde „La Fabrica“ wie die Arbeiter sie einfach nannten, geschlossen – modernere Fabriken konnten schneller und kostengünstiger produzieren. Ich hätte mich hier allein zwei Stunden fotografisch verlustieren können, aber das GPS sagt, es sind immer noch acht Kilometer bis Puerto San Julian … uns fehlt die Zeit und wirklich fit bin ich nicht mehr. Die Wasserflasche ist leer. Nach gut neun Stunden Marsch sind wir wieder im Hotel – selten haben mir das Bier und das 450 g Steak am Abend so gut geschmeckt!
Am nächsten Tag fahren wir mit dem Bus über Rio Gallegos nach El Calafate, das bedeutet erstmal Füße strecken und entspannen! In Calafate und Chaltén schnüren wir dann wieder die Wanderschuhe …