Reisebericht: Kinlochleven – Wandern in Schottland

Anfang Juli, 18°C, der Himmel ist hübsch einheitlich grau gefärbt, es fällt leichter Nieselregen. Willkommen in Schottland! Ich brauche ein paar Tage Auszeit und bin einfach in eineinhalb Stunden von Düsseldorf nach Glasgow geflogen. Wie immer geht am Glasgower Airport alles reibungslos schnell, 40 Minuten nach der Landung sitze ich bereits mit Koffer und frischen Englischen Pfund aus dem Automaten im Bus Nr. 500. Da ich in fünf Tagen diesen Weg in umgekehrter Richtung fahren werde, kaufe ich gleich ein wesentlich günstigeres „open return ticket“ für neun Pfund. Alle 10-15 Minuten verbindet diese Buslinie den Flughafen in 25-30 Minuten mit der Stadt. Endhaltestelle ist die Buchanan Busstation. Hier habe ich direkt Anschluss an einen Bus nach Glencoe – in den Highlands. Nach beinahe zwei Stunden Fahrt hält der Fahrer an einem größeren Toilettenhäuschen. „Fünf Minuten Toilettenpause“! Brauch ich nicht, gab ja nichts zu Trinken im Flieger, aber Füße vertreten tut immer gut. Neben dem Toilettengebäude prangt ein Schild an einem unscheinbaren Gebäude „Café“. Kaffee! Meine Beine bewegen sich automatisch und zielstrebig in das Café. Drei Gäste warten vor mir. Egal. Kaffee geht doch schnell. Geht auch, aber die etwa zehn weiteren Fahrgäste des Busses verrichten ihr Geschäft allesamt schneller. Ich sehe den Bus langsam anfahren und sprinte beidarmig winkend vor die Tür. Der Fahrer hält an: „Das ist nur eine Toiletten- und keine Kaffeepause!“ Ok. So bleibe ich durstig, aber wenigstens fährt mein Gepäck nicht ohne mich weiter nach Glencoe. Dort spuckt mich der Bus dreißig Minuten später an einer Kreuzung aus. Der Anschlussbus nach Kinlochleven – meinem Ziel – kommt in 70 Minuten. Da stehe ich allein mit meinem Koffer im Regen an der Straßenkreuzung. Die Luft ist gut hier. Glencoe70 Minuten reichen sicher um eine Stelle zu finden wo Kaffee verkauft wird! Mit dem Koffer im Schlepptau tippele ich die Straße entlang und sichte es schon von weitem: das Glencoe Cafe. Im wohnzimmergroßen Raum werden hausgemachter Kuchen, Fudge und der ersehnte frisch gebrühte Kaffee serviert. Eine gute Wahl. So lässt es sich gut und trocken warten. Der Bus nach Kinlochleven ist pünktlich und 15 kurvenreiche Minuten später beziehe ich bereits das Doppelzimmer im gebuchten Allt-na-Leven Guesthouse. Mein Mann erwartet mich schon – er ist bereits seit zwei Wochen in Schottland.

Am nächsten Morgen nieselt es immer noch. Macht nichts, wir werfen unsere Regencapes über und sind abmarschbereit. Wir wollen zum Blackwater Reservoir, einem Staudamm oberhalb des Ortes. Zunächst führt der Weg parallel zum River Leven durch schönen Wald mit Birken und moosbewachsenen alten Eichen. Da fällt der Regen nicht so auf. Dem Fluss selbst wurde das meiste Wasser bereits am Oberlauf entzogen und auf diverse Rohre verteilt, die das Wasserkraftwerk in Kinlochleven speisen. Doch aus allen Furchen kommt neues Wasser hinzu und manchmal wird selbst unser Weg zum kleinen Bachlauf. Dann sehen wir einige Betonfundamente. Kinlochleven nach Blackwater ReservoirMitten im Wald. Es sind die Reste eines Gefangenen-Lagers aus dem I. Weltkrieg. Deutsche Kriegsgefangene fristeten hier ihr Dasein und bauten u.a. die Straße von Glencoe nach Kinlochleven.

