Quedlinburg und Umgebung

Auf der Suche nach geraden Linien

Eine aus fotografischer Sicht gerade Linie zu finden ist in Quedlinburg eine Herausforderung. Die Bebauung der Innenstadt besteht fast komplett aus Fachwerkhäusern. Mehr als 2100 an der Zahl.

Wunderschön anzusehen, doch schwer zu fotografieren. Schwer zum Wohnen ebenfalls: Superenge Gassen und Häuser mit schiefen Wänden. Das bekommen wir direkt zu spüren. Mein Mann und ich haben uns für vier Tage in einer Wohnung mitten im Zentrum einquartiert.

„Durch diese Gasse bin ich mit dem Auto gefahren?!“, fragt mein Mann sichtlich verwundert, als wir zu Fuß vom Parkplatz um den Häuserblock zum Eingang der Wohnung laufen.

Quedlinburg wurde 922 zum ersten Mal erwähnt und erhielt bereits 994 Stadtrechte. Die Stadt war Standort der Königspfalz und fast 900 Jahre lang Sitz eines freiweltlichen Damenstifts. Heute zählt die Stadt an der Bode 23.000 Einwohner. Aus acht Jahrhunderten stammen die hübschen Häuser der Altstadt. Allerdings waren viele der Häuser 1989 in einem bedauernswerten, traurigen Zustand – mehr als die Hälfte von ihnen waren unbewohnt. Doch schon 1994 erfolgte der Ritterschlag: die Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste! Mit saftiger Förderung durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und Finanzspritzen der öffentlichen Hand konnten viele Gebäude saniert und restauriert werden.

So erleben wir heute die Altstadt herausgeputzt, ja beinahe museal. Nach vier Tagen Aufenthalt schaue ich die Häuser zwar immer noch fasziniert an, habe aber die Nase voll vom Kopfsteinpflaster. Das gehört natürlich zu einer ordentlichen mittelalterlichen Fachwerkhaus-Kulisse. Doch selbst in Wanderschuhen muss jeder Schritt wohl platziert werden, da die meisten Steine ungleich groß, uneben und bei Feuchtigkeit ziemlich glatt sind.

Vor dem Renaissance-Rathaus ist normalerweise mittwochs und samstags Markt. Aber wegen eines Festes hat man die Marktbeschicker vertrieben – sie müssen eine Woche aussetzten, das heißt auf ihren Verdienst verzichten.

Rathaus Quedlinburg

Für Touristen gibt es satt und reichlich Einkehrmöglichkeiten aller Art: etliche Cafés mit hausgemachten Leckereien, Restaurants (viele haben montags und dienstags Ruhetag) und ansprechende Souvenirläden. An einem Laden mit finnischen Lakritz und anderen Köstlichkeiten sowie der Senfmühle kommen wir nicht vorbei. Wer ein Mal klassisch hergestellten Senf gekostet hat, wird nie wieder zu Massenware greifen!

Zwei-Burgen-Wanderung

Quedlinburg liegt am Rand des Harzes und eignet sich gut als Standort für Ausflüge in die Umgebung. Mit dem Bus fahren wir nach Bad Suderode.

Es geht direkt in den Wald zur Höhenburg Stecklenburg. Von der Burg sind nur noch Reste der einstigen Wohnungen und das Fragment des Bergfrieds erhalten. Erbaut wurde die Stecklenburg im 11. Jahrhundert. 100 Jahre später wurde sie im Kampf zerstört und wieder aufgebaut. Bis ins 18. Jahrhundert war sie bewohnt, danach wurde sie zum Steinbruch.

Burgenwanderung um Stecklenberg

Die Wanderwege sind relativ schlecht markiert, aber wir laufen zum Glück nach einer Komoot-Tour und treffen zielsicher auf die Reste des Bergfrieds der Lauenburg. Die Lauenburg war wesentlich größer als die Stecklenburg – einst nahm diese Befestigungsanlage den gesamten Bergrücken ein. Ihre Burggräben hatten eine Gesamtlänge von beinahe eineinhalb Kilometern. Ein Modell finden wir im Dorf Stecklenberg, direkt an unserer Wanderroute.

Modell der Lauenburg

Die Lauenburg gehört zu den größten Burganlagen Deutschlands. Leider sind von ihr nur noch ein paar Mauern und der Turm der Vorburg erhalten.

