Auf die Osterinsel – zum Wandern

„Was willst Du denn 10 Tage auf so einer kleinen Insel?“ musste ich mich von Freunden fragen lassen. Die meisten Touristen besuchen die 4000 km von der chilenischen Küste entfernt gelegene Osterinsel für drei bis fünf Tage wegen ihrer Steinstatuen, den Moais. Zugegeben, an den mehr als 800 um die Insel verteilten Statuen komme auch ich nicht vorbei, aber ich möchte mich gern bewegen und neben der Kultur auch die Natur genießen. Zum Akklimatisieren möchte ich den ersten Tag ruhig angehen. Nachdem ich mich morgens im Hauptort Hanga Roa etwas umgesehen habe, schaue ich in die Karte. Zum Ahu Akivi sind es viereinhalb Kilometer  –  also neun hin und zurück. Dort stehen sieben Moais die beinahe als einzige auf’s Meer hinaus blicken. Nachmittags steht die Sonne aus fotografischer Sicht richtig, also mache ich mich auf den Weg. Das ist nicht mehr als ein verlängerter Sonntagsspaziergang! Stimmt. Zu Hause. Im Wald, auf weichem Erdboden unter Schatten spendenden Bäumen. Zum Ahu Akivi führt jedoch nur eine sauber geteerte Straße. Gut zu finden, aber ohne Schatten. Es ist wie im Backofen  – die Sonne sorgt für Oberhitze, der dunkle Straßenbelag für Unterhitze.Weg nach AkiviZum Glück gibt es am Ziel frisch gepressten Ananassaft. Meine Rettung. Die Baby-Ananas werden auf der Insel geerntet und sind außerordentlich aromatisch.Ahu AkiviFür den Rückweg entscheide ich mich wegen der Abwechslung für die Parallelstraße. Sie ist leider genauso öde. Wo ich schon mal am Weg bin, mache ich einen Schlenker den Hügel Puna Pau hinauf. Hier liegen verstreut einige zylinderartige rote Steine. Der größte misst mehr als zwei Meter im Durchmesser. Es sind die Kopfbedeckungen bzw. Haarknoten der Moais. Den roten Tuffstein gibt es nur hier. Die Aussicht Richtung Hanga Roa ist nett und es weht eine erfrischende leichte Brise. Wenn ich nur nicht noch gut drei Kilometer zu laufen hätte!Puna PauDie Sonne brennt. Landstraße. Felder. Wiesen. Kein Schatten. Ein Hund erscheint von irgendwo her und begleitet mich ein Stück. Es kommt wohl nicht so oft jemand zu Fuß vorbei. Ein junger Motorradfahrer bremst und fragt mit Gesten ob ich mitfahren möchte. Zu fremden Männern in einem fremden Land auf ein Motorrad steigen? Nein, lieber nicht. Soweit die Füße tragen. Ein Schuppen am Wegrand. Eine Fruteria.FruteriaHier werden einheimisches Obst wie Ananas und Bananen sowie Gemüse wie Tomaten, Süßkartoffeln, Zwiebeln verkauft. Ich erstehe zwei Bananen und das zucker- wie coffeinhaltige Erfrischungsgetränk in der roten Dose zur Wiederbelebung. Wieso sind die paar Kilometer so anstrengend? Sechs Stunden Zeitverschiebung und der Jahreszeitenwechsel von Winter auf hochsommerliche Hitze sind wohl Schuld daran, dass ich mich geschafft fühle. Beim Bezahlen höre ich mich fragen, ob mir die Verkäuferin möglicherweise ein Taxi rufen könne. Selbstverständlich, kein Problem. Sie telefoniert und meldet, dass es etwa eine halbe Stunde dauern wird. Egal. Ich bekomme einen Stuhl angeboten und verspeise mit weit von mir gestreckten Füßen genüsslich meine Bananen. Das Taxi kommt. Ein leicht übergewichtiger Herr hebt sich vom Beifahrersitz  und übernimmt den Gemüseverkauf. Die Verkäuferin setzt sich auf den Beifahrersitz. „Ich muss ein Medikament aus der Apotheke holen“, erklärt sie mir. Eine echte Win-win-Situation, ich zahle auch weniger und als ich sehe, dass der restliche Weg im Wesentlichen an der 3,4 Kilometer langen Start- und Landebahn des Flughafens entlang geht, bin ich mehr als froh gefahren zu werden. Ich bin lernfähig. Zum Einstieg wäre der Weg entlang der Steilküste zur Ana Kai Tangata Höhle oder – etwas länger – der Weg durch das kleine Waldstück hinauf zum Rano Kao besser gewesen. Außerdem sollten Wanderungen bis spätestens 14 Uhr abgelaufen sein oder nach 16 Uhr starten – die Sonne geht im Februar erst gegen 21 Uhr unter.Ahu Tahai; Ahu Ko Te Riku

Ahu Tongariki – 15 auf einen Streich

Sonnenaufgang ist gegen 8 Uhr und beim 20 km entfernten Ahu Tongariki am schönsten. Ich miete ein Auto und mache mich eine gute Stunde vor Sonnenaufgang auf den Weg. Vor mir fährt tatsächlich noch ein Wagen mit demselben Kurs und dann ist auch noch ein Gefährt hinter mir. Rush-hour! Am Ahu Tongariki angekommen, erwische ich den vorletzten Parkplatz! Gut 100 Touristen, ein jeder mit fotografischem Gerät ausgestattet, warten im Halbdunkel. Taschenlampen leuchten, Handys blitzen hin und wieder. Es dämmert. Es wird 8 Uhr, die Sonne sollte da sein. Ist sie gewiss auch, aber hinter dicken schwarzen Wolken. Diese bringen Regen. Viel Regen. Die Entscheidung für den Suzuki Jimmy war heute genau richtig. Die meisten Besucher verlassen fluchtartig das Terrain und fahren zurück nach Hanga Roa zum Frühstück. Ich habe meinen Kaffee dabei und frühstücke im Auto. Plötzlich bin ich ganz allein hier. Ich steige aus. Fünfzehn Moais mit unterschiedlichen Gesichtszügen starren mich an. Moais sind Darstellungen verstorbener Dorf- oder Clanoberhäupter. Sie blicken auf die Ansiedlung zu ihren Füßen, somit wacht ihr mana (ihre Seele oder ihr Charisma) immer noch über ihre Familie auch wenn das Dorf und die Bewohner längst verschwunden sind. Eine Tsunamiwelle hatte die Moais des Ahu Tongariki 1960 von ihrem Sockel gespült. Mit Hilfe einer japanischen Baufirma wurden alle fünfzehn wieder aufgestellt. Ich mache ein Selfie (auf altmodische Art mit Stativ) und fahre weiter.
Ahu TongarikiÜberall am Wegrand sind kleine und größere Pferdeherden unterwegs. Der Autovermieter hatte mich eindringlich vor den frei laufenden Tieren gewarnt: Ihnen sollte ich besonders vorsichtig begegnen, da sie unberechenbar sind und es schon etliche schwere Unfälle mit Pferden gegeben habe. Pferde wurden Ende des 19. Jahrhunderts von Missionaren eingeführt und haben sich seitdem unkontrolliert vermehrt. Etwa 3000 Tiere gibt es zurzeit. Alle haben einen Besitzer, doch können sie sich frei auf der Insel bewegen. Sie laufen überall hin, egal ob hübsch angelegter Garten mit allerlei schmackhaften Blumen und Kräutern oder Archäologische Stätten – ein Tabu kennen sie nicht. Unvermittelt steht ein ganzer Familienverband vor mir – mitten auf der Straße. Sie laben sich am Wasser der gerade nach dem letzten Regenguss entstandenen kleinen Pfützen. Ich hupe. Ein leichtes Augenzucken aber ansonsten keine Reaktion. Das Wasser ist frisch und sie haben schließlich Durst. Muss ich doch verstehen! Ich überlege kurz, ob mein Fotostativ als Pferdevertreibungsgerät einsetzbar sein könnte. Ich versuche es nochmals mit Hupen in Verbindung mit Lichthupe. Einer der Hengste bequemt sich daraufhin ein Stückchen zur Seite zu gehen, so dass ich halb durch den Graben aber immerhin an ihnen vorbeifahren kann. Danke!Pferde am Rano Raraku

Rano Raraku – der Steinbruch

Die Einfahrtsstraße zum Rano Raraku, dem „Geburtsort“ aller Moais, ist ab 9 Uhr geöffnet. Trotz  starkem Wind und erneutem Regen marschiere ich los. Rano RarakuDer ganze Hang steht voller Figuren deren Köpfe mehr oder weniger aus dem Gras ragen. Einige sind noch unvollendet mit der Felswand verbunden, die meisten jedoch stehen am Hang des Berges zum Abtransport bereit. Beinahe 400 an der Zahl. Warum wurde gerade dieser Hügel als Steinbruch genutzt? Die fertigen Figuren mussten von hier schließlich bis zu 20 Kilometer zu ihrem Bestimmungsort transportiert werden. Dieser Berg besteht im Gegensatz zu den anderen Hügeln, aus Tuffstein, ein relativ weiches vulkanisches Gestein. Mit einfachen Steinmeißeln aus dem härteren Basaltstein brauchten die Arbeiter etwa ein bis zwei Jahre bis der Moai fertig war. Wenn er dann beim Transport zerbrach, wurde er liegen gelassen und ein neuer Moai musste aus dem Fels gehauen werden. Vom Fuß des Rano Raraku gibt es den 2,5 Kilometer langen Wanderweg „Ara O Te Moai“ auf der „Straße der Moai“ zu Fuß bis ans Meer. Hier liegen etwa ein Dutzend Moais, die es nicht bis zu ihrem Bestimmungsort am Meer geschafft haben.
Nach diesem stark moailastigen Tag kann ich keine Steinfiguren mehr sehen! Es sind einfach zu viele. So lasse ich mich am nächsten Tag mit dem Taxi ans andere Ende der Insel bringen. Das sind nur 23 Kilometer. Die palmenbestandene Bucht von Anakena mit ihrem breiten Sandstrand und den fünf Moais lasse ich einfach rechts liegen. Heute ist Wandern angesagt.Nordküste

