Abenteuer Ruhrgebiet – Wo sich Fuchs und Taucher begrüßen

Als ich erzähle, dass ich über’s Wochenende zu einer Radtour nach Bottrop fahre, schauen mich meine Freunde verständnislos an. Nach Bottrop! Wer fährt denn nach Bottrop – mitten in den Kohlenpott? Doch ich bin eingeladen und werde es mir anschauen. Das Hotel liegt zentral, für Auto- und Bahnfahrer gleichermaßen schnell erreichbar. Am Bahnhof gibt es eine so genannte Radstation, das ist eine von vielen radtouristischen Servicestationen, die vom Kommunalverband Ruhrgebiet und der Paritätischen Initiative für Arbeit e.V. im gesamten Ruhrgebiet aufgebaut wurden. Neben dem Verleih von Fahrrädern bietet die Station Gepäcktransport, Pannenhilfe und Informationen über Radwege im Revier. Wir, fünf „Sonntagsradler“ aus ganz Deutschland, haben hier Räder reserviert. Nachdem die Sattel der robusten, leuchtend orangefarbenen Tourenräder auf die richtige Höhe eingestellt sind, geht’s los.

Der Tetraeder in Bottrop

Tetraeder mit AussichtsplattformenNach kurzem Weg durch ein ruhiges Wohngebiet mit roten Backsteinhäuschen zu beiden Straßenseiten biegen wir ab auf den Emscherpark Radweg. Doch das gemütliche Radeln findet ein jähes Ende: Einen 65 m hohen Berg sollen wir hinauf strampeln! Damit hatte ich nicht gerechnet, ich dachte das Ruhrgebiet sei plattes Land! Kai – er ist für die Routenplanung verantwortlich – gibt dann auch zu: „Der Berg ist von Menschenhand geschaffen. Es handelt es sich um eine ehemalige Halde, davon gibt’s etliche im Revier, der Abraum der Kohlebergwerke musste doch irgendwo hin! Auf dem künstlichen Hügel gegenüber könnt ihr sogar Ski fahren, dort steht die längste Skihalle der Welt“! Schnaufend und schwitzend erreichen wir den Gipfel, doch damit nicht genug. Mitten in einer kahlen Mondlandschaft steht ein Ungetüm aus Stahlrohren: der 50 m hohe Tetraeder. Über eine freischwebende Stahltreppe gelangen wir auf die Plattformen des Aussichtsturms. Der Blick ist phantastisch: Das gesamte Ruhrgebiet liegt zu unseren Füßen und es ist unglaublich grün! Wir blicken bis nach Oberhausen und Duisburg – unser heutiges Ziel.

Der Emscherpark Radweg führt uns über ruhige Nebenstraßen zur idyllisch gelegenen Burg Vondern. Wie lange es diese Burg schon gibt, ist unbekannt. Die heutigen Bauten stammen aus verschiedenen Epochen wahrscheinlich ab dem 13. Jahrhundert. Nachdem Burg Vondern schon fast zur Ruine verfallen war, wurden die historischen Teile mit vereinten Kräften von Bund, Land, Stadt und einem Förderkreis bis 1995 gesichert und mit einer neuen Nutzung belebt.

Rhein-Herne-Kanal und Gasometer Oberhausen

Nach wenigen hundert Metern erreichen wir den Rhein-Herne-Kanal. Der Radweg ist breit und gut befahrbar. Schon von weitem sehen wir den gigantischen ehemaligen Gas-Zwischenspeicher der Gutehoffnungshütte Oberhausen. Er wurde 1988 stillgelegt und 1993/94 zur größten und sicherlich außergewöhnlichsten Ausstellungshalle Europas umgebaut. Man kann sogar mit dem Fahrstuhl auf’s Dach hinauf fahren. Vorbei an Schrebergärten, Pferdewiesen und kleinen Wäldchen kommen wir nach Duisburg. Plötzlich kreuzt ein rötliches katzengroßes Tier mit dickem wuscheligem Schwanz unseren Weg und flüchtet ins Unterholz. Ein Fuchs! Wann hab‘ ich das letzte Mal einen Fuchs in freier Wildbahn gesehen? Ich weiß es nicht. Meine bislang nur von „Schimanski“ geprägte Vorstellung von Duisburg werfe ich endgültig über den Haufen.