Immer wieder queren wir nun kleinere Bachläufe, meist liegen dicke Trittsteine im Wasser. Doch dann stehen wir an einer Stelle mit einem tosenden Wasserfall, dessen Auslauf wir überqueren müssen. Den Weg auf der anderen Seite sehen wir, nur keinen richtigen Übergang. Wir laufen am Ufer hin und her. In unserer Wegbeschreibung wird diese Stelle mit keinem Wort erwähnt obwohl sonst jeder Trittstein beschrieben ist. Das Bachbett ist etwa drei Meter breit. Runde Steine liegen im Wasser, es ist etwa knietief mit starker Strömung. Umkehren wollen wir nicht, also: Hosenbeine hochkrempeln, Schuhe und Socken aus und durch. Das Wasser ist eiskalt, die Steine sind rund und glitschig, aber die Wanderstöcke bieten guten Halt – bis sich ein Stock von selbst um die Hälfte verkürzt als ich mich mit vollem Gewicht darauf stütze. Ich hatte ihn nicht richtig festgedreht. Kinlochleven nach Blackwater ReservoirTrotzdem erreiche ich ohne Blessuren das rettende Ufer. Geschafft. Erst mal hinsetzen und Füße trocknen. Der Überfall erfolgt ohne Warnung und ohne Erbarmen. Eine Wolke von weiblichen Highland Midges (Stechmücken) stürzt sich auf unsere nackten Beine. So schnell habe ich noch nie meine Hosenbeine, Socken und Schuhe angezogen, doch diese Blutsauger sind schneller und beißen zu. Erst denke ich „nun ja, harmlos, sie hinterlassen doch nur unscheinbare rote Flecken.“ Die Misere und mein Jammern beginnt einige Stunden nach dem Angriff: Meine Unterschenkel sehen aus, als ob ich Masern hätte und die kleinen Flecken beginnen gemein zu jucken. Andernorts ist diese Pest auch als „Sandflies“ bekannt. Jeder, der schon mal die Bekanntschaft mit diesen winzigen Insekten, etwa halb so groß wie Fruchtfliegen, gemacht hat, weiß wovon ich schreibe. Immerhin verbreiten diese Biester keine Malaria, Dengue-Fieber oder Ähnliches. Also was jammere ich. Nachdem dieses kleine Abenteuer überstanden ist kommt das nächste Hindernis: ein sanft dahin fließender Bach mit einer eingestürzten, rostigen Stahlbrücke. Diese wird in der Wegbeschreibung erwähnt – der Wanderer solle etwas oberhalb der Brücke den Bach queren. Es liegen dicke Trittsteine im Wasser, diese Passage ist überhaupt nicht der Rede wert.
Nun geht es steil bergan. Die Bäume weichen dichtem Farnbewuchs. Es wird morastiger – jetzt bewähren sich unsere hohen Wanderschuhe. Dann stehen wir vor einer Wasserleitung aus dicken Betonrohren. Auch diese wurde von deutschen Kriegsgefangenen aus dem erwähnten Camp gebaut. Mehr als 100 Jahre nach ihrem Bau ist die Wasserleitung immer noch in Betrieb. Gegen Mittag haben wir unser Ziel erreicht: das Blackwater Reservoir. Kinlochleven nach Blackwater ReservoirDer Damm wurde 1909 fertiggestellt, fast ausschließlich in Handarbeit gebaut von einem großen Aufgebot an Hilfsarbeitern, die ihr Camp auf dem Moorboden aufgeschlagen hatten. Ob die Arbeiter immun gegen Mücken waren? Wohl kaum.