Die Nordküste – von Anakena nach Te Peu

Ich möchte die Nordküste umrunden und bin in sechs Stunden wieder mit meinem Taxifahrer verabredet. Für  die 15 Kilometer sollte die Zeit reichen. Überall liegen schwarze Basaltsteine wie Murmeln dahingestreut zwischen verdorrtem gelblichem Gras. Der breite Fahrweg geht bald in einen Pfad über. Die Küste ist steil, schwarz und unwegsam. Wie enttäuscht müssen die frühen Seefahrer gewesen sein, nach Monaten auf hoher See kommt endlich eine Insel, aber sie sehen zunächst keine Möglichkeit an Land zu gehen. Mir fällt ein Steinhügel direkt an der Küste auf. Es ist der Ahu Vai Tara Kai Ua mit winzigen stark verwitterten Moai. Dann folgt Ahu Papa Tekena. Gleich danach steht in der Senke von Hanga Oteo sogar ein Haus, aber Menschen leben hier nicht. Nur ein paar Pferde. Den Weg muss ich jetzt suchen und bin nie sicher, ob es nur ein Pferdepfad oder mein Weg ist. Aber die Küste ist ein guter Wegweiser. Es folgen Ahu Vai Mata, Ahu Maittaki Te Moa und ein paar Petroglyphen. Eigentlich hatte ich doch heute „moaifrei“! Die Ahus mit ihren Steinstatuen sind einfach allgegenwärtig auf  dieser Insel, niemand entkommt ihnen.Nordküste, PetroglyphenIch mache Mittagspause. Ein Chimangokarakara schaut mir interessiert zu. Diese Greifvogelart wurde Anfang des letzten Jahrhunderts eingeführt, um gegen die von den frühen Siedlern mitgebrachten Ratten und Mäuse der Insel vorzugehen. Fressfeinde hat er nicht, Futter findet er reichlich und vermehrt sich prächtig.Nordküste, ChimangoDie Küste wird steiler und der Weg zieht sich. Eigentlich sind es nur noch 2,8 km bis zur Straße, aber ich brauche gut 45 Minuten, da ich den Weg immer wieder suchen muss und im Zickzack um die Steine marschiere. Endlich: Te Peu. In Te Peu gibt es Überreste der elliptischen Boothäuser (Hare Paenga) und ein einzelnes Hare Moa (Hühnerhaus). Die Siedlung muss einmal riesig gewesen sein. Außerdem entdecke ich eine Gruppe von Manavai (Steinkreisen). In diesen Steinkreisen wurden Nutzpflanzen gezogen – die Wand aus Steinen schützte sie vor dem starken Wind und vor dem Austrocknen. Hier verlasse ich die Küste und laufe auf dem breiten Fahrweg bequem meinem Taxi entgegen. Ich bin 15 Minuten vor der vereinbarten Zeit am Ziel und klopfe mir auf die Schulter. Leopoldo, mein Taxifahrer, erwartet mich allerdings schon!Ahu Te Peu

Der höchste Berg: Terevaka

Ein Ort der garantiert moaifrei ist, ist der Terevaka, mit 507 m der höchste Hügel der Insel und der jüngste der drei erloschenen Hauptvulkane. Bei schönem Wetter ist die Aussicht phantastisch, man überblickt die ganze Insel. Wie klein sie doch ist! Mit 164 km² ist sie zwei km² kleiner als die Stadt Wuppertal. Hier oben denke ich an die ersten Siedler. Wie mögen sie sich wohl gefühlt haben umgeben von Wasser soweit das Auge reicht. Ich verstehe, dass sie ihre Insel als Nabel der Welt (Te Pitu Te Henua) begriffen. Die ersten Siedler kamen um 600 n.Chr. aus Polynesien möglicherweise von der Inselgruppe der Marquesas. Sie fanden ein kleines Paradies vor: mit dichtem Urwald bewachsene Hügel, essbare Früchte, viele Seevögel und ein reiches Angebot an Fischen. 1500 Jahre später ist die Insel weitestgehend kahles Grasland; die Palmen und Eukalyptusbäume, die der Besucher heute sieht, sind Wiederanpflanzungen. Wenn die Bewohner die Insel verlassen möchten oder müssen – zum Studieren, zum Arbeiten, für eine größere Operation oder einfach mal für einen „Tapetenwechsel“ nehmen sie das Flugzeug. Das ist schnell, aber weit weg und teuer ist es immer noch.Terevaka

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