Ol Pejeta – Hochsicherheitstrakt für Nashörner

Locker verteilt sitzen sie auf der großen Wiese im morgendlichen Tau: eine Großfamilie Paviane. An die 50 Köpfe schätze ich auf die Schnelle. Die Sonne ist gerade aufgegangen. Eine friedliche Morgenidylle: Fressen, Fellpflege, Spielen, Fressen…

Plötzlich halten alle inne. Wie auf ein geheimes Kommando schauen alle Tiere auf und frieren förmlich ein. Dann sprinten sie los. Zuerst schnappen sich die Mütter ihre Kinder, klemmen sie unter den Bauch und laufen. Andere stopfen sich noch schnell das Maul mit beiden Händen voll, doch dann rennen alle.

Jetzt erst sehen auch wir die Gefahr: eine Hyäne. Sie geht gemütlich, ruhig und in meinen ungeschulten Augen desinteressiert ihres Weges. Sie ist allein, sie tut doch nichts! Denke ich. Für gesunde ausgewachsene Paviane stellen einzelne Hyänen keine ein Gefahr dar, wohl aber für die Babys.

Während alle anderen fliehen, bleibt ein einzelnes voluminöses haariges Tier tapfer sitzen: das Alphamännchen. Es hockt ganz ruhig da und beobachtet. Als die Hyäne auf wenige Meter nah herangekommen ist, springt er auf und greift an. Die Hyäne macht blitzschnell eine Kehrtwende und rennt. Der Pavian holt sie fast ein. Die Aasfresserin schlägt eine andere Richtung ein, der Pavian beruhigt sich und hält inne.

Seine Affenfamilie hat längst den schützenden Waldrand erreicht. Alles gut. Das morgendliche Fressen kann weitergehen – nur für uns Fotografen sind die Paviane jetzt zu weit weg.

Ol Pejeta, Eingang

Wir sind im kenianischen Ol Pejeta Reservat. Einst war Ol Pejeta eine Rinderfarm – heute ist es das größte Reservat für Spitzmaulnashörner in Ostafrika. 2004 errang Ol Pejeta als eines der ersten Reservate den Status der Grünen Liste der IUCN. Die Grüne Liste hat zum Ziel, wertvolle Lebensräume natürlich zu erhalten und zu verwalten. Das 364 Quadratkilometer große Reservat auf dem Laikipia Plateau ist komplett eingezäunt.

Der Zaun soll zum Einen bedrohte Tierarten schützen und Wilderer fern halten; zum Anderen soll er Raubtiere innerhalb des Reservates halten, damit sie nicht in den angrenzenden Dörfern Angst und Schrecken verbreiten und sich an den Nutztieren bedienen. Wir sehen direkt eine mehrköpfige Löwenfamilie, die gut gesättigt in der Sonne und im Schatten liegt. Sie sind völlig entspannt und es scheint, dass sie keiner Fliege etwas zu Leide tun könnten. Zur besseren Kontrolle trägt eine Löwin ein Monitoring-Halsband. Damit kann die Position von ihr und ihrer Familie jederzeit überwacht werden.

Dennoch können Tiere, die von Natur aus wandern wie zum Beispiel Elefanten und Wildhunde, über Korridore das Reservat verlassen – nur die Nashörner nicht. Wie geht das? Klingeln die Elefanten etwa wenn sie raus wollen? Nein, natürlich nicht. Es gibt Löcher im Zaun. Dabei handelt es sich um eine Reihe von etwa ein Meter hohen Absenkungen des Zauns an strategisch guten Punkten. Ihre großen Zehen halten Nashörner davon ab, diese Barriere zu überwinden. Außerdem sind Steinhaufen aufgeschichtet – für die kurzsichtigen Nashörner erscheint das Loch im Zaun daher nicht barrierefrei und für sie unüberwindbar. Die Löcher im Zaun sind mit automatischen Infrarotkameras ausgestattet. Alles was über diesen Korridor das Reservat verlässt oder eindringt – egal ob Mensch oder Tier – wird fotografisch festgehalten.

