Durch das Dartmoor an die Küste von Devon

Ich steh‘ im Nebel, in ziemlich dichtem Nebel sogar. Aber das ist ganz normal in dieser Gegend – sagte man mir. Ich bin allein auf einer Wandertour von Ivybridge nach Holne quer durch das berüchtigte Dartmoor, ein Nationalpark im Süden der Britischen Insel. Neben mir taucht schemenhaft der dunkle Körper eines großen Tieres auf, der Kopf ist tief im herbstlich braunen Farn versenkt. Mir schießt sofort das Bild vom „Hound of Baskerville“ in den Kopf, aber dieses Riesenvieh ist ganz friedlich. Es frisst. Wohl ein Rind. Die dürfen hier frei weiden. Hab‘ ich gelesen. Ich will gerade meinen Gang beschleunigen, denn Kühe oder gar Bullen sind mir unheimlich solange mich kein schützender Zaun von ihnen trennt, da hebt das Tier seinen Kopf und schaut mich kauend an:

Weg von Ivybridge nach Holne

Ein „Mähnenrind“ oder besser Dartmoor-Pony! Dahinter gleich noch eins. So schnell und so nah hatte ich nicht mit ihnen gerechnet. Etwa 3000 Dartmoor-Ponys gibt es, die frei im Moor umherstreunen. Es sind keine richtigen Wildpferde, sie gehören Bauern, doch grasen sie das ganze Jahr über frei. Ich bin entzückt. Schnurstracks marschiere ich mit schussbereiter Kamera in den dichten Farn hinein um ein paar Portraitaufnahmen zu machen. Die Ponys bewegen sich natürlich; ich hinterher.

Als ich nach diesem ersten Adrenalinschub wieder zur Besinnung komme, habe ich zwar meine Fotos im Kasten stehe aber mitten im dicht bewachsenen Farnfeld im Nebel. Rings um mich herum sieht alles gleich aus. Meinen Weg sehe ich nicht mehr, ich habe nur noch eine vage Ahnung in welcher Richtung er sein sollte.

Well done, Astrid! Genau das wollte ich doch vermeiden! Jetzt kommt mein nagelneues GPS das erste Mal zum Einsatz: Auf dem Display sehe ich woher ich gestiefelt bin und wo meine eigentliche Route verläuft. Sicher geleitet mich der GPS-Pfeil auf meinen Wanderweg zurück. Großartig! Von nun an gelobe ich auf meinem Weg zu bleiben und laufe gemütlich vor mich hin trällernd auf der breiten ehemaligen Bahntrasse weiter. Im Dartmoor wurde vor fast 200 Jahren Granit in hohem Maße abgebaut, der mittels Eisenbahn zum nächsten Gewässer transportiert wurde; viele historische Gebäude und Brücken in London wurden aus Dartmoor-Granit erbaut. Die meisten Schienen sind heute abgebaut; einige Trassen wurden zu Wander- und Radwegen umfunktioniert. Es gibt nur noch ein paar kleine Stücke aktive Bahntrasse entlang des River Dart und bei Okehampton auf denen Dampfzüge für Touris fahren.

Die Landschaft ist hügelig, mit Gras, Farn, Ginster und Heide bewachsen. Vereinzelt steht ein verkrüppelter Baum. Viel höher als einen halben Meter werden die Gewächse im hohen Moor nicht. Der Nebel hat sich gehoben, der Himmel ist jetzt strahlend blau, doch der kräftige Wind schiebt immer wieder dicke, aber hohe Wolken über die Hügel.

Bovey Tracy nach Moretonhampstead, Hound Tor

Dann sehe ich den ersten Tor. Das sind Granitfelsen die diese ruhige, gleichförmig hügelige Landschaft unterbrechen. Hier, am Hangman Tor, treffe ich Tony und Claire, ein Ehepaar aus London. Sie sind jedes Jahr auf Kurzurlaub im Dartmoor und genauso wie ich mit GPS und Wanderkarte ausgestattet. „Ohne GPS oder Kompass sollte man auf keinen Fall durch das Dartmoor wandern“, erklärt Tony. Aus Erfahrung weiß er, dass man in sekundenschnelle von einer dichten Nebelwolke umschlungen sein kann, die keinerlei Orientierung mehr zulässt. Noch dazu sind die Wege im Nationalpark nicht markiert und Wegweiser gibt es selten.
Diese Erfahrung mache ich gleich zu Anfang meiner Tour: Mein breiter Wanderweg teilt sich plötzlich fingerförmig in fünf Wege die in drei Richtungen entschwinden – in meiner Wanderkarte sind aber nur zwei Pfade verzeichnet! Es gibt zahlreiche Wege quer durch das Moor – sie werden von Schafen, Rindern, Ponys und manche auch von Menschen benutzt und davon sind einige in den Ordnance Survey Karten verzeichnete Wanderwege. Man muss nur wissen welche.

Weg von Ivybridge nach Holne

Manchmal trifft der Wanderer auf ein Schild mit dem Hinweis Footpath – immerhin etwas, aber wohin dieser Pfad führt, wird in den seltensten Fällen erwähnt. Bevor ich meine Reise antrat hatte ich die einzelnen Etappen meiner dreiwöchigen Wandertour am heimischen Computer geplant und als Routen auf das Hand-GPS exportiert. Nun laufe ich diese Routen ab und sehe schon nach wenigen Metern, wenn ich mich für den falschen der möglichen Wege entschieden habe.