Landschaftspark Duisburg-Nord

Wir erreichen den Landschaftspark Duisburg-Nord. Hinter diesem idyllischen Namen verbirgt sich das stillgelegte Eisenhüttenwerk der August Thyssen AG. Ein engagierter Fahrradführer erwartet uns am Eingang. Mit dem Rad begleitet er uns durch diese teilweise renaturierte Industrielandschaft, die eine ca. 200 ha große Fläche umfasst. Wir erfahren (im wahrsten Sinne des Wortes) viel über die Geschichte des Hüttenwerks, aber auch einiges über das „südafrikanische schmalblättrige Greiskraut“ (senecio inaequidens). Die Pflanze kam als Same in der Wolle südafrikanischer Schafe vor über 100 Jahren mit Schiffen nach Europa. An der gar nicht mehr so übel riechenden Emscher fühlt es sich heimisch. Die meisten Gebäude des ehemaligen Hüttenwerks wurden einem neuen Zweck zugeführt: In der Gießhalle finden Musik- und Kinoveranstaltungen statt, in den ehemaligen Erzbunkern hat der Deutsche Alpenverein sein Kletterübungsgebiet eingerichtet und an der Via Ferrata Monte Thysso gibt es einen richten Klettersteig. Doch wieder trauen wir unseren Augen nicht: Da kommen uns zwei Menschen im dunklen Neoprenanzug mit Taucherbrille auf dem Kopf, Sauerstoffflasche auf dem Rücken und Flossen in der Hand entgegen! Wir sind sicher im falschen Film gelandet! „Nein, nein“ amüsiert sich unser Radführer über so viel Unwissenheit, „im Gasometer hat doch eine Tauchschule ihr Revier. Der ehemalige Gasbehälter ist bis zu einer Höhe von 13 Metern mit Wasser gefüllt. Der Grund wurde mit Kies bedeckt und ein künstliches Riff, eine versenkte Motoryacht und zwei Autowracks machen den Tauchgang zum Erlebnis“.

Nach der 2stündigen Führung stellen wir erschöpft die Räder ab und steigen zum guten Schluss hinauf auf den ehemaligen Hochofen Nr. 5. Ein Aussichtsturm der besonderen Art. Wir sind tief beeindruckt, Erinnerungen an den einst langweiligen Schulunterricht werden wach. Es ist nicht zu fassen: damals konnten wir uns einen Hochofen kaum vorstellen und jetzt stehen wir ganz oben auf so einem Ungetüm. Die Aussicht über das Gelände ist überwältigend und wird nur noch überboten durch die wirklich wichtige Information, dass zu jedem Hochofen unbedingt sowohl eine Ofenstichlochbohrmaschine als auch eine Ofenstichlochstopfmaschine gehört.

Landschaftspark Duisburg Nord

Nach so viel Neuem haben wir eine Stärkung verdient. Im Garten des gerade eröffneten Lokals lassen wir uns nieder und genießen bei Kaffee und hausgemachtem Kuchen den Blick auf die alte Eisenlore, Cowper und Hochofen. Rings herum grünt und blüht es, denn die Natur erobert langsam aber sicher ihr Terrain zurück. Wer zu müde für die 15 km lange Rückfahrt mit dem Rad ist, hat die Möglichkeit seinen Drahtesel an der Radstation im Landschaftspark abzugeben und mit Bus + Bahn zurück zu fahren.

Für Nachahmer hier ein paar nützliche Webseiten:
Radstation Bottrop

Emscher-Park-Radweg

Route Industriekultur

Lesen Sie dazu auch meinen Reisebericht über die Emscher, des Flüsschens das kein Fluss mehr sein durfte.

Nach dieser ersten Berührung mit dem neuen Ruhrgebiet vor beinahe 20 Jahren war ich noch viele Male mit dem Fahrrad unterwegs. Hier finden Sie eine kleine Auswahl an Fotos: