Die Osterinsel – der Nabel der Welt

Reisebericht von unserem ersten Besuch der Osterinsel im Jahr 1994

Es regnet. Nein, es schüttet wie aus Eimern. Es ist 1 Uhr in der Nacht und wir sind hundemüde. Nach fast fünf Stunden Flug sind mein Mann und ich mit etwa 100 anderen Reisenden auf der Osterinsel gelandet. Im Hotel wird uns eine winzige, dunkle Kammer zugewiesen. Die Klobrille liegt in zwei Hälften gespalten auf der Toilettenschüssel, davor strecken zwei tote Kakerlaken ihre Beinchen in die Luft. Es ist feucht, heiß und stickig, die Tapeten pellen sich von der Wand und die billige Schaumstoffmatratze ist so durchgelegen, dass wir es vorziehen auf unseren Iso-Matten auf dem Fußboden zu schlafen. So hatten wir uns das Hotel für $ 95,-/Nacht nicht vorgestellt! Das Frühstück am Morgen ist dürftig, wir fühlen uns wie gerädert und ich blättere bereits im Flugplan der LAN-Chile. Doch von allen Eilanden Polynesiens liegt die Osterinsel wohl am verlorensten in den Weiten des Pazifiks. Ein Mal pro Monat kommt ein Versorgungsschiff und ein Mal täglich fliegt LAN Chile die Insel an. Doch die Flüge sind meist ausgebucht. Wir müssen also ausharren. Wenigstens hat der Regen aufgehört.

Vom klaren, strahlend blauen Himmel scheinen die ersten Sonnenstrahlen genau auf eine Gruppe Ahu Tahaivon Statuen, die wir aus der Ferne erkennen. Wegen dieser Statuen sind wir ja auch gekommen. Wir laufen hin. Die Figuren stehen auf niedrigen Steinplattformen, eine ideale Sitzmöglichkeit für uns. Ich hole meinen Reiseführer hervor um in Erfahrung zu bringen wie die Ausgrabungsstätte heißt. Doch kaum haben wir uns niedergelassen, kommt ein Herr in Uniform (Guardaparque) und macht uns darauf aufmerksam, dass wir hier nicht sitzen dürften! „Warum nicht“, wollen wir wissen. „Dies ist die Altarplattform von Ahu Tahai, ein geweihter Ort. Alle Moais, das sind die Statuen die auf uns herabblicken, wurden zum Andenken an verstorbene Herrscher aufgestellt. In den Statuen vereinigt sich das Gedenken an den Toten mit dem familieninternen Machtsymbol, dem die Kraft des Verstorbenen innewohnt“. Wir bedanken uns für die ausführliche Erklärung und erzählen zu unserer Entschuldigung, dass wir erst heute Nacht angekommen sind und miserabel geschlafen haben. „Warum übernachtet Ihr auch im schlechtesten Hotel der Insel? Das wird doch nächste Woche geschlossen und renoviert! Hier ganz in der Nähe wohnt meine Schwägerin, sie hat ein paar Zimmer zu vermieten, vielleicht ist ja eins frei, ich bringe Euch gern zu Ihr, wenn Ihr wollt.“ Die Schwägerin, Cecilia, hat ein freies Zimmer. Hell, blitzblankes, gekacheltes Bad, gute Matratzen und – eine Terrasse mit großem Garten davor! Wie im Paradies! Etwas günstiger ist es obendrein. Sofort sprinten wir zum Hotel zurück, raffen unsere Sachen zusammen und ziehen um. Dann setzen wir uns auf die Terrasse und blättern in dem dicken Bildband von Thor Heyerdahl, der zum Inventar des Zimmers gehört.

Heyerdahl war 1955/56 mit Ausgrabungen auf der Osterinsel beschäftigt. Er vertrat die Meinung, dass die Erstbesiedlung der Insel durch Südamerikaner erfolgte. Nach der Zerstörung des Tiahuanaco Reiches (zwischen 725 und 1000 n.Chr.) sollen die Besiegten in Balsaholzfloßen auf’s Meer hinaus geflohen sein. Andere sind überzeugt, dass die ersten Siedler Polynesier waren. Eine Sage berichtet von einem Bruderstreit um die Herrschaftsfolge auf einer polynesischen Insel. Der Königssohn Hotu Matua unterlag und machte sich auf Geheiß eines Priesters auf den Weg zu einer weit entfernten Insel. Nach etwa 6wöchiger Seereise könnte Hotu Matua auf der Osterinsel gelandet sein. Wer auch immer die ersten Bewohner waren, sie erreichten nach neuesten Erkenntnissen das Eiland um 400 n.Chr.Tahai

Der Archipel ist mit 164 qkm etwa halb so groß wie Malta. 3.700 km sind bis zum amerikanischen Festland zu bewältigen. Bis nach Tahiti sind es gar mehr als 4.000 km. Für die Bewohner war diese überschaubare Landfläche mitten im Ozean der Mittelpunkt allen Seins. So nannten sie ihre Insel: Te pito o te Henua – Nabel der Welt.

Im 13. oder 14. Jh. erreichten neue Einwanderer über die Weiten des Ozeans den Nabel der Welt. Die Neuen wurden von den Alteingesessenen freundlich aufgenommen. Es begann eine rege Bautätigkeit, mit immer gigantischer werdenden Moais. Durch das enorme Bevölkerungswachstum wurde jedoch die Versorgungslage kritisch. Es kam zu einem Krieg zwischen den beiden Völkern bei dem die Alteingesessenen unterlagen. Mit diesem Ereignis stoppte auch die Herstellung der Statuen.

Geschichte der Osterinsel seit ihrer Entdeckung durch die Europäer

Wenige Jahre später, am Osternachmittag des Jahres 1722, landeten der Holländer Roggeveen mit seinen Begleitern als erste Europäer auf der Insel. Aus dem Nabel der Welt wurde die Osterinsel. Roeggeween sah eine bewaldete Insel mit wohlgenährten, freundlichen Menschen. Als die Holländer wieder lossegeln wollten, wurde durch ein Missverständnis ein Eingeborener an Bord erschossen, ein Dutzend andere starben an Land im Kugelhagel. So verlief die erste Begegnung der Insulaner mit dem Rest der Welt!

50 Jahre später kamen die nächsten Besucher, dieses Mal sind es Spanier. Mit zwei Priestern und einem stattlichen Aufgebot an Soldaten gingen sie an Land. Sie stellten drei Kreuze auf, sangen, schossen Salut und erklärten die Insel für spanischen Besitz. Aus der Osterinsel wurde die San Carlos Insel. Einige Jahre danach kamen Engländer und kein geringerer als Kapitän James Cook. Nur wenige Menschen ließen sich blicken, sie waren mürrisch und desinteressiert. Cook berichtete von einer völlig waldlosen und kahlen Insel. Die von Skorbut geplagten Engländer konnten lediglich Süßkartoffeln von den Einheimischen beschaffen. Dabei wurden sie auch noch über’s Ohr gehauen, denn in den großen schweren Körben befanden sich unter den wenigen Kartoffeln nur Steine.

Was war geschehen? Einige tausend Menschen lebten in absoluter Abgeschiedenheit auf dem kleinen Eiland. Auf Grund des steten Kampfes um Vorherrschaft und Überleben, konnte nur ein ausreichender Nachwuchs Stammesstärke und Macht sichern. Die landwirtschaftlichen Erträge waren jedoch gering, sie wurden nur durch Hühner, Fische und Krustentiere aus der unmittelbaren Uferregion ergänzt. Von der Insel fliehen konnten die Menschen nicht mehr, da jegliche Gehölze, die für den Bau größerer Schiffe benötigt wurden, gefällt worden waren. Die Fälle von Kannibalismus häuften sich.

Die nächsten Besucher sind Sklavenhändler, die die Insulaner nach und nach verschleppen. Die wenigen, die nach internationalem Druck auf ihre Insel zurückkehren durften, schleppten eine bis dahin unbekannte Seuche ein: die Pocken. Die Gesamtbevölkerungszahl sank auf 110! 1888 annektierte Chile die San Carlos Insel, sie wurde wieder zur Osterinsel. Die Kontrolle wurde englischen Schafzüchtern in die Hände gelegt und die Inselbewohner wurden erneut zu besseren Sklaven. Sie wurden gezwungen im Hauptort Hanga Roa zu wohnen, der Ort wurde eingezäunt, damit die Schafe auf dem Rest der Insel frei weiden konnten.

Die Schafzüchter sind heute verschwunden. In Hanga Roa wohnen etwa 4.000 Menschen. Es gibt einen Gouverneur, einen Priester, eine Kirche, ein Krankenhaus und eine Schule. Die Insulaner dürfen wieder ihren eigenen polynesischen Dialekt sprechen und nennen ihre Insel Rapa Nui (große Insel). Das mag den Anschein einer heilen kleinen Welt geben, aber auch nach Rapa Nui liefert Satellitenfernsehen und Internet den Rest der Welt direkt ins Haus. Es gibt Probleme mit Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und 1991 wurde der erste Aidskranke gemeldet.

Besuch bei den Moais – den Statuen der Osterinsel

Rano RarakuAm nächsten Tag leiht uns Cecilia ihren Wagen und wir fahren gut 10 Km zum Vulkankrater Rano Raraku, der als Steinbruch für die Statuen diente. Am Hang des Steinbruchs schauen uns die aus der Erde ragenden Köpfe mit ihren leeren Augenhöhlen an. Es handelt sich jedoch nicht nur um Köpfe, sondern um verschüttete Statuen, nur das obere Drittel ragt aus der Erde heraus. Weiter oben am Berg liegen die halbfertigen Riesen wie auf einem Schlachtfeld kreuz und quer nach allen Richtungen. Der Guardaparque ist auch hier sehr freundlich. Als er merkt, dass unser Spanisch passabel ist legt er begeistert los: „Mit einfachen Steinmeißeln wurde das Tuffgestein unter Zuhilfenahme von Wasser aus Kalebassen bearbeitet. 30 Steinmetzen benötigten etwa ein Jahr für die Vollendung einer durchschnittlich großen Statue von 5-6 m Höhe. War die Statue fertig wurde sie den Hang hinunter geschoben und wartete auf ihren Abtransport. Insgesamt stehen hier noch 276 Statuen zum Transport an den eigentlichen Bestimmungsort bereit – einer ahu Plattform an der Küste.“ „Wie sind denn die Statuen zu den Plattformen gekommen? Das sind doch Strecken von 10-20 km ohne Zugtiere, ohne Kräne?“ Die Einheimischen behaupten: „Die Statuen sind einfach gegangen!“ Nun ja, die Wissenschaftler haben etliche Theorien, aber genau weiß es niemand.

Ahu A Kivi240 Ahus stehen entlang der gesamten Küstenlinie; von seiner Lage her einer der schönsten von ihnen ist der ahu Nau-Nau in der Bucht von Anakena. Die Moais stehen wieder aufgerichtet auf der Altarplattform. Auf ihren Köpfen thronen schwere rote Steine wie eine Art Hut. Mit schwarzen Augen aus Obsidian schauen sie erhaben aus 5 Metern Höhe auf uns herab. Die Bucht von Anakena hat einen der beiden Sandstrände der Insel. Ein idealer Ort für unser Mittagspicknick! Als Nachtisch haben wir Baby-Ananas vom Markt mitgenommen, sie werden auf der Insel angebaut und schmecken einfach köstlich!

Zu den beeindruckendsten Ahuplattformen zählt sicher der Ahu Vinapu. Wie Käse geschnitten, ohne Fugen oder Löcher und sauber aneinandergepasst schmiegen sich die gewaltigen Steinblöcke mörtellos zu einer Mauerwerkseinheit zusammen. Die Quader besitzen Abmessungen von wahrhaft beeindruckenden Maßen. Längen von 2,85 m und Höhen von bis zu 1,60 m sind die Regel. Nur im südamerikanischen Hochland gibt es vergleichbare Bauwerke. Der ahu Vinapu jedoch ist der einzige ahu der Osterinsel, der mit einer  solchen Präzision geschaffen wurde. Der Ahu Vinapu liegt am Fuß des Rano Kao, dorthin werden wir morgen zu Fuß wandern.

Zeremonialzentrum von Orongo – Besuch beim Vogelmann

Da es nachmittags recht heiß wird brechen wir schon um 6.30 Uhr auf. Es ist noch stockfinster draußen, aber wozu haben Ahu Tahaiwir denn unsere Taschenlampen mitgenommen! Einige fröhliche Teenager kommen uns laut singend entgegen. Sie sind auf dem Nachhauseweg von einer Party und amüsieren sich köstlich über die verrückten Touris, die um diese Uhrzeit schon mit dem Rucksack durch die Gegend wandern. Wir lassen den Ort hinter uns und laufen auf einem breiten unbeleuchteten Lehmweg. Es ist totenstill, nicht mal ein Vogel ist zu hören. Rechts ist ein kleines Gebüsch, linker Hand stehen Bananenstauden. Plötzlich, wie aus dem Nichts, schnellen drei große Hunde laut bellend aus dem Gebüsch hervor und springen an uns hoch. Sie wedeln alle freudig mit dem Schwanz, aber einen solchen Adrenalinstoß habe ich schon lange nicht mehr gehabt. Wir marschieren weiter und ignorieren die Hunde, aber das beeindruckt sie wenig. Sie haben uns adoptiert und weichen für den Rest des Tages nicht von unserer Seite. Nach gut zwei Stunden Fußmarsch stetig bergauf, erreichen wir den Rand des tausend Meter breiten Vulkankraters Rano Kau. Im See auf dem Kratergrund gedeiht totora Schilf.

Unser heutiges Ziel liegt am Rande des Kraters. Es ist ein Kultzentrum hohen Ranges, das Zeremonialzentrum von Orongo. Bis 1876 fanden hier Zeremonien statt. 48 ovale Gebäude wurden in den Hang hineingebaut. Die Hauptattraktion sind jedoch 150 in Stein gemeißelte Vogelmänner am Rande der Klippen. Es sind menschliche Körper die Vogelköpfe tragen und manchmal ein Ei in der Hand halten. Was hatte es damit auf sich? Ein Mal im Jahr versammelten sich die Würdenträger der auf der Insel ansässigen Stämme an diesem Ort zur Wahl des religiösen Oberhauptes, des so genannten Vogelmannes. Ihm oblag der Schutz der Insel und somit die Sorge für Frieden und Wohlfahrt. Der Termin fiel mit dem Beginn der Brutzeit der Seeschwalben zusammen, die auf dem vorgelagerten Felsen Moto Nui nisteten. Kaum dass die erste Schwalbe gesichtet wurde begann der Kampf um das erste Ei. Ausgewählte Männer stürzten sich in die Brandung, bargen ein Ei, schwammen zurück und erklommen über die steilen Klippen das 300 m hoch gelegene Plateau von Orongo. Der Erste, der mit einem unbeschädigten Ei zurückkehrte, übergab es seineMake Makem Obmann welcher damit zum Vogelmann für das kommende Jahr auserkoren war. Der Vogelmann war die höchste religiöse Instanz und fungierte als Mittler zwischen den Menschen und dem Gott Makemake. Makemake galt als Schöpfer und Erhalter der Welt. Der neue Vogelmann lebte ein Jahr lang in der Abgeschiedenheit von Orongo als Einsiedler. Die Vielzahl der Petroglyphen auf Orongo überrascht, aber die Legende berichtet, dass sich jeder Vogelmann in dieser Form verewigen ließ. Andere Petroglyphen, die auf der ganzen Insel zu finden sind, stellen Tiere dar. Eine Meeresschildkröte, Vögel im Flug, ein Wal oder ein Hai oder auch der Gott Makemake.

Nachdem wir Cecilia am Abend von unserem Ausflug nach Orongo berichtet haben erzählt sie uns, dass neben Makemake noch unzählige Teufel und Hexen sowie gute und böse Dämonen existieren. Cecilia ist gebürtige Insulanerin, keine Festlandchilenin. „Früher“, sagt sie „besaß jede Familie ihren eigenen Schutzgeist, den Aku Aku. Um den bösen Einflüssen zu entgehen, schnitzten die Menschen kunstvolle Holzfiguren von tiefer religiöser Bedeutung. Diese Holzfiguren übten auf den Besitzer eine erhebliche Schutzfunktion aus. Der Aku Aku hält böse Dämonen fern und gewährt guten Geistern Einlass. Aku Akus findet Ihr im Museum von Sebastian Englert , gleich um die Ecke“. Im Museum erfahren wir noch viel mehr über die Lebensweise der Menschen von Rapa Nui. Von den einzigen schriftlichen Aufzeichnungen auf hölzernen Schrifttafeln, den so genannten Rongorongo Tafeln sind nur noch wenige erhalten. Allesamt sind sie kaum älter als 250 Jahre. Auf Geheiß der ersten Missionare wurden die meisten Rongorongo Tafeln verbrannt. Bis heute ist es noch keinem Wissenschaftler gelungen, die Schriftzeichen vollständig zu deuten. Weder die Sprache, in der die Texte abgefasst sind, ist bekannt, noch sind die Ideogramme klar zu erfassen. Auch hier gibt es noch viele Rätsel und viel zu tun.

Unsere Zeit auf der Insel ist leider viel zu schnell vorbei. Cecilia bringt uns zum Flughafen. Zum Abschied hängt sie jedem von uns eine wunderschöne Kette aus Muscheln und getrockneten Hülsenfrüchten um den Hals – als Glücksbringer und damit wir wiederkommen. Das versprechen wir ihr gern!

Weitere Infos zur Geschichte der Osterinsel und dem heutigen Leben finden Sie auf der Seite Osterinsel.de

Außerdem empfehle ich meinen Reisebericht aus dem Jahr 2016 – Zum Wandern auf die Osterinsel sowie die Beschreibung des Gottesdienstes am Sonntag.