Später am Tag geht vom schönen, trockenen, breiten Weg ein modrig-schlammiger Pfad ab der hauptsächlich von Rindern genutzt wird (die Spuren zeugen jedenfalls davon). Ernie – so habe ich mein GPS mittlerweile getauft – bestätigt durch lautes „tüdelüt“, dass ich genau auf diesem Schmodderweg meine Wanderung fortsetzen soll. Die breite Trasse führt nur in einen ehemaligen Granit-Steinbruch und dort ist Ende. So laufe ich, wenn auch widerstrebend, durch den Matsch und dann eine unebene, hubbelige Wiese hinunter zu einem kleinen Flüsschen, dass ich über eine Klapper-Brücke ( clapper bridge ) überquere. Für diesen Brückentyp ist das gewässerreiche Dartmoor bekannt. Es handelt sich dabei um mörtellose Steinbrücken deren Verbindungsglieder große, flache Natursteine sind. Diese Brücken klappern nicht etwa und sie lassen sich auch nicht hochklappen – das Wort clapper kommt vom angelsächsischen cleaca was soviel heißt wie „Trittsteine überbrückend“.

Stepping Stones, Chagford nach Okehampton

Gegen Ende meines ersten, 22 km langen, Wandertages marschiere ich einen eher von Schafen genutzten Pfad den Berg hinunter. Unten plätschert ein Bach, den ich laut Karte überqueren muss. Eigentlich passt alles, aber ich zweifele arg als dieser Weg dann rechts und links mit fast zwei Meter hohem Stechginster zugewachsen ist. Bis zu etwa einem Meter Höhe ist ein Durchgang frei – von Schafen gut genutzt halt, aber Menschen gehen hier wohl seltener her. Ernie versichert jedoch durch sein „tüdelüt“, dass dies genau der Weg ist auf dem ich zu sein geplant habe. Also schlage ich mich durch den Ginster – nur um vor einer gut drei Meter durchmessenden schlammigen Pfütze zu stehen. Aber wofür habe ich Goretex-Wanderschuhe? Test bestanden! Der Bach ist deutlich hörbar, zielstrebig marschiere ich in den Spuren und Hinterlassenschaften der Schafe bergab und bereite mich seelisch auf eine Flussdurchquerung vor. Doch einer Fata Morgana gleich endet der Weg vor einer ordentlichen Holzbrücke! Mit Geländer!

Widecombe nach Chagford, South Tyn River

Rechts und links des Flüsschens stehen hohe, mit Moos bewachsene Bäume. Ein Public Bridleway – ein breiter Fahrweg – führt direkt zum ersten Ort nach acht Stunden Fußmarsch und 19 Kilometern. Scoritton. Hier gibt es einen Pub. Laut Karte. Die verkaufen sicher auch frisch gebrühten Kaffee. Und Kuchen. Scornes in jedem Fall. Diese Aussicht lässt mir das Wasser im Mund zusammen laufen und treibt mich vorwärts. Scorriton besteht nur aus einer Hand voll Häusern, der Pub ist nicht schwer zu finden, doch leider öffnet das Lokal erst um 18 Uhr! Für derartige Enttäuschungen habe ich einen Sesamenriegel dabei, den ich nun am Straßenrand sitzend verzehre.

Nach neun Stunden, mit vielen Fotostopps, komme ich dann wirklich, wenn auch etwas geschafft, im Churchhouse Inn in Holne an. Das Gebäude aus dem Jahr 1329 diente früher Geistlichen als Unterkunft, heute steht es müden Wanderern zur Verfügung und hat noch dazu sehr gutes Essen. Im gemütlich eingerichteten Zimmer wartet bereits mein Gepäck und eine heiße Schokolade auf mich. Selten hat mir eine Tütenschokolade so gut geschmeckt! Ich bin doch froh, dass ich nur meinen Tagesrucksack tragen muss und mein großes Gepäck jeden Tag transportiert wird. Ein bisschen Luxus, der mir aber Raum für ein weiteres Objektiv gibt.

Ich laufe in den nächsten Tagen den Tow-Moors-Way (vom Dartmoor zum Exmoor) in Kombination mit dem Dartmoor-Way (rund um das Dartmoor) wobei die Tage ganz ähnlich verlaufen. Manchmal sind die Etappen recht lang und anstrengend, weil ich in die geplante 20 Kilometer Strecke noch kleine Schlenker einbaue: Zu einem der 2000 Steinkreise, einem der mehr als 400 Tors, Schafen, Ponys, Wasserfällen und Ruinen von Zinn-, Kupfer- und Bleiminen.

Widecombe nach Chagford

Ach ja, ein paar castles gibt es auch, besonders erwähnens- und besuchenswert das Castle Drogo: Mit dem Bau wurde 1910 begonnen und es ist damit das letzte Landschloss das in England errichtet wurde. Heute in den Händen des National Trust besteht die Innenausstattung aus Gebrauchsgegenständen und Möbeln der frühen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Leider bleibt mir der Nebel bis auf den ersten Tag erspart, ich habe meist herrlichen Sonnenschein, tolle Wolkenformationen und schöne Herbstfarben von Ginster und Heide die hier im September gleichzeitig blühen.

England hat viel zu bieten – nächstes Jahr wieder!

Eine Auswahl an Fotos finden Sie bei der Ankündigung meines Vortrags: Durch das Dartmoor an Devons Küste

Informationen für Nachahmer:

Bike-Hike – GPS Wanderrouten, für alle die ihre Wanderungen mit Google-Maps oder OS-Karten aufzeichnen möchten
ÖPNV – Suchmaschine für den Öffentlichen Nahverkehr

Außergewöhnliche Restaurants, persönlich getestet:

Nette Unterkünfte (*besonders empfehlenswert):