Carcass Island im Nebel – Reisebericht

5:30 Uhr. Mein Wecker piepst. Mein Gatte zieht seine Decke über den Kopf. Ignorant! Dabei rufen sie uns doch schon mit eselartigem Geschrei: Magellanpinguine. Eigentlich rufen sie nicht uns, natürlich nicht. Die Pinguine verabschieden sich, wie jeden Morgen, lautstark von ihren Jungtieren und ihren Partnern um im Meer nach Futter für den Nachwuchs zu suchen. Hier, auf Carcass Island, einer Insel im Nordwesten des Falklandarchipels, brüten viele Magellanpinguine rund um die einzige Unterkunft. Also nichts wie raus aus dem gemütlichen Zimmer, auch wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Eiskalte dichte Nebelschwaden empfangen mich. So baue ich fix mein Stativ am Strand auf und versuche die Magellanpinguine, die sich drehen, wenden und die Köpfe schütteln, passabel abzulichten. Nach wenigen Minuten sind sie in den Weiten des Meeres verschwunden. Zeit für mich, auch ins Wasser zu gehen: unter die heiße Dusche.

Magellanpinguine im Morgennebel

Es ist unser letzter Tag auf Carcass. Wir sollen heute mit dem ersten Flug gegen 9:30 Uhr auf die nächste Insel nach Saunders fliegen – der Flug dauert nur 10 Minuten. Diese Information haben wir aus dem Radio. Jeden Abend nach den 18 Uhr-Nachrichten und dem Wetterbericht folgt der aktuelle Flugplan der innerfalkländischen Airline FIGAS, der nach Bedarf und Wetterlage erstellt wird. Die jeweiligen Passagiere werden namentlich im Radio genannt. Da die Piloten der 9-sitzigen Maschinen des Typs Islander auf Sicht fliegen, haben wir bei Nebel schlechte Karten. Es weht eine ordentliche Brise; sie könnte den Nebel wegblasen. Tut sie aber nicht. Das Flugfeld mit dem Häuschen für den Feuerlöschanhänger ist nur konturenhaft zu sehen. Schnell steht fest: Das wird heute nichts! Wir dürfen eine Nacht länger auf Carcass bleiben.

Zu Fuß machen wir uns auf den einstündigen Weg zu den großen Kolonien der Magellanpinguine am anderen Ende der Bucht. Magellanpinguine gehören zu den Brillenpinguinen und sind Höhlenbrüter. Die Höhlen graben sie meist selbst. Während der Brutzeit geht nur ein Elternteil auf Jagd nach Fischen und Krill, doch sind die Küken größer und gefräßiger gehen beide auf Futtersuche. Im Alter von etwa 30 Tagen verlassen die Kleinen ihre Bruthöhlen und bilden mit anderen Jugendlichen ihrer Art große Gruppen. Gemeinsam warten sie auf die Heimkehr der Eltern. Auf den Falklandinseln sind Magellanpinguine die schreckhaftesten und ängstlichen aller Pinguinarten. Kommen wir den Tieren zu nah, ergreift die gesamte Gruppe panikartig die Flucht.

Jugendliche Magellanpinguine

Die halbwüchsigen Magellanpinguine stehen in Strandnähe in großen Gruppen zusammen. Sie sind beinahe flügge und die meisten ihrer Daunenfedern sind bereits ausgefallen. Einige sehen wirklich übel zerrupft aus. Der Strand ist an manchen Stellen übersät mit Federn. Im Nebel sieht alles sehr ruhig und ein bisschen gespenstisch aus. Auch die Pinguine sind im Nebel entspannter – so scheint es für uns.

Magellanpinguinkolonie

Gegen Nachmittag heben sich die Wolken etwas. Wir marschieren Richtung Strand im Nordwesten von Carcass. Kurz bevor wir den Sandstrand erreichen stehen wir plötzlich direkt vor einem massiven braunen Koloss der uns den Weg versperrt. Er blinzelt uns direkt an.

Schlafender Seeelefant, Carcass IslandWir legen den Rückwärtsgang ein. Seeelefanten haben sich zum Schlafen hierhin zurückgezogen. Seeelefanten sind die größten Robben der Welt. Die Männchen können bis zu sechseinhalb Meter lang werden, die Weibchen hingegen werden nur halb so groß. Wir wollen nicht stören, aber natürlich Fotos aus der Nähe machen. So pirschen wir uns in das hohe Tussockgras am Rande des Strandes. Das ist jedoch keine so schlaue Idee. Es gibt keine direkten Wege durch das Gras. TussockgrasManchmal sind die Büschel so dicht nebeneinander gewachsen, dass wir uns nicht zwischendurch quetschen können. So laufen wir im Zickzack. Das Gras ist höher als wir, beinahe verlieren wir die Orientierung. Wir horchen auf das Meeresrauschen und versuchen parallel zu bleiben.