Unter Leitung des Harzklubzweigvereins Stecklenberg wurde, finanziert durch Spendengelder, ein begehbares Stahlgerüst in das Gerippe des Turms gebaut, so dass wir heute von oben wie einst den Blick in die Weite genießen können.

Erstmalig erwähnt wurde die Lauenburg im Jahr 1164 in einer Urkunde des Pfalzgrafen Adalbert I. Sie diente dem Schutz Quedlinburgs und einer Heerstraße. 1180 wurde die Lauenburg von Friedrich I – besser bekannt unter dem Namen Kaiser Barbarossa – eingenommen. Nach 1477 wurde auch sie zum Steinbruch.

Besonders sehenswert sind für mich nicht die Ruinen, sondern vielmehr der so genannte Hexenbaum. Es handelt sich dabei um eine alte Linde die mit ihren Wurzeln einen Torbogen zwischen zwei Mauern bildet.

Zurück in Bad Suderode gelüstet uns nach etwas Süßem und einem Kaffee. Doch, oh weh, es ist Montag. Die noch in Betrieb befindlichen Bäckereien/ Cafés /Restaurants haben entweder Ruhetag oder Urlaub. Ein Softeis gäbe es: aus dem Selbstbedienungsautomaten.

Zum Glück müssen wir nur wenige Minuten auf den Bus warten (der nur ein Mal pro Stunde fährt) und kommen in Quedlinburg zu unserem wohlverdienten Kaffee mit Süßkram.

Klein-Stonehenge in Sachsen-Anhalt – Ringheiligtum Pömmelte

Pömmelte. Was für ein merkwürdiger Name. Eine knappe Autostunde von Quedlinburg entfernt, zwischen Magdeburg und Dessau, liegt dieses prähistorische Ringheiligtum. Mitten in Deutschland. Eintritt frei. Die Reste der Kreisgrabenanlage wurden 1991 durch Luftbildarchäologie entdeckt und 2006 freigelegt. Es handelt sich dabei um einen fünftausend (ja, 5000) Jahre alten Kultplatz. Das Stonehenge von Sachsen-Anhalt. Gefunden wurden unter anderem Deponierungsgruben und Keramikreste sowie ein Rundbau mit gut 115 Metern Durchmesser. Wie konnten die Archäologen so etwas überhaupt entdecken? Die Holzpfosten waren doch seit Jahrhunderten verfallen, nicht mehr vorhanden! Aber an genau diesen Stellen war es im Lauf der Jahre zu einer Änderung der Bodenbeschaffenheit gekommen. Auf einem anderen Boden wachsen andere Pflanzen – und genau das fiel bei Beobachtungsflügen ins Auge.

Die siebenteilige Anlage besteht aus einem äußeren Pfostenring, einem Ringgraben, einem Kreisgraben mit einer innen liegenden Palisade. Im Inneren des Kreisgrabens standen zwei Pfostenkränze.

Ringheiligtum Pömmelte

Auf Hinweistafeln lesen wir: Im nordöstlichen Areal symbolisierten Mahlsteine wohl die feminine Sphäre, häusliche Tätigkeiten, Fruchtbarkeit und Naturkraft. In der südwestlichen Hälfte weisen Steinbeile auf die maskuline Sphäre, Kräfte von Zerstörung und Neuerschaffung. Beide Areale widerspiegeln offenbar Gegensätze.

Männergräber in der Osthälfte nehmen spirituellen Bezug auf den Sonnenaufgang im Osten, bei dem nach altägypitischen Mythen die Welt neu entstand. Offenbar glaubte man an Wiedergeburt oder Weiterleben im Jenseits. Den in Schachtgruben entsorgten Gewaltopfern – Kindern, Jugendlichen und Frauen – war dieses Recht anscheinend verwehrt.

Es wird angenommen, dass beim Bau auch Sonnen- und Mondphasen berücksichtigt wurden. Die beiden Hauptzugänge orientieren sich am Sonnenauf- und untergang genau zwischen den Sonnenwenden und Tag- und Nachtgleichen. Im Rondell feierte man wohl die neuen Phasen des Ackerbaujahres.

Neben des Ringheiligtum wurden 80 Hausgrundrisse entdeckt; drei davon sind für Besucher skizziert sichtbar gemacht. Es handelt sich um die größte Häuseransammlung nördlich der Alpen die bislang gefunden wurde.