Ol Pejeta - Zaun (c) Ol Pejeta
Ol Pejeta – Zaun (c) Ol Pejeta

So fahren wir mit Peter, unserem Fahrer und Guide, im Safarifahrzeug durch den Park und suchen Nashörner. Ich habe diese Tiere bislang nur in Zoologischen Gärten gesehen und bin etwas aufgeregt. Mein ungeübtes Auge sieht die Gruppe zunächst nicht. Doch was ich für einen grauen Findling in der Savanne halte, hat vier Beine und bewegt sich.

Breitmaulnashorn

Es sind Breitmaulnashörner, genauer gesagt Südliche Breitmaulnashörner (Ceratotherium simum simum). Der Bestand dieser Art beträgt heute laut WWF etwa 15000 Tiere, damit ist es eines der am häufigsten vorkommenden Nashörner, und dennoch wurde es von der IUCN als „potenziell gefährdet“ (near threatened) eingestuft.

Ein Jungtier ist mit seiner Mutter und einem weiteren weiblichen Tier, vielleicht seiner älteren Schwester unterwegs. Während die beiden erwachsenen Tiere gemütlich grasen, läuft das etwa ein Jahr alte Jungtier übermütig hin und her. Es läuft direkt auf uns zu, stoppt dann aber abrupt und macht eine Kehrtwende – zurück zu Mama.

Neben dem Südlichen Breitmaulnashorn gibt es noch das Nördliche Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum cottoni). Auch diese Art lebt in Ol Pejeta. Sie wird in einem separaten Gehege gehalten; dieses ist nochmals zweifach eingezäunt, Wachtürme säumen die Ecken. Ein Hochsicherheitstrakt.

Wir dürfen nicht hineinfahren, wir sehen nur zwei Tiere – von Weitem. Und damit, erfahren wir von Peter, sehen wir die gesamte lebende Weltpopulation. Zwei weibliche Tiere ist alles, was von den einst zahlreichen Großsäugern übrig geblieben ist. Es sind die letzten ihrer Art.

Nördliches Breitmaulnashorn
Nördliches Breitmaulnashorn

In Wikipedia lese ich: „Suni“ war der letzte Bulle, von dem noch erwartet wurde, dass er Nachwuchs zeugen könnte. Er starb im Oktober 2014 im Ol-Pejeta-Reservat. Danach lebten weltweit noch sechs Exemplare des Nördlichen Breitmaulnashorns, im Dezember gleichen Jahres starb auch der 44-jährige Bulle „Angalifu“ im San Diego Zoo Safari Park. Bis zum November 2015 starben zwei weitere Tiere, jeweils eine Kuh in den Zoos von San Diego und Dvůr Králové. Von den letzten drei verbliebenen Exemplaren, die sich alle im Ol-Pejeta-Reservat aufhielten, musste der Bulle „Sudan“ altersbedingt am 19. März 2018 eingeschläfert werden. An seinem Todestag wurde „Sudan“ noch genetisches Material für eine künstliche Befruchtung entnommen. Damit existieren nur noch zwei Nördliche Breitmaulnashörner: die beiden Weibchen „Najin“ (*11. Juli 1989) und „Fatu“ (*29. Juni 2000), Tochter und Enkelin von „Sudan“.

Friedhof für Nördliche Breitmaulnashörner
Friedhof für Nördliche Breitmaulnashörner

Warum sind gerade Nashörner so begehrt und damit so bedroht? Der WWF schreibt dazu: „Seit knapp 15 Jahren erlebt Afrika eine Nashornwildereikrise. Den Nashörnern wird zum Verhängnis, dass in Teilen Asiens dem pulverisierten Horn fiebersenkende, entgiftende, krampflösende und seit neuestem auch krebsheilende Wirkung zugesprochen wird. Wissenschaftlich ist das Humbug. Aufgrund seines hohen Preises entwickelte sich Nashornhorn seit einiger Zeit zu einem Statussymbol der aufstrebenden, reichen Mittelschicht mancher asiatischer Länder. Breitmaulnashörner waren einst in Afrika weit verbreitet. Die Nördlichen Breitmaulnashörner lebten in Ost- und Zentralafrika und die Südlichen Breitmaulnashörner im südlichen Afrika. Von den Südlichen Breitmaulnashörnern gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert nur noch weniger als 100 Tiere. Dank intensiver Schutzmaßnahmen konnte sich bis heute ein Bestand von wieder über 15.000 Tieren entwickeln.“

Südliches Breitmaulnashorn
Südliches Breitmaulnashorn

Ziemlich betrübt und ergriffen fahren wir weiter. Warum können Mensch und Tier nicht miteinander und nebeneinander leben? Doch, in Ol Pejeta können sie das. Eine riesige Herde Watussi Rinder (auch Ankole-Rinder genannt) kommt direkt auf unseren Wagen zu.

Watussi Rinder

Beweidung im Reservat, geht das? Ja, es funktioniert seit gut 10 Jahren und das Zusammenleben wirkt sich sogar positiv auf das Grasland aus.

Watussi Rinder

Die Rinder brechen mit ihren Hufen den Boden auf und düngen ihn. Dadurch verjüngt sich das Weideland und lockt Grasfresser aus dem gesamten Schutzgebiet an.

Watussi Rind

Dadurch werden natürlich auch Großkatzen angelockt – etwa ein Prozent der Rinder fallen jährlich Raubtieren zum Opfer, obwohl die Herden nachts in so genannten Bomas (raubtiersicheren Gehegen) untergebracht werden. Das wird als vertretbar und nachhaltig betrachtet. Leider sind Rinder auch anfällig für Zecken, die wiederum Krankheiten übertragen. 100 Rinderhirten arbeiten im Reservat, auf 60 Stück Vieh ein Hirte. Sie begleiten die Herden zu Wasserstellen, lassen sie grasen und bringen sie abends zurück in ihr sicheres Gehege.

Ranger mit Watussi Rindern

Auf der Webseite von Ol Pejeta lese ich (frei übersetzt): „Darüber hinaus unterstützt Ol Pejeta die Hirtengemeinschaften im Norden Kenias, indem es im Rahmen des NRT-Programms „Livestock to Markets“ jährlich 1.500 Rinder mästet und vermarktet.

In Ol Pejeta gibt es zwei Wildtierschutzteams – das NPR-Team (National Police Reservists) und die Rhino Patrol Unit. Beide arbeiten unabhängig voneinander, kooperieren aber bei wichtigen Einsätzen und tauschen Informationen aus. Ranger mit NPR-Status dürfen nach einer paramilitärischen Ausbildung Schusswaffen tragen. Sie kämpfen an vorderster Front gegen Wilderer, doch obwohl das Hauptaugenmerk auf dem Schutz von Wildtieren liegt, spielt das Team auch eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der örtlichen Gemeinden und der Polizei bei Viehdiebstählen oder bei Konflikten zwischen Mensch und Wildtieren.

Die Rhino Protection Unit (RPU) ist auf die Überwachung von Wildtieren und die allgemeine Sicherheitsüberwachung spezialisiert. Sie werden in erster Linie eingesetzt, um Sichtungen von Nashörnern zu verfolgen und aufzuzeichnen. Zur Sicherheit hat die RPU die Regel aufgestellt, dass jedes Spitzmaulnashorn in Ol Pejeta mindestens einmal alle drei Tage gesichtet werden muss. Die Einheit deckt weite Teile des Schutzgebiets ab und ist oft als Erste vor Ort um mögliche Sicherheitsbedrohungen, Zaunbrüche oder in Not geratene Wildtiere zu entdecken.“

Wir übernachten direkt im Reservat in der Serena-Lodge mit fast 120 Betten (!) Jeder hat sein eigenes festes Zelt mit Dusche und WC. Sehr hübsch. Direkt am Camp gibt es ein Wasserloch wo gerade einige Büffel ein Schlammbad genommen haben und jetzt gemütlich grasen. Begleitet werden sie von einigen Reihern, die an den von dem Büffel aufgescheuchten Insekten interessiert sind.

Kaffernbüffel

Diese Nähe, nur getrennt durch einen Graben, gibt mir auch die Gelegenheit ein paar Rotschnabel-Madenhacker zu fotografieren. Madenhacker ernähren sich von Insektenlarven und Zecken. Auf Büffeln finden sie einen reich gedeckten Tisch.

Rotschnabel-Madenhacker
Rotschnabel-Madenhacker

Ach ja, ein Spitzmaulnashorn haben wir auch noch gesehen. Am Schluss des Aufenthaltes bei der Ausfahrt. Für Spitzmaulnashörner ist Ol Pejeta bekannt, aber diese hielten sich meist fern der Wege auf.

Spitzmaulnashorn
Spitzmaulnashorn