Eine Lichtung. Wunderbar. Doch ans Wasser kommen wir auch hier nicht. Eine ganze Familie Seeelefanten liegt schlafend im Sand. Sie schnarchen laut. Ganz langsam schleichen wir näher an die Gruppe heran, immer darauf gefasst schnell wegzurennen, falls ein männliches Tier erwacht und sich bedroht fühlt. Genervt werden sie allerdings von den Einfarb-Uferwippern (Tussockbirds). Die flinken Sperlingsvögel suchen nach Speiseresten und Wirbellosen und picken ständig in kleineren Wunden der Seeelefanten. Ganz mutige trauen sich sogar ans Maul der Giganten. Die rüsselartige lange Nase wächst nur den männlichen Tieren.

Seeelefant mit Einfarb-Uferwipper

Endlich finden wir einen Zugang zum Strand, doch die Enttäuschung ist groß. Der flache Sandstrand ist übersäht  Seetang (Kelp) und Felsbrocken. Kein Seeelefant in Sicht. Als wir gerade zur Strandwanderung ansetzen wollen, hebt der Stein direkt vor uns den Kopf: Ein weiblicher Seeelefant schaut mit großen Augen erschreckt auf und macht sich sofort bereit zur Flucht ins Meer.

Seeelefanten auf Carcass Island

Alles was von weitem wie große Steinbrocken aussah, sind schlafende Seeelefanten aller Altersgruppen und Geschlechter. Etwa 40 Tiere zählen wir. An Land wirken sie auf Grund ihrer Masse sehr plump und träge – im Wasser hingegen sind sie behände und schnell. Seeelefanten können bis zu einer Tiefe von 2388 Meter tauchen. Auf Grund ihrer Körpermasse haben sie ein enormes Blutvolumen, das viel Sauerstoff aufnehmen und speichern kann. Während sich die meisten Tiere am Strand und in den Dünen ausruhen, begeben sich zwei Jugendlich für ein kleines Rangkämpfchen ins Wasser.

Schlafende Seeelefanten

Carcass Island wurde vom Kapitän der HMS Carcass 1766 entdeckt. Seit mehr als 100 Jahren ist die Insel besiedelt und genauso lang wird auch schon Schafzucht betrieben. Doch anders als auf vielen anderen Falklandinseln wurden weite Teile eingezäunt, damit die Schafe nicht überall weiden konnten. Das Tussockgras hinter dem Zaun wurde als Winterfutter verwendet. Auf die Insel wurden weder Katzen noch Ratten eingeführt. Somit konnten endemische Tierarten wie Zaunkönig und Einfarb-Uferwipper (Tussockbird) überleben, deren Nester andern Orts durch eingeführte Prädatoren geplündert wurden.

Tussockbird, Einfarb-UferwipperDas Wetter auf Carcass kann auch Sonne! Das stellen wir an unserem tatsächlichen Abreisetag fest. Die wetterbedingte Zwangsverlängerung hat sich gelohnt. Der Strand vor dem Haus sieht ohne Nebel richtig karibisch aus – nur das Thermometer schafft es selten über die 15-Grad-Marke. Seit einigen Jahrzehnten gehört die Insel Rob und Lorraine McGill. Ihre Haupteinnahmequelle ist der Tourismus. Neben sechs Zimmern im Farmhaus, die inklusive Vollpension vermietet werden, machen auch Kreuzfahrtschiffe hier Rast. Die Passagiere werden mit Schlauchbooten angelandet und haben dann drei Stunden Zeit zum Besuch der Insel. Dazu gehört in jedem Fall der Genuss der selbst gebackenen süßen Köstlichkeiten. Zum Viehbestand der McGills gehören gut 800 Schafe und etwa 20 Kühe, die täglich frische Milch und Sahne liefern. Die Hühner konnten sich leider nicht halten: Die zahlreichen Falklandkarakaras plünderten die Nester und raubten die Küken. So kommen die Eier von der Nachbarinsel Saunders – unserem nächsten Ziel.