Vieles ist Vermutung, alles ist neu sehr anschaulich aufgebaut. Für uns ein echtes beeindruckendes Highlight – mitten in Deutschland. Es gibt ein kleines Besucherzentrum, das, so lesen wir, einem bronzezeitlichen Langhaus maßstabsgetreu in Lehmbauweise nachgebaut wurde. Wer mag kann sich hier mit Literatur eindecken oder eine Führung durch die Anlage buchen. Ordentliche, saubere Toiletten sind ebenfalls vorhanden.

Rappbode-Talsperre mit Hängebrücke

Die Staumauer der Rappbode-Talsperre liegt zwischen Hüttenrode und Hasselfelde, etwa 40 Autominuten von Quedlinburg entfernt. Dieser Trinkwasserspeicher wurde erst 1959 fertiggestellt und hält gleich zwei Superlative: Neben der Großen Dhünn-Talsperre gehört die Rappbode-Talsperre zu den größten Deutschlands. Mit 106 Metern hat sie sogar die höchste Staumauer Deutschlands.

Rappbode-Talsperre

Es lohnt sich, ein Mal über diese Mauer zu wandern und einen Blick nach unten zu werfen. Parallel zur Mauer gibt es noch dazu eine Hängebrücke für Fußgänger. Aber schwindelfrei solltest Du schon sein, wenn Du die Hängebrücke für den Rückweg nutzen möchtest. Und seefest. Je nach Anzahl der Besucher schaukelt sie doch etwas.

Das Betreten der Hängebrücke kostet allerdings satte 7,50 Euro Eintritt. Dafür ist die Titan-RT mit 458,5 Metern Gesamtlänge die „längste Hängebrücke ihrer Art“.

Laut Betreiber „bilden vier Haupttragseile mit einem Durchmesser von 65 mm das Rückgrat des 120 Tonnen schweren Bauwerks. Zusätzlich wird die Brücke mit zwei Stabilisierungsseilen in Form – und bei höheren Windgeschwindigkeiten – in Position gehalten. Der Laufsteg (Gitterrost) von 120 cm Breite wird auf ganzer Länge von einem 130 cm hohen Geländer gesäumt und ist seitlich durch Edelstahlnetze verschlossen.“

Abends ist die Brücke beleuchtet. Ein Aussichtsturm, eine Zipleine, ein Menschenkatapult und Wallrunning runden das Freizeitabenteuer ab. Was mich bei der Überquerung der Hängebrücke enorm stört ist die ständige Berieselung mit Musik und Reklame über Lautsprecher an den Seitenstreben. Ich hätte lieber dem Schwalbengezwitscher gelauscht. Die Vögel haben nämlich ihre Nester an der Staumauer angeklebt.

Pumpspeicher-Kraftwerk Wendefurt

In den Jahren 1967/68 wurde am Flusslauf der Bode das Pumpspeicher-Kraftwerk Wendefurth in Betrieb genommen. Als Speicher dient ein künstliches Oberbecken ohne natürlichen Zufluss. Unterbecken des Kraftwerks ist die Talsperre Wendefurth, die zum Talssperrensystem Bode gehört. Oberirdisch verlegte Triebwasserleitungen führen das Wasser zwei Pumpspeichersätzen zu. Zusammen haben sie eine Nennleistung von 80 Megawatt. Eine 110-kV-Doppelleitung stellt die Verbindung zum Netz des zuständigen regionalen Energieversorgungsunternehmens her.

Pumpspeicher-Kraftwerk Wendefurth

Köhlerei Museum

Eine kurze Wanderung von der Rappbode-Talsperre entfernt ist die Harzköhlerei Stemberghaus. Hier wird Holzkohle noch nach traditionellen Arbeitsmethoden in Form von Erdmeilern hergestellt. Viele Jahrhunderte zählten die Erzlagerstätten und die ausgedehnten Wälder des Harzes zu den bedeutendsten Zentren Europas. Das Schwarze Gold des Waldes, die Holzkohle wurde seit mehr als 1000 Jahren im Harz hergestellt. Vor der Entdeckung der Braun- und Steinkohle lieferte allein Holzkohle Energie für die Verhüttung. In der Harzköhlerei sind jeweils drei Erdmeiler ständig in Betrieb: einer wird aufgebaut, einer befindet sich im Verkohlungsprozess und der dritte wird gerade geerntet. In mühevoller Handarbeit werden hier die Resthölzer der Forstwirtschaft zu etwa 50 Tonnen reiner Öko-Buchenholzkohle veredelt. Im Laden des Museums kann sie käuflich erworben werden.

Harzköhlerei Stemberghaus