Das große Wasserreservoir ist 13 Kilometer lang und etwa einen Kilometer breit. Gebaut wurde der Damm in erster Linie um den enormen Energiehunger des gerade fertiggestellten Aluminiumwerks in Kinlochleven zu stillen. Leider ist der Zugang zur Krone der Staumauer mit einem Tor verschlossen. Es wäre so einfach und bequem auf der Mauer hinüber auf die andere Seite zu gehen, damit wir nicht denselben Weg zurückwandern müssen. Keine Chance. Unbefugten ist der Zutritt untersagt. Aber wir sind nicht die ersten Besucher, die auf der anderen Talseite zurückwandern möchten. Andere vor uns haben einen Weg durch das Flussbett unterhalb der Staumauer gebahnt. Lt. Wegbeschreibung seien bei normalen Wetterbedingungen die großen Wassergebiete, die in der OS-Wanderkarte verzeichnet sind, nicht wirklich vorhanden und man könne problemlos durchgehen. Was sind wohl normale Wetterbedingungen in Schottland? Es regnet immer noch. Der Pfad ist gut zu sehen und ebenso einfach zu laufen – überhaupt nicht der Rede wert. Auf der anderen Seite stehen wir plötzlich auf einem breiten Wirtschaftsweg. Er führt Richtung Tal. Wunderbar. Auf dem sanften Hügel vor uns liegt ein kleiner Friedhof: Hier ruhen die Arbeiter, die während des Staudammbaus umkamen. Etliche verschwanden einfach nachdem sie im Kings House – etwa zehn Kilometer über die Hügel an der heutigen A 82 – einige Bier getrunken hatten und dann über die so genannte „Devils-Staircase“ zurück zum Camp wandern mussten.
Entlang eines ummauerten Wasserkanals marschieren wir auf dem breiten Wirtschaftsweg Richtung Kinlochleven. Nach fünf Kilometern mündet er auf den West-Highland-Way der steil ins Tal führt. Das Wasser wurde in dicke, schwarze Stahlrohre geleitet und stürzt darin hinab ins Tal. Am Ende wartet das Wasserkraftwerk. Kinlochleven nach Blackwater ReservoirDie dahinter liegende Aluminiumfabrik wurde im Jahr 2000 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Der elektrische Strom aus dem Kraftwerk wird ins 24 Kilometer entfernte Fort William geleitet – dort wird er immer noch für die Aluminiumproduktion benötigt. In Kinlochleven dagegen wurde im Gebäude der Alufabrik eine Kletterhalle eingerichtet – mit der größten Indoor-Eiswand Europas.
17 Kilometer und 500 Höhenmeter rauf und wieder runter liegen hinter uns. Das „Chicken Glencoe“ (mit Haggis gestopfte Hähnchenbrust im Speckmantel) beziehungsweise die Lammkeule und das Pint im „Highland Getaway“ haben wir uns redlich verdient!
Tags darauf versprühen tief hängende Wolken wieder leichten Nieselregen. Das hält uns jedoch nicht davon ab den Weg zu testen den die Staudammarbeiter zurücklegen mussten, um ein Bierchen zu trinken. Wir haben es leichter und fahren eine Strecke mit dem Linienbus bis Kings House. Von dort laufen wir die etwa 17 Kilometer zurück über die Hügel nach Kinlochleven. Dieser Weg gehört zum ersten offiziellen Fernwanderweg Schottlands – dem insgesamt 154 Kilometer langen West-Highland-Way. Er startet in Milngavie bei Glasgow und endet in Fort William. Gut 50000 Wanderer sind jährlich auf diesem Weg unterwegs, die meisten sicher jetzt in der Hauptsaison. Wir sind also nicht mehr die einzigen Wanderer wie am Blackwater Reservoir, aber ich bin dankbar für jeden der mir als farbiger Punkt durch’s Bild läuft. Es ist nebelig. West-Highland-Way nach KinlochlevenDie Landschaft hier soll aber sehr schön sein. Hab‘ ich gehört. Wir wandern auf dem Zickzackweg, der als „Devils Staircase“ bezeichnet wird, hinauf in die Wolken. Den höchsten Punkt und gleichzeitig den höchsten Punkt den West-Highland-Ways erreichen wir bei 584 m. Danach geht es durch eine weite Hochebene hinab nach Kinlochleven, dem tiefsten Punkt des Fernwanderweges.
An unserem letzten Tag vor Ort scheint tatsächlich die Sonne! Wir entscheiden uns den weiteren Verlauf des West-Highland-Ways zu laufen – von Kinlochleven über die Highlands bis nach Fort William. Mit 24 Kilometern ist es die längste und letzte Etappe des Fernwanderwegs. Der Weg, eine ehemalige Militärstraße, ist breit und gut zu laufen, alle Bäche und Flüsse sind über Brücken passierbar, herrlich. Wir treffen ein paar Schafe, wie immer sind sie auf der Flucht.Kinlochleven - Fort WilliamGern hätten wir noch einen weiteren Tag Zeit um den landschaftlich sehr reizvollen Rundweg um den Mam na Gualainn zu laufen. Nächstes Mal. Heute marschieren wir weiter Richtung Fort William. Auf der Hälfte passieren wir ein altes Zollhaus und einen abgeernteten Holzacker.
Wir streifen die Mamore Mountains und sehen dann vor uns den höchsten Berg Schottlands, den Ben Nevis (1344 m). Seine Spitze liegt versteckt unter einer dicken Wolkendecke. Dieser Berg ist natürlich auch noch ein lohnendes Ziel – sofern das Wetter stimmt. Wir steigen hinab ins Glen Nevis und machen den Fehler der Beschilderung des West-Highland-Ways zu folgen. Sie führt auf die Straße zur Jugendherberge und die letzten drei Kilometer wandern wir auf dem asphaltierten Bürgersteig entlang dieser – für schottische Verhältnisse – stark befahrenen Straße. Wer nicht in die Jugendherberge oder zum Infocenter möchte, folgt besser zunächst der Beschilderung zum Braveheart Parkplatz und danach den Wegweisern „Footpath to Center“. Dieser führt durch den Wald und ist sicher angenehmer zu laufen. Das allerletzte Stück des Weges führt seit einigen Jahren durch die Fußgängerzone von Fort William bis zur Skulptur eines gemütlich auf einer Bank sitzenden Wanderers. Um einen Hauch von Schottland mit nach Hause zu nehmen, kaufen wir aus dem großen Sortiment eine Flasche Single Malt Whisky und fahren mit dem Linienbus zurück nach Kinlochleven.
Noch eine Info am Schluss für alle die noch mehr möchten: Es gibt das West-Highland-Way-Race. Bei diesem Extremlauf joggen die Teilnehmer die 154 Kilometer nonstop – den Rekord hält laut Wikipedia Jeremy Bragg mit 15:44:50 Stunden.

Kontakte für Nachahmer:
An- und Abreise: www.travelinescotland.com
Wanderwege / Wegbeschreibungen: www.walkhighlands.co.uk/fortwilliam/glencoe.shtml
Glencoe Café: www.glencoecafe.co.uk
Übernachtung: Allt-na-Leven Guesthouse
Das Allt-Na-Leven B&B gehört zu den Besten am Ort. 74 Pfund kostet (2015) das geräumige Doppelzimmer mit modernem Bad. Es gibt neben dem üblichen Wasserkocher und diversen Teesorten auch eine gute Auswahl an Keksen, Schokolade und Bonbons. Das Doppelbett ist zwei Meter breit mit guter Matratze und breiter Decke. Das Frühstück ist nicht zu toppen. Neben dem Obstbuffet und dem üblichen Schottischen Frühstück inkl. Stornoway Blackpudding kann auch z.B. Rührei mit Lachs oder Bückling bestellt werden.
Kontakt: www.bedandbreakfastkinlochleven.co.uk