Ich habe einen neuen Lieblingsarchitekten: César Manrique. Er hat auf Lanzarote nicht nur zahlreiche Gemälde, Skulpturen und Windspiele hinterlassen, sondern auch begehbare Kunstwerke. Da ist zum Beispiel sein letztes Werk, der Kaktusgarten.
Jardin de Cactus
Angelegt ist der Jardin de Cactus in einem nicht mehr genutzten Picón-Steinbruch. (Picón ist wasserspeicherndes Lavagestein, es wird auf Lanzarote in der Landwirtschaft im Weinbau genutzt.) Mehr als 1400 Kakteen und Wolfsmilcharten aus aller Welt und in jeder Größe wachsen hier. Der Garten ist terrassenförmig in der Form eines Amphitheaters angelegt – die Großen unten, die Kleinen oben. Am oberen Ende steht eine restaurierte Gofio-Mühle; sie bietet nicht nur einen großartigen Ausblick auf den Garten, sondern kann auch besichtigt werden.
Jameos de Agua
Ganz besonders begeistert hat mich das Cafe in einem eingestürzten Lavatunnel, Jameos de Agua. Der Tunnel gehört zu einem ausgedehnten Höhlen- und Tunnelsystem, das vor gut 3000 Jahren beim Ausbruch des Monte Corona entstand.
Als Manrique diesen Platz 1968 zum ersten Mal sah war er zugemüllt. Es bietet sich doch auch an natürliche Löcher als Müllkippe zu nutzen, oder? Manrique besaß jedoch die Gabe, etwas Schönes darin zu sehen und vor allen Dingen daraus zu machen. Jameos de Agua wurde sein erstes Großkunstwerk auf Lanzarote. Wie alle Besucher gehe ich über einige Stufen hinunter in ein von Lavagestein überdachtes Cafe.
Von hier fällt der Blick sofort auf den See im Lavatunnel: 60 m lang, 20 m breit und 20 m hoch ist der Naturtunnel. Das Wasser im See ist salzhaltig; es ist Meerwasser, das durch das poröse Gestein in den Tunnel eindringt.
Das Interessanteste daran kommt aber erst noch – im See leben etwa fingernagelgroße weiße Tierchen: Albinokrebse (Munidopsis polymorpha). Die Tiere sind endemisch – sie leben nur hier auf dieser Insel! Munidopsis polymorpha ernährt sich vom Algenbewuchs der Felsen.
Begleitet von sphärischen Klängen schreite ich fasziniert am Rande des Sees durch diesen Tunnel. Am anderen Ende empfängt mich ein Garten mit subtropischen Pflanzen und ein Schwimmbad. Der Beckenrand ist weiß gekalkt, das Wasser strahlt in türkisblau. Sperlinge fliegen durch den Tunnel in den Garten. Eine einzigartige Oase aus Licht und Farbe – hier möchte ich bleiben!
Mirador del Rio
Am nördlichen Ende von Lanzarote – wo die Aussicht auf die Nachbarinsel La Graciosa am Schönsten ist, ließ Manrique einen Aussichtpunkt anlegen, den Mirador del Rio. Eine Plattform mit Münzfernrohr hätte es sicher auch getan, aber Manrique war Künstler. Er legte einen mehretagigen Aussichtspunkt an. Dieser ist in den Berg integriert. Natürlich gibt es auch hier ein in den Felsen gebautes Cafe. Es ist ein halbrunder Raum mit Panoramafenstern vom Boden bis zur Decke. Ich muss mich hier einfach niederlassen und ein Stück spanischen Apfelkuchen mit einer Tasse rabenschwarzen Kaffees genießen. Erst als ich den Kuchen verspeist habe, fällt mir ein, dass ich ein Foto davon machen wollte …
Toiletten
Winzige, enge halbdunkle Kabinen, strenger Geruch – kein Ort an dem man sich länger aufhalten möchte. An vielen Orten dieser Welt wird wenig Augenmerk auf Toiletten gelegt, obwohl sie doch jeder Mensch benutzt. Abstellkammern für ein notwendiges Übel. Auf Lanzarote sind Toiletten wunderschöne Örtlichkeiten. Die innenarchitektonisch Interessantesten findet Ihr in den Bauwerken von César Manrique. Jeder Besucher sollte sie aufsuchen, egal ob die körperliche Notwendigkeit besteht oder nicht. Manrique legte sehr viel Wert auf die Gestaltung von Toiletten und Bädern. Die sanitären Anlagen in allen seinen Gebäuden sind geräumig, hell, von Licht durchflutet. Er arbeitet häufig mit Oberlichtern, so dass natürliches Licht einfällt. Manche Toilettenräume bieten eine tolle Aussicht über Panoramafenster, andere sind mit echten Grünpflanzen bestückt, Zeichnungen zieren die Wände.
Skulpturen und Windspiele
Neben den begehbaren Monumenten entwarf und baute César Manrique auch meterhohe Windspiele, die heute ein Blickfang an Kreisverkehren und Kreuzungen sind. An der Hauptkreuzung Mozaga / San Bartólome steht zum Beispiel das Monumento del Campesino, das Denkmal für den Bauern. Die statische Skulptur besteht aus weiß getünchten alten Trinkwasserkanistern von ausgedienten Fischerbooten.
Das Juguete del Viento im Kreisverkehr von Arrieta hingegen besteht aus unterschiedlich großen kegelförmigen rot getünchten Behältern am Ende von Stahlstäben. Mit einem Gewicht am anderen Ende sind die Behälter austariert und je nach Windstärke bewegen sie sich vor und zurück.
Wer war César Manrique?
Manrique wird 1919 in Arrecife, der Hauptstadt von Lanzarote, geboren. Er studiert und lebt bis 1964 in Madrid. Nach dem Tod seiner Lebensgefährtin zieht er für zwei Jahre nach New York und kehrt dann nach Lanzarote zurück mit dem Entschluss, zu bleiben. Seine Heimatinsel möchte er in einen der schönsten Plätze der Welt verwandeln. Für diesen Plan gewinnt er Pepin Ramírez – einen alten Freund der Familie der mittlerweile Präsident der Inselregierung ist. Manrique wünscht, dass nur die traditionelle Bauweise der Insel genehmigt wird. Kein Haus soll mehr als zwei Etagen haben. Um die Bevölkerung für sein Vorhaben zu begeistern, reist Manrique selbst über die Insel, spricht mit den Menschen und überzeugt sie. Außerdem erreicht Manrique, dass alle Werbeplakate von den Straßen der Insel entfernt werden.
Fundación Manrique
Nach seiner Rückkehr aus New York entschließt sich Manrique auf Lanzarote zu bleiben. Bei einem Ausflug nach Tahiche entdeckt er 1970 einen Feigenbaum, dessen grüne Spitze aus einem erstarrten schwarzen Lavastrom herausragt. Genau hier will sich der Künstler niederlassen und sein Haus bauen.
Das Land bekommt er von den Besitzern geschenkt. 30.000 m². Geschenkt! Damit kann man schon etwas anfangen, oder? Woanders vielleicht, aber die Besitzer konnten eben nichts damit anfangen. 30.000 m² lebensfeindliche Pahoehoelava. Soweit das Auge reicht Steine! In 1000 Jahren könnte es wohl für Ackerbau und Viehzucht genutzt werden, aber welcher Mensch hat so viel Zeit?
Wo andere ödes Land sahen, sieht Manrique die Schönheit des grünen Feigenbaumes. Beim Bau seines Hauses entdeckt er insgesamt fünf Lavahöhlen, die er zu verschiedenen Wohnräumen ausbaut und durch Tunnel miteinander verbindet. In einigen der unterirdischen Wohnräume steht mitten drin eine Palme, die durch ein Loch in der Decke gen Himmel wächst.
Das Haus baut Manrique in Anlehnung an die traditionelle Bauweise über diesen Höhlen. Es hat eine Wohnfläche von insgesamt 1800 m². Durch große Panoramafenster blickt der Besucher auf ödes Lavagestein so weit das Auge reicht.
Dazu kommen 1.200 m² Terrassen und Gartenanlagen. In einem Jameo – einem eingestürzten Lavatunnel – gibt es neben großen grünen Pflanzen ein Schwimmbad und eine Grillstelle.
Heute gehört das Haus der Stiftung, die Manrique 1982 mit einigen Freunden gründete. Sie hat den Auftrag, die künstlerische Tätigkeit in ihrem natürlichen und kulturellen Umfeld zu fördern. Manrique selbst zieht 1988 in ein von ihm wiederaufgebautes Bauernhaus nach Haria. Heute beherbergt das Museum der Stiftung die zeitgenössische Sammlung die sich im Besitz Manriques befand, darunter Werke von Miro, Picasso, Chillida und etliche lanzarotische Künstler.
Das Erbe Manriques
Am 25. September 1992 stirbt Manrique wenige Meter vor seiner Stiftung durch einen selbst verschuldeten Verkehrsunfall.
César Manrique ist durch sein Engagement, sein Einfühlungsvermögen, seiner Liebe zur Insel und zur Landschaft dafür verantwortlich, dass der Massentourismus auf Lanzarote in gemäßigten Bahnen verlief. Der Künstler setzte sich leidenschaftlich dafür ein, die landschaftliche und kulturelle Identität seiner Heimatinsel zu bewahren. Die Inselregierung verpflichtete sich den Weg Manriques zukünftig weiterzugehen.
Seinen größten Erfolg erlebte Manrique nicht mehr: 1993 wurde Lanzarote als erste Insel von der UNSECO zum Biosphärenreservat ernannt. Danke, César!
Tipps zum Besuch der Einrichtungen
- Wenn Ihr auf eigene Faust unterwegs seid, fahrt nachmittags hin, dann ist es leerer, weil die meisten Busladungen weg sind.
- Wer alle Einrichtungen besuchen möchte, kauft eine Bono-Card, das reduziert den Eintrittspreis erheblich.
- Nehmt Euch Zeit zu